Samstag, 19. Januar 2013

Gretas Baum



Ich denke oft an den Tag, als Greta fortging. Sie ging nicht buchstäblich, das konnte sie nicht. Wir lagen aneinandergekuschelt auf zwei Krankenhausbetten und als sie ihren Körper verlassen hat, wurde sie "abgeholt".
Ich wünschte mir später an dem Tag so Jemanden wie Edward Cullen in den Raum oder hätte den Beweis einer Vampirexistenz durchaus begrüßt...leider kam er nicht, und mein Gefasel hat auch niemand der Anwesenden verstanden...Greta hätte gewusst, was ich meine.
Sie hätte gerne noch den letzten Teil der „Biss“-Filme gesehen und es tut mir irgendwie leid, dass sie nur ahnen konnte, was noch passieren würde. Außerdem habe ich ihr das Ende nie richtig erzählt, weil ich nichts vorwegnehmen wollte. Manchmal sollte man Geschichten zuende erzählen (auch wenn man damit die Spannung nimmt), damit einen das Unerfüllte nicht quält.
Inzwischen denke ich, dass es vielleicht auch nicht so wichtig war. Eine Vampirwelt ist auch eine reichlich trügerische Hoffnung...

Abgeholt wurde sie jedenfalls von einen weißen, fliegenden Pferd mit leuchtendem Horn...ich habe es in meinem Kopf gesehen und Greta muss es auch gefühlt haben, denn sie atmete immer ruhiger und fand die Bilder offensichtlich schön. Vielleicht waren es auch ihre Bilder, die ich gesehen habe in dem Moment, wo ich mich auf ihre Gedanken konzentriert habe?
Kein ewiges Leben. Kein ewiges Glück.
Aber irgendetwas anderes. Gutes. Starkes.

Ich träume nicht von ihr. Ich weiß nicht, ob das gut ist oder schlecht. Oder ob ich mich morgens einfach nicht an meine Träume erinnern kann. Mein Gehirn springt sowieso hin und her zwischen dem banalsten Kram der Welt und dann wieder existenziellen Fragen. Ich überlege, ob ich in der Schule anrufen muss, ob wir noch Milch im Kühlschrank haben (Soja-Milch kaufen!!! Normale Milch ist Tierquälerei!!!),
zünde die Kerze an, räume dreckige Teller und den benutzten Eierbecher vom Tisch und denke an den Schnee draußen und ob es im „Himmel“ wirklich nicht kalt ist.
Kann ja nicht kalt sein, ist ja nur der „Geist“, die „Seele“, die frei herumschwebt...- kein kleiner, kranker, frierender Körper mehr, der dranhängt.

Greta soll einmal zu einer der Krankenschwestern gesagt haben: „Jetzt müsst ihr euch eine neue Greta suchen!“ als sie in der Transplantationsnacht eine Sepsis bekommen hat...
Wie soll das gehen...- eine „neue Greta“?!?
Nun ist sie schon vier Monate weg, ein neues Jahr hat begonnen...
Das Leben geht weiter, aber anders - leerer, hohler. Mit mehr Sehnsucht in verschiedene Richtungen, aber zum Glück immernoch genug konkreten, erdigen Aufgaben.

Ich habe einen kleinen „Kulturraum“-Job an Stellas Schule übernommen – „Kreative Schreibwerkstatt“ – der Spaß macht und meine löchrige Konzentration nicht allzusehr überfordert. Die Kids sind klasse, und es ist toll, malwieder in solch ganz anderen Zusammenhängen aufzutauchen.

Stella und Clara machen „ihren" jeweiligen Job ganz toll und bestehen tapfer ihren Alltag. Clara hatte einen sehr guten Start am "Eva Schulze" und ist dort sehr glücklich, obwohl Greta genau in den Tagen der ersten Klassenfahrt gestorben ist.
Beide  vermissen den kleinen Wusel Greta auch immer wieder sehr, aber sie integrieren sie auch in die Dinge, die sie tun...Beim Ausritt ist Greta zum Beispiel „dabei“, beim Nägel lackieren oder beim Musikhören...- irgendwie „immer“!
Dass der Papa „immer weniger wird“ ist allerdings ganz schön hart für die beiden... Stephan hatte am 17.1. einen MRT-Termin am Johannisplatz. Die Ergebnisse werden mindestens bis nächste Woche auf sich warten lassen, aber besser geworden sind sie dadurch wahrscheinlich nicht.
Diejenigen, die uns in den letzten Wochen häufiger besucht haben oder Stephan tapfer im Büro (Lebenselixier...! Struktur, Kollegen, Existenzberechtigung...) erlebt haben, werden den Gedanken verstehen können.
Wenig Fußball, kaum Politik, kein Sex und ganz wenig Drogen (die Zigaretten, die mittlerweile am Küchenfenster geraucht werden...). Es muss ziemlich deprimierend sein.
 
 Ich habe inzwischen „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ von John Green gelesen und einige Sachen darin haben mich motiviert, den Blog von Stephan doch wieder zu beleben – weil das Ende von Allem nicht der Tod ist, sondern das Nicht-mehr-erwähnt-oder-bedacht-werden...und wenn die Protagonistin stirbt, möchte man doch wissen, wie es mit den Nebendarstellern weiter gegangen ist...?!
Und: Man kann Jemanden lieben, auch wenn er durch seinen Tod ein Riesenloch im Herzen hinterlässt...Die Krebs-Diagnosen sind vielleicht BOMBEN, aber nicht die Betroffenen selbst...
Auf jeden Fall lesenswert das Buch.
   
Wir möchten allen Baumspendern ganz herzlich danken!
Wahrscheinlich wird es im Herbst diesen Jahres dann endlich einen wunderbaren Greta-Baum geben – die Wiese im Rosental steht unter Denkmalschutz und irgendwie ist es nicht so einfach, lauter Gedenkbäume zu pflanzen...aber wir schaffen das noch.
Ich werde euch auf jeden Fall informieren und wir "schaffen" ja vielleicht auch ein kleines Fest für diesen Anlass (auch die Urne hat noch keinen entgültigen Platz gefunden, da uns die Entscheidung schwer fällt, wo dieser Ort sein soll, aber auch das wird sich finden...).
Das Konto von Greta muss allerdings geschlossen werden, deshalb bitte dort keine Spenden mehr hinschicken.
An sich sind wir auch telefonisch erreichbar...aber je nach Lage der Festnetztelefone, geht nicht immer jemand dran...SORRY...ich habe auch zwei unserer Handys gewaschen. Es ist also nicht ganz einfach. Bitte trotzdem probieren...!

Überhaupt nochmal Danke an alle, die uns nach wie vor stützen, tragen, schützen, fordern, lieben, wie wir sind (Zeitbomben!!), und uns so normal behandeln (wir haben uns schon so lange daran gewöhnt, nicht mehr „normal“ zu sein...), wie es eben gerade geht.
  
 Kerzenschiffchen an Gretas Geburtstag...am Schloss Dölkau
 Der Abendhimmel am selben Tag...

 

 

 

 

 

 

 

 

Gretas Baum

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke!
Ich komme immer noch jeden Tag hier vorbei und denke viel an Greta. Ich kenne euch alle nicht persönlich, habe aber lange bei euch mitgelesen und auf weitere Einträge der 'Nebendarsteller' gehofft. Vielen Dank, dass du die Kraft dafür aufbringst!
Heike

Anonym hat gesagt…

Ich auch kommen noch fast jeden Tag hier vorbei, aus Gewohnheit oder auch einfach noch einmal an das kleine so tapfere Mädchen zu denken.
Dabei denke ich immer auch an die "Nebendarsteller" und hatte gehofft, dass es den anderen Familienmitgliedern etwas besser geht.
Ich wünsche Euch weiterhin alles gute und viel Kraft. Wir lesen uns...
Mareike

Anonym hat gesagt…

Ich kann mich den beiden Vorrednerinnen nur anschließen, auch ich kenne Euch nicht persönlich, aber habe lange Euren Blog mitgelesen und immer ein bisschen gehofft, noch mal von Euch zu hören. Auch ich denke oft an Greta und auch an Euch, an Gretas Familie. Ihr habt ein echt hartes Schicksal, ein an Krebs erkranktes Kind ist schon schlimm genug, aber ein kranker Papa dazu, da fragt man sich schon, warum?
Ich wünsche Euch weiterhin viel Kraft und denke an Euch
Kerstin

Anonym hat gesagt…

Auch ich komme immer wieder hier vorbei,obwohl ich Euch nicht persönlich kenne, um nach Gretas-Blog zu schauen, da ich mich gefragt habe, wie es wohl dem Papa und dem Rest der Familie geht. Ich habe gehofft eine gute Nachricht bezüglich der Krebserkrankung Ihres Mannes zu lesen. Ich wünsche viel Kraft und Durchhaltevermögen und das es bergauf geht. Susanne

Anonym hat gesagt…

Für den kranken Vater alles Gute, vielleicht geschieht ja doch ein kleines Wunder? Man würde es Euch so sehr gönnen!

Lisa hat gesagt…

Ich bin vor zwei Jahren auf der Suche nach Informationen zum Neuroblastom eher zufällig über diesen Blog gestolpert und habe ihn dann immer wieder besucht, für Greta und auch die anderen Familienmitglieder gehofft und gebetet. Ich habe seit Okotber oft an euch gedacht und wünsche euch, das es trotz der momentanen Entwicklung mit Stephan noch irgendwie wieder bergauf geht.