Die Klinik für Nuklearmedizin ist auf die Behandlung von krebskranken Kindern kaum eingestellt, dorthin kommen vor allem erwachsene Schilddrüsen-Patienten. Es dauerte am Dienstag zweieinhalb Stunden, bis nicht nur das Kind regulär überwiesen, sondern auch die elterliche Betreuungsperson ordnungsgemäß aufgenommen war. Die Damen an der Rezeption mussten eine Kladde hervorholen, in denen die seltenen Vorgänge vermerkt waren, und in dieser Kladde wiederum steckte ein handgeschriebener Zettel, welcher abbildete, wie unser Fall ins SAP aufzunehmen sei.
Der Rest war vergleichsweise einfach. Greta vertrug die Infusion des stark strahlenden MIBG sehr gut und musste danach bis Freitag praktisch nur unter Verschluss gehalten werden, um ihre Umwelt nicht allzu sehr zu kontaminieren. Medizinische Anwendungen oder auch nur Rücksichten gab es keine mehr, kaum dass noch Fieber gemessen wurde. Wahrscheinlich sind die Schwestern auf dieser Station wirklich froh, wenn sie mit den Patienten nicht zu oft in Kontakt kommen. Eine stellte des Nachts eine bunte Kerze an Gretas Bett, was mich angesichts des Ernstes der Lage etwas melancholisch stimmte.
Für das Beschäftigungsprogramm waren also diesmal 24 h die Eltern zuständig. Dafür stand ein Zweibett-Zimmer zur Verfügung, das mit TV, Kühlschrank und Kaffeemaschine komfortabel ausgestattet war. Das Platzangebot reichte aus, um „Cowboy“ zu spielen, das ist eine Variante von „Fangen“, abwechselnd mit Lasso (Gürtel) oder Messer (Geo-Dreieck), mit anschließender Behandlung aus dem Arztkoffer. Greta war insgesamt sehr guter Dinge.
Ein paar Mal mussten wir ins „Raumschiff“, eine Gamma-Kamera, die fast einen Raum ausfüllt und deren große Flügel bei der Spektroskopie rund um den Patienten kreisen. Die Mess-Prozedur dauerte bis zu anderthalb Stunden, in denen Greta ruhig liegen musste. Zum Glück hat sie das diesmal ohne Narkose hingekriegt, und man merkt, dass sie reifer geworden ist. Einmal kippte allerdings die Stimmung. Ich musste auf Gretas Anweisung hin die dröhnende CD ausmachen und eine Geschichte von den Dino-Kindern erzählen, um die Patientin noch eine halbe Stunde bei Laune zu halten. Aus dem Stegreif ist das eine echte Herausforderung. Ich habe schlagartig über die Grundlagen der epischen Tradition mehr gelernt als in einem Jahr schriftbasierten Studiums. Zum Beispiel weiß ich jetzt, warum diese Dichtungen großenteils aus Wie-Wörtern, Namen, Titeln, Wiederholungen und Floskeln bestehen. Wenn du auf das vergleichsweise aufnahmeschwache Ohr statt auf das lesegewohnte Auge zielst und Zeit herumbringen musst, erzählst du nicht: „Die Großeltern ermahnten die Dino-Kinder, gut aufzupassen“, sondern du formulierst ungefähr: „Die Großeltern von Littlefoot, also Oma und Opa von dem Brontosauruskind, wendeten sich dringend an ihren Enkel Littlefoot, an Cera, das kleine Triceratops-Mädchen, und an die fröhlich herumspringenden Kinder Spiky und Ducky, und die Oma von Littlefoot sagte mit ernster Stimme: Liebe Kinder, ... usw.“ So ähnlich haben das die Vorgängerinnen und Vorgänger von Homer auch gemacht.
Samstag, 16. August 2008
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
1 Kommentar:
Dann seid ihr jetzt also wieder zu Hause und könnt die nächste Zeit ein komplettes Familienleben genießen? Und die Kinder versammeln sich abends und hören andächtig die neue Geschichte, die ihnen ihr Vater erzählt?
Ich hoff ihr habt erst mal Zeit zum Durchatmen.
Liebe Grüße aus Nürnberg.
Doris
Kommentar veröffentlichen