Sonntag, 30. Mai 2010

Nach Regen kommt Sonne

Den Regen-Sonntag hat die Familie gut hinter sich gebracht. Steffi hat Regen-Reiten betrieben, ich Regen-Fußball und ein zwanzig Jahre altes Paar Stollen-Schuhe kaputtgespielt. Die Feuerbach-Kinder waren in regenregem Austausch, auch Greta hat mit einer kleinen Freundin gespielt – „Ärztin und Krebs-Kind“. Greta ist jetzt naturgemäß lieber die Ärztin.
Am Freitag musste sie aber als Patientin zum ausführlichen Check in die Klinik – und hat ihrer Lieblingsärztin prompt den Generalpiepsschlüssel weggenommen. Ihre Herzwerte sind ok, Bauch-Ultraschall ohne Befund, Lebervene frei, der Rest vom Haupttumor anscheinend unverändert.
Schon letzte Woche – wie konnte ich dies vergessen – ist Greta der erste Zahn ausgefallen. Ein zweiter wackelt. Nun kennt ihr Selbstvertrauen keine Grenzen mehr. Sie denkt schon mehr über das Studium als über die Einschulung nach. Stella hat am Mittwoch eine Eins mit Sternchen bekommen, auch das lässt hoffen. In zehn Tagen ist der erste Elternabend am Schiller-Gymnasium.
Haben wir hier gelegentlich Gesellschaftspolitik verhandelt? Seid gewiss: Der Fortschritt ist unaufhaltsam. Als unsere Eltern jung waren, haben die Buben den Mädchen etwas geschenkt, wenn sie deren Aufmerksamkeit wecken wollten. Bei uns war das eher so, dass man sich gegenseitig ignoriert und später auf Kumpel gemacht hat. Nun ist Clara diejenige, die um ein Haar meinen Lieblingsfußball ihrem Lieblingsjungen geschenkt hätte, ohne Anlass, als reines Zuneigungssignal. Kurios trotzdem: Während seit drei Jahren die kleinen Mädchen bei uns ein und aus gehen, hat nach meiner Erinnerung noch nie ein Junge aus dem Viertel unsere Leipziger Wohnung betreten. Oder ich verdränge das.
Nächste Woche geht’s ans Abschied-Nehmen, mein Zettelkasten ist nun leer, das Greta-Thema weitgehend erschöpft. Unwiederbringlich vorbei ist auch jene legendäre, nachkriegseuropaweit einzigartige Saison, in der die drei Spitzenclubs einer Halbmillionenstadt gemeinsam in der fünften Liga gekickt haben. Dass RosenBolz den ersten Aufstieg auf Anhieb geschafft hat, lässt uns alle mit noch größerem Optimismus in die Zukunft blicken.

Montag, 24. Mai 2010

Sand und Sonne

Wir haben dann doch gutes Wetter gehabt im hohen Norden, wo der Wind die Wolken immer gleich wegbläst. Die Kinder haben original gebadet in der Kieler Förde, neben den Containerschiffen und bei ca. 7 Grad Wassertemperatur. Minigolf gab’s auch und große Mengen Eis. Greta war ein glückliches Kind und erstaunlich belastbar, fast den ganzen Tag unterwegs, hatte zwischendurch ausdrücklich Hunger. Auch das Auto hat durchgehalten, was immer weniger selbstverständlich ist.
Clara bekam allerdings auf der Rückfahrt einen Moralischen. Sie hadert schon länger mit ihrer Rolle als Sandwichkind. Nun sitzt sie auf Ausflügen mit vollständiger Kleinfamilie auch noch im zen-tralen Rückraum und wird von zwei Seiten desto mehr geärgert, je länger die Fahrten andauern. In sechseinhalb Stunden gab es dazu reichlich Gelegenheit. „Ich hasse das, die Mittelste zu sein“, mault sie, „Immer bin ich das junge Opfer“. Alle sind müde, aber sehr zufrieden mit dem schönen langen Wochenende.
Leider verkleinert sich unser Leipziger Wohnraum mit dem heutigen Tag erneut um einen Kubikmeter. Puppenhäuser, Gitarren, kistenweise Zaubertrank – dazu der lebhaft aufgefrischte Wunsch der Töchter nach einem TV-Gerät, zusammen mit einer vii, um endlich wie die jugendliche Verwandtschaft zeitgemäß Sport treiben zu können. Joggen und Tischtennis ist für Dinosaurier.

Freitag, 21. Mai 2010

Frohe Pfingsten!

Wir fahren gleich alle nach Kiel, das wird die erste gemeinsame Übernachtungstour seit Bad Oexen im Juni. Die Kinder freuen sich ganz unmäßig, Greta konnte kaum schlafen vor Aufregung, krabbelte zu uns ins Bett und legte sich quer. Irgendwann kam auch noch der Kater dazu. Die Eltern sind wenig ausgeschlafen und werden sich abwechseln beim Fahren. Hey, das Wetter ist richtig gut! Ob Kachelmann doch unschuldig ist?
Da Steffi heute Morgen noch die Pferdchen besucht hat, musste ich auf Greta aufpassen. Dies jeden Tag zu tun, ist sicher kein Vergnügen. Greta ist wirklich wie Kater Findus. Wenn du sie bei Tisch nicht genug beachtest, fängt sie an, mit dem Löffel am Teller zu klappern, „langweilig“ ist eines ihrer Lieblingswörter. Der Kindergarten ist überfällig. Wenn es damit so weit ist, wird Stella aufs Schiller-Gymnasium gehen, das steht jetzt erfreulicherweise fest.
Greta hat immer noch Angst vor Jena. Sie wacht auf und sagt: Manchmal denke ich, ich sei in Jena, und es geht mir ganz schlecht. Das eigentliche Trauma dort war die gewaltsame Verabreichung der Magensonde durch die Nase. Das hat sie den Ärztinnen und Pflegern bis heute nicht verziehen. Dabei waren die letzten Ergebnisse aus Jena wieder sehr gut. Keine Leukämiezellen und nach wie vor hundertprozentiger Chimärismus.
Stella und Clara züchten Kaulquappen in Nutella-Gläsern. Leider sterben die Tiere, bevor sie Beine ansetzen, und das, obwohl sie mit großen Mengen Fischfutters gepeppelt werden. Die Kinder nehmen es hin. Mich erinnert das ein wenig an die peinliche Geschichte, als ich vor 25 Jahren einem krebskranken Freund ein wunderschönes Kugelglas mit Goldfischen darin geschenkt habe, um ihn aufzumuntern. Leider war das Becken nach wenigen Wochen verschwunden, und wir haben nicht weiter darüber geredet. Die Aktion muss wohl kontraproduktiv gewesen sein. Der Freund ist zum Glück noch heute putzmunter.
Steffi ist von der Stadt Leipzig fotografiert und sehr vorteilhaft getroffen worden. Für 15 Euro macht das heutzutage kein Fotograf mehr. Ich warte seit Oktober auf einen mutmaßlich viel kostspieligeren Bescheid. Der Kasten an der Kreuzung hatte mich gleich zweimal geknipst, aber vielleicht war das Nummernschild vor Dreck nicht lesbar. Der Pferdehof hat doch sein Gutes.

Sonntag, 16. Mai 2010

Mücken, Rauch und Katzenfutter

Sie begegnet euch sicher auch regelmäßig, die coole Mitt-dreißigerin, die nur mal eben schnell in den Aldi springt, um drei Sachen fürs Abendbrot zu holen. Für den klobigen Wagen ist man sich natürlich zu fein. Am Ende sind es doch eher zwölf Artikel, die fast bis zur Kasse balanciert werden, dann fällt alles runter, und das ist dann gar nicht mehr cool. Vor zwanzig Jahren habe ich noch beim Aufheben geholfen, heute lache ich laut und denke, selber schuld.
Ich kam diesmal knapp mit einem Wagen aus und habe 70 Euro eingesetzt – ganz ohne Wein, Schnaps, Kaffee, Flachbildschirm oder andere Extras. Steffi findet das ein bisschen eklig, wenn ich mit solch riesigen Mengen von Lebensmitteln ankomme. Sie wurzelt gedanklich noch in dem sicheren Gefühl, dass der Kühlschrank doch sowieso immer voll ist und dass man für das studentische Frühstück nur mal eben zum Bäcker laufen muss.
Allein das Katzenfutter. Auslachen lassen musste ich mich, als ich das erste Mal mit dreißig Döschen nachhause kam. Dabei reicht das höchstens zwei Wochen für das gefräßige Vieh.
Selbst im Billigsegment kriegst du jetzt schon alle Schnackelchen für den kleinen Liebling: Pute aktiv, Kükenbrust junior, feines Ragout für den Senior (wegen der Zähne!), Tofu-Pastete für die vegetarische Katze. Zum Glück frisst Benni nach zwei Jahren Bauernhof wirklich alles, was man ihm hinstellt. Denn er weiß jetzt: Jedes noch so minderwertige Menschenfutter ist zehnmal besser als eine echte Maus, die fast nur aus Fell, Knochen, Augen und Schwanzknorpeln besteht.
Wir haben am langen Wochenende alle miteinander ausgespannt, haben viel geschlafen, waren sozial mäßig aktiv. Steffi geht jetzt wieder jeden Tag zum Pferd, weil ihr jemand gesagt hat, dass sie Rooney mehr arbeiten müsse (man beachte den transitiven Gebrauch von „arbeiten“).
Greta Madita wiegt inzwischen ehrliche 16,3 kg und war am Samstag bei Neo Rauch im Museum. Mit der ihr eigenen Ungeduld rannte sie nur so durch und kommentierte ungnädig. Alles bloß geklaut, meint sie, hier Hoppers Nachtcafé, dort ein Dalí’sches Spiegelei, und guck mal, die Szene von Magritte und hier das Motiv von Max Ernst. Schon recht, sage ich, aber die Kompositionen sind doch trotzdem ganz originell. Da fragt Greta: Papa, warum hat der Mann so früh mit dem Spätwerk angefangen? Das Kind überfordert uns permanent. Am Sonntag sind wir dann lieber ins Rosental gegangen, weil das Wetter endlich besser war. August der Starke wollte dort übrigens vor dreihundert Jahren ein Lustschloss bauen, bezahlen sollten es die Leipziger. Doch das waren schon damals selbstbewusste Bürgersleute, unbotsam, geizig und pfiffig. Zehn Jahre lang verschoben sie die Grundstein-legung mit Verweis auf die zahlreichen Überschwemmungen in der Gegend, auf das Mückengeschmeiß und die vielen Räuber-banden, bis der starke Fürst die Lust verlor. Die Mücken gibt es immer noch. Die Rosental-Kicker halten sie wegen der Geschichte in hohen Ehren.

Freitag, 14. Mai 2010

Non Testata


Nachdem ich an dieser Stelle den Ruf der Familie über Jahre nach Kräften geschädigt habe, hier noch einmal schnell die Hitliste der nachgefragten Missverständ-nisse, um bei den verbliebenen Freunden zu retten, was zu retten ist.

Nein, die Jenenser Dorfstraße heißt nicht Dorfstraße, sondern Grietgasse.
Nein, die Pferde sind im Winter nicht steifgefroren. Man muss sie auch bei Frost füttern.
Nein, dass Scharnhorst durch einen Sachsen umgebracht wurde, ist nicht bewiesen, theoretisch könnte es auch ein Braunschweiger gewesen sein.
Nein, die Elternschaft der Lessing-Schule ist nicht fremden-feindlich. Die Container-Zwischenlösung kommt übrigens zum neuen Schuljahr tatsächlich.
Nein, Clara Carlotta ist in der Schwimmschule nie gequält worden.
Nein, Ronald McDonald, Kinderkrebshilfe und ähnliche Insti-tutionen haben nie genug Geld. Man könnte immer noch viel mehr für die Betroffenen und ihre Angehörigen tun.
Nein, Steffi Augusta hat kein Geld für ein monströses Stofftier ausgegeben. Der Tiger Pogrebniak wäre im Umzugs-Schutt gelandet, wenn Steffi und Greta nicht zufällig des Wegs gekommen wären.
Nein, ich habe Weihnachten 2009 keinen Kasten Paulaner leergemacht und würde solches auch gar nicht schaffen.
Nein, der Alte Dessauer konnte uns in Borkheide nicht besuchen, weil er vorher gestorben war.
Nein, Kater Benni ist zwar ein freundlicher Geselle, aber er kann definitiv nicht sprechen.
Hab ich noch was vergessen? Dass auf den Rheinwiesen schon im 19. Jahrhundert regelmäßig Fußball gespielt worden wäre, ist leider auch nicht bezeugt.
Und, ja doch, alle Menschen sind gleich gut. Sachsen und Preußen, Ossis und Wessis, Radfahrer und Automobilisten, Bahnfahrer und Vielflieger, Tierfreunde und Philanthropen, Männer und Frauen, am Ende sogar Kölner und Düsseldorfer.

Sonntag, 9. Mai 2010

200 Tage Knochenmarkstransplantation


Ich gratuliere allen, die in der nächsten Woche 40 Jahre alt werden. Leider sind wir ausgemachte Vierzigste-Geburtstag-Verweigerer und haben in den letzten fünf Jahren mindestens zehn dieser Dinger vergessen oder wissentlich ignoriert. Nur bei meinem eigenen war ich dabei. Was wir mit Steffis Ehrenfest im nächsten Jahr machen, wissen wir noch nicht. Wahrscheinlich ignorieren.
Übermorgen muss Greta nach Jena, zum 200-Tage-Jubiläum mit allen nötigen Routine-Untersuchungen. Greta hat keine Lust. Mit Jena verbindet sie doch traumatische Empfindungen. Irgendwann muss noch ihre Leber vom vielen Eisen befreit werden, das diese durch Medikamente und Bluttransfusionen massenhaft angereichert hat. Das wird eine mehrtägige Prozedur. Darüber wird in Jena zu reden sein und auch darüber, wie sich die Risiken des anstehenden Kindergartenbesuchs für das noch nicht perfekte Immunsystem darstellen.
Fortuna Düsseldorf ist schließlich drei Punkte und drei Tore hinter einem Relegationsplatz gelandet, das muss an dieser Stelle noch einmal gesagt werden. Ansonsten freuen wir uns natürlich darüber, dass Hannover 96 es geschafft hat.
Heute war ein nettes Kaffeekränzchen aus Braunschweig da. Alle freuen sich über Greta – und sind doch betreten, wenn sie nach längerer Zeit diese seltsam immaterielle, opake Gestalt sehen. Uns fällt das gar nicht mehr auf. Für uns ist Greta voll aus Fleisch und Blut und fällt uns sehr auf den Wecker. Die Tiere und die Kinder machen im Wonnemonat erst recht, was sie wollen. Auch Greta läuft am liebsten über den Küchentisch. Die Großen sind sonst wo in der Nachbarschaft und denken nicht mal daran, sich das Taschengeld abzuholen, geschweige denn an Muttertag. In der Schule sacken sie gerade völlig ab.
Wir haben uns ein Erziehungsbuch von Moritz Schreber gekauft. Das war ein kluger Leipziger und Vordenker der gleichnamigen Kleingartensiedlung. Moritz Schreber meint, dass man Kindern mit Gärtnerei Disziplin beibringen könne. Und wenn dies nichts hülfe, dann mit Korsetts, Schlägen und kaltem Wasser. Solche pädagogischen Ansätze sind in der modernen Erziehungsliteratur ganz zu Unrecht in Vergessenheit geraten.

Sonntag, 2. Mai 2010

Endlich Mai

Steffi, Stella, Clara, Greta und Rooney besuchten gestern das Scharnhorstfest in Großgörschen, wo die Leipziger den Tod des preußischen Generals 1813 durch die Kugel eines sächsischen Heckenschützen feiern. Sonst haben die Sachsen gegen Preußen ja selten einen Stich gemacht. Das Scharnhorstfest in Großgörschen ist also eines dieser Histofestivals, wo eine große Anzahl geschichts-, kostüm- und pferdeversessener Menschen hoffen, dass das Wetter gut bleibt. Die Kinder sind Autoscooter gefahren, Steffi hat befreundete Pferde aus ganz Deutschland getroffen.
Diesmal gab es beim Fest keine Schussverletzungen, hufbedingten Quetschungen oder karrenüberfahrene Gliedmaßen, sondern nur die übliche Häufung leichter Alkoholvergiftungen. Die Familie behauptete hinterher, im Baum einen Waschbären gesehen zu haben.
Der Vater saß Samstagnacht wieder im Schweine-Express durch den schönen Harz. Diesmal war es immerhin bis Hildesheim noch hell draußen. Die Mitreisenden waren zwar sehr laut, aber friedlich und fröhlich. Wer Samstag Nacht die Westzonen verlässt, ist in der Regel Dortmund-Sympathisant wegen Matthias Sammer. Und wer Dortmund-Sympathisant ist, freut sich natürlich über das Schalkesche Meisterschafts-Aus.
Greta muss am 11.05. ganztägig nach Jena, wo sie die Lumbal-Punktion 200 Tage nach KMT machen. So lange haben wir es schon geschafft. Danach ist über die Entfernung des Katheters zu reden. Vielleicht erleben wir diese noch im Berichtszeitraum.