Sonntag, 6. Juni 2010

Finis Historiae?


Greta geht es gut, und das bleibt hoffentlich noch lange so. Wir glauben, dass diese schwere, aber auch seltsam reiche Phase zu Ende ist und dass wir nach der Kur Ende Juli wieder eine normale Familie sind. Da wir uns aber schon einmal zu früh gefreut haben, gibt es vorläufig keine Party, keine Luftballons, keine Jubelbilder. Wenn Greta erneut krank wird, findet der Blog Fortsetzung.

Noch einmal ein dickes, dickes Dankeschön an alle,
- die in den Kliniken hart, erfolgreich und dazu noch mit großem Herzen an Greta gewirkt haben
- die die Krebsforschung auf den heutigen Stand gebracht haben
- die sich Stunden, Tage oder gar Wochen um Stella und Clara gekümmert haben
- die uns dabei geholfen haben, unseren Haushalt annähernd in Normalbetrieb zu halten
- die in der näheren Wohnumgebung unsere Kreativwirtschaft ertragen haben
- die versucht haben, uns medizinische Zusammenhänge zu erklären
- die Fernheilung betrieben, Kristalle besprochen, Sternschnuppen gebrieft und Zaubertränke gebraut haben; garantiert alles hat geholfen!
- die mir im Job manchen Aussetzer nachgesehen haben
- die uns tolle Bücher, Fahrräder, Kaffeemaschinen, Lieblingslieder und andere nützliche Dinge besorgt haben
- die immer wieder geschrieben, angerufen, gemailt oder sonst wie ihre Unterstützung signalisiert haben
- die nicht angerufen, geschrieben oder gemailt haben und die auch nicht böse waren, wenn wir uns nicht gemeldet haben. Unser Sozialverhalten wird sich hoffentlich im Laufe dieses Jahres wieder normalisieren.

Und jetzt gehen wir ganz leise raus, machen das Licht aus und hoffen, dass alles ruhig bleibt.

Wasserfreuden

Der Sommer bringt neues Leben ins Leben. Ob man es wahrhaben will oder nicht, das Wetter verändert Sozialbeziehungen, nicht nur bei den Kindern, die sich im Hof, auf der Hüpfburg und im Freibad neu durchmischen. Selbst Greta ist nun große Teile des Tages unbeaufsichtigt draußen unterwegs. Sie hat ein paar Gespielen von jener Sorte Mensch, die immer gerne mitmachen und hinterherlaufen, wenn jemand anders vornewegrennt, den Anführer gibt und für Action sorgt. Das geht mit Greta so lange gut, bis ein anderer Anführer ihr in die Quere gerät. Dann kommt sie heulend angewackelt. Gretas Frustrationstoleranz hat noch nicht Normalmaß erreicht.
Morgen hat sie einen Termin auf der KiK 4, dort soll die Katheter-Entfernung besprochen werden, die bald dringlich ist, weil das Kind in drei Wochen schwimmfähig sein soll. Sie kann schon gut schwimmen, jedenfalls besser als diese Kaulquappen, die nicht wirklich sportlich aussehen in ihrer Fortbewegung. Stella und Clara haben jetzt ein richtiges KQ-Bassin, in dem die Tiere tatsächlich etwas länger leben als im Nutellaglas. Wann genau ist so ein Frosch denn ein Frosch? Jedenfalls geht die Ex-Kaulquappe dann an Land, habe ich mal gehört. Das hieße in unserem Falle, dass zahlreiche Tiere aus dem Becken klettern und durch die Wohnung hüpfen, wenn man sie nicht daran hindert. Fressen Katzen eigentlich Frösche?
Die Alten haben die kleinen Freuden des Grillens wiederentdeckt. Die Kohle zieht gut dieses Jahr, und die Mücken hält es auch fern. Greta hatte letzte Nacht allerdings den Albtraum, dass wir Benni auf den Rost gelegt hätten. Sehr schmackhaft kann das nicht gewesen sein.
Die Schleppe der Schwermut auf den Erwachsenen wird langsam luftiger. Steffi arbeitet hart am Pferd und hat erstaunliche Erfolge. Das Tier kann jetzt rückwärts traben. Solches wurde zuletzt 1953 in der Wiener Hofreitschule beobachtet.

Sonntag, 30. Mai 2010

Nach Regen kommt Sonne

Den Regen-Sonntag hat die Familie gut hinter sich gebracht. Steffi hat Regen-Reiten betrieben, ich Regen-Fußball und ein zwanzig Jahre altes Paar Stollen-Schuhe kaputtgespielt. Die Feuerbach-Kinder waren in regenregem Austausch, auch Greta hat mit einer kleinen Freundin gespielt – „Ärztin und Krebs-Kind“. Greta ist jetzt naturgemäß lieber die Ärztin.
Am Freitag musste sie aber als Patientin zum ausführlichen Check in die Klinik – und hat ihrer Lieblingsärztin prompt den Generalpiepsschlüssel weggenommen. Ihre Herzwerte sind ok, Bauch-Ultraschall ohne Befund, Lebervene frei, der Rest vom Haupttumor anscheinend unverändert.
Schon letzte Woche – wie konnte ich dies vergessen – ist Greta der erste Zahn ausgefallen. Ein zweiter wackelt. Nun kennt ihr Selbstvertrauen keine Grenzen mehr. Sie denkt schon mehr über das Studium als über die Einschulung nach. Stella hat am Mittwoch eine Eins mit Sternchen bekommen, auch das lässt hoffen. In zehn Tagen ist der erste Elternabend am Schiller-Gymnasium.
Haben wir hier gelegentlich Gesellschaftspolitik verhandelt? Seid gewiss: Der Fortschritt ist unaufhaltsam. Als unsere Eltern jung waren, haben die Buben den Mädchen etwas geschenkt, wenn sie deren Aufmerksamkeit wecken wollten. Bei uns war das eher so, dass man sich gegenseitig ignoriert und später auf Kumpel gemacht hat. Nun ist Clara diejenige, die um ein Haar meinen Lieblingsfußball ihrem Lieblingsjungen geschenkt hätte, ohne Anlass, als reines Zuneigungssignal. Kurios trotzdem: Während seit drei Jahren die kleinen Mädchen bei uns ein und aus gehen, hat nach meiner Erinnerung noch nie ein Junge aus dem Viertel unsere Leipziger Wohnung betreten. Oder ich verdränge das.
Nächste Woche geht’s ans Abschied-Nehmen, mein Zettelkasten ist nun leer, das Greta-Thema weitgehend erschöpft. Unwiederbringlich vorbei ist auch jene legendäre, nachkriegseuropaweit einzigartige Saison, in der die drei Spitzenclubs einer Halbmillionenstadt gemeinsam in der fünften Liga gekickt haben. Dass RosenBolz den ersten Aufstieg auf Anhieb geschafft hat, lässt uns alle mit noch größerem Optimismus in die Zukunft blicken.

Montag, 24. Mai 2010

Sand und Sonne

Wir haben dann doch gutes Wetter gehabt im hohen Norden, wo der Wind die Wolken immer gleich wegbläst. Die Kinder haben original gebadet in der Kieler Förde, neben den Containerschiffen und bei ca. 7 Grad Wassertemperatur. Minigolf gab’s auch und große Mengen Eis. Greta war ein glückliches Kind und erstaunlich belastbar, fast den ganzen Tag unterwegs, hatte zwischendurch ausdrücklich Hunger. Auch das Auto hat durchgehalten, was immer weniger selbstverständlich ist.
Clara bekam allerdings auf der Rückfahrt einen Moralischen. Sie hadert schon länger mit ihrer Rolle als Sandwichkind. Nun sitzt sie auf Ausflügen mit vollständiger Kleinfamilie auch noch im zen-tralen Rückraum und wird von zwei Seiten desto mehr geärgert, je länger die Fahrten andauern. In sechseinhalb Stunden gab es dazu reichlich Gelegenheit. „Ich hasse das, die Mittelste zu sein“, mault sie, „Immer bin ich das junge Opfer“. Alle sind müde, aber sehr zufrieden mit dem schönen langen Wochenende.
Leider verkleinert sich unser Leipziger Wohnraum mit dem heutigen Tag erneut um einen Kubikmeter. Puppenhäuser, Gitarren, kistenweise Zaubertrank – dazu der lebhaft aufgefrischte Wunsch der Töchter nach einem TV-Gerät, zusammen mit einer vii, um endlich wie die jugendliche Verwandtschaft zeitgemäß Sport treiben zu können. Joggen und Tischtennis ist für Dinosaurier.

Freitag, 21. Mai 2010

Frohe Pfingsten!

Wir fahren gleich alle nach Kiel, das wird die erste gemeinsame Übernachtungstour seit Bad Oexen im Juni. Die Kinder freuen sich ganz unmäßig, Greta konnte kaum schlafen vor Aufregung, krabbelte zu uns ins Bett und legte sich quer. Irgendwann kam auch noch der Kater dazu. Die Eltern sind wenig ausgeschlafen und werden sich abwechseln beim Fahren. Hey, das Wetter ist richtig gut! Ob Kachelmann doch unschuldig ist?
Da Steffi heute Morgen noch die Pferdchen besucht hat, musste ich auf Greta aufpassen. Dies jeden Tag zu tun, ist sicher kein Vergnügen. Greta ist wirklich wie Kater Findus. Wenn du sie bei Tisch nicht genug beachtest, fängt sie an, mit dem Löffel am Teller zu klappern, „langweilig“ ist eines ihrer Lieblingswörter. Der Kindergarten ist überfällig. Wenn es damit so weit ist, wird Stella aufs Schiller-Gymnasium gehen, das steht jetzt erfreulicherweise fest.
Greta hat immer noch Angst vor Jena. Sie wacht auf und sagt: Manchmal denke ich, ich sei in Jena, und es geht mir ganz schlecht. Das eigentliche Trauma dort war die gewaltsame Verabreichung der Magensonde durch die Nase. Das hat sie den Ärztinnen und Pflegern bis heute nicht verziehen. Dabei waren die letzten Ergebnisse aus Jena wieder sehr gut. Keine Leukämiezellen und nach wie vor hundertprozentiger Chimärismus.
Stella und Clara züchten Kaulquappen in Nutella-Gläsern. Leider sterben die Tiere, bevor sie Beine ansetzen, und das, obwohl sie mit großen Mengen Fischfutters gepeppelt werden. Die Kinder nehmen es hin. Mich erinnert das ein wenig an die peinliche Geschichte, als ich vor 25 Jahren einem krebskranken Freund ein wunderschönes Kugelglas mit Goldfischen darin geschenkt habe, um ihn aufzumuntern. Leider war das Becken nach wenigen Wochen verschwunden, und wir haben nicht weiter darüber geredet. Die Aktion muss wohl kontraproduktiv gewesen sein. Der Freund ist zum Glück noch heute putzmunter.
Steffi ist von der Stadt Leipzig fotografiert und sehr vorteilhaft getroffen worden. Für 15 Euro macht das heutzutage kein Fotograf mehr. Ich warte seit Oktober auf einen mutmaßlich viel kostspieligeren Bescheid. Der Kasten an der Kreuzung hatte mich gleich zweimal geknipst, aber vielleicht war das Nummernschild vor Dreck nicht lesbar. Der Pferdehof hat doch sein Gutes.

Sonntag, 16. Mai 2010

Mücken, Rauch und Katzenfutter

Sie begegnet euch sicher auch regelmäßig, die coole Mitt-dreißigerin, die nur mal eben schnell in den Aldi springt, um drei Sachen fürs Abendbrot zu holen. Für den klobigen Wagen ist man sich natürlich zu fein. Am Ende sind es doch eher zwölf Artikel, die fast bis zur Kasse balanciert werden, dann fällt alles runter, und das ist dann gar nicht mehr cool. Vor zwanzig Jahren habe ich noch beim Aufheben geholfen, heute lache ich laut und denke, selber schuld.
Ich kam diesmal knapp mit einem Wagen aus und habe 70 Euro eingesetzt – ganz ohne Wein, Schnaps, Kaffee, Flachbildschirm oder andere Extras. Steffi findet das ein bisschen eklig, wenn ich mit solch riesigen Mengen von Lebensmitteln ankomme. Sie wurzelt gedanklich noch in dem sicheren Gefühl, dass der Kühlschrank doch sowieso immer voll ist und dass man für das studentische Frühstück nur mal eben zum Bäcker laufen muss.
Allein das Katzenfutter. Auslachen lassen musste ich mich, als ich das erste Mal mit dreißig Döschen nachhause kam. Dabei reicht das höchstens zwei Wochen für das gefräßige Vieh.
Selbst im Billigsegment kriegst du jetzt schon alle Schnackelchen für den kleinen Liebling: Pute aktiv, Kükenbrust junior, feines Ragout für den Senior (wegen der Zähne!), Tofu-Pastete für die vegetarische Katze. Zum Glück frisst Benni nach zwei Jahren Bauernhof wirklich alles, was man ihm hinstellt. Denn er weiß jetzt: Jedes noch so minderwertige Menschenfutter ist zehnmal besser als eine echte Maus, die fast nur aus Fell, Knochen, Augen und Schwanzknorpeln besteht.
Wir haben am langen Wochenende alle miteinander ausgespannt, haben viel geschlafen, waren sozial mäßig aktiv. Steffi geht jetzt wieder jeden Tag zum Pferd, weil ihr jemand gesagt hat, dass sie Rooney mehr arbeiten müsse (man beachte den transitiven Gebrauch von „arbeiten“).
Greta Madita wiegt inzwischen ehrliche 16,3 kg und war am Samstag bei Neo Rauch im Museum. Mit der ihr eigenen Ungeduld rannte sie nur so durch und kommentierte ungnädig. Alles bloß geklaut, meint sie, hier Hoppers Nachtcafé, dort ein Dalí’sches Spiegelei, und guck mal, die Szene von Magritte und hier das Motiv von Max Ernst. Schon recht, sage ich, aber die Kompositionen sind doch trotzdem ganz originell. Da fragt Greta: Papa, warum hat der Mann so früh mit dem Spätwerk angefangen? Das Kind überfordert uns permanent. Am Sonntag sind wir dann lieber ins Rosental gegangen, weil das Wetter endlich besser war. August der Starke wollte dort übrigens vor dreihundert Jahren ein Lustschloss bauen, bezahlen sollten es die Leipziger. Doch das waren schon damals selbstbewusste Bürgersleute, unbotsam, geizig und pfiffig. Zehn Jahre lang verschoben sie die Grundstein-legung mit Verweis auf die zahlreichen Überschwemmungen in der Gegend, auf das Mückengeschmeiß und die vielen Räuber-banden, bis der starke Fürst die Lust verlor. Die Mücken gibt es immer noch. Die Rosental-Kicker halten sie wegen der Geschichte in hohen Ehren.

Freitag, 14. Mai 2010

Non Testata


Nachdem ich an dieser Stelle den Ruf der Familie über Jahre nach Kräften geschädigt habe, hier noch einmal schnell die Hitliste der nachgefragten Missverständ-nisse, um bei den verbliebenen Freunden zu retten, was zu retten ist.

Nein, die Jenenser Dorfstraße heißt nicht Dorfstraße, sondern Grietgasse.
Nein, die Pferde sind im Winter nicht steifgefroren. Man muss sie auch bei Frost füttern.
Nein, dass Scharnhorst durch einen Sachsen umgebracht wurde, ist nicht bewiesen, theoretisch könnte es auch ein Braunschweiger gewesen sein.
Nein, die Elternschaft der Lessing-Schule ist nicht fremden-feindlich. Die Container-Zwischenlösung kommt übrigens zum neuen Schuljahr tatsächlich.
Nein, Clara Carlotta ist in der Schwimmschule nie gequält worden.
Nein, Ronald McDonald, Kinderkrebshilfe und ähnliche Insti-tutionen haben nie genug Geld. Man könnte immer noch viel mehr für die Betroffenen und ihre Angehörigen tun.
Nein, Steffi Augusta hat kein Geld für ein monströses Stofftier ausgegeben. Der Tiger Pogrebniak wäre im Umzugs-Schutt gelandet, wenn Steffi und Greta nicht zufällig des Wegs gekommen wären.
Nein, ich habe Weihnachten 2009 keinen Kasten Paulaner leergemacht und würde solches auch gar nicht schaffen.
Nein, der Alte Dessauer konnte uns in Borkheide nicht besuchen, weil er vorher gestorben war.
Nein, Kater Benni ist zwar ein freundlicher Geselle, aber er kann definitiv nicht sprechen.
Hab ich noch was vergessen? Dass auf den Rheinwiesen schon im 19. Jahrhundert regelmäßig Fußball gespielt worden wäre, ist leider auch nicht bezeugt.
Und, ja doch, alle Menschen sind gleich gut. Sachsen und Preußen, Ossis und Wessis, Radfahrer und Automobilisten, Bahnfahrer und Vielflieger, Tierfreunde und Philanthropen, Männer und Frauen, am Ende sogar Kölner und Düsseldorfer.

Sonntag, 9. Mai 2010

200 Tage Knochenmarkstransplantation


Ich gratuliere allen, die in der nächsten Woche 40 Jahre alt werden. Leider sind wir ausgemachte Vierzigste-Geburtstag-Verweigerer und haben in den letzten fünf Jahren mindestens zehn dieser Dinger vergessen oder wissentlich ignoriert. Nur bei meinem eigenen war ich dabei. Was wir mit Steffis Ehrenfest im nächsten Jahr machen, wissen wir noch nicht. Wahrscheinlich ignorieren.
Übermorgen muss Greta nach Jena, zum 200-Tage-Jubiläum mit allen nötigen Routine-Untersuchungen. Greta hat keine Lust. Mit Jena verbindet sie doch traumatische Empfindungen. Irgendwann muss noch ihre Leber vom vielen Eisen befreit werden, das diese durch Medikamente und Bluttransfusionen massenhaft angereichert hat. Das wird eine mehrtägige Prozedur. Darüber wird in Jena zu reden sein und auch darüber, wie sich die Risiken des anstehenden Kindergartenbesuchs für das noch nicht perfekte Immunsystem darstellen.
Fortuna Düsseldorf ist schließlich drei Punkte und drei Tore hinter einem Relegationsplatz gelandet, das muss an dieser Stelle noch einmal gesagt werden. Ansonsten freuen wir uns natürlich darüber, dass Hannover 96 es geschafft hat.
Heute war ein nettes Kaffeekränzchen aus Braunschweig da. Alle freuen sich über Greta – und sind doch betreten, wenn sie nach längerer Zeit diese seltsam immaterielle, opake Gestalt sehen. Uns fällt das gar nicht mehr auf. Für uns ist Greta voll aus Fleisch und Blut und fällt uns sehr auf den Wecker. Die Tiere und die Kinder machen im Wonnemonat erst recht, was sie wollen. Auch Greta läuft am liebsten über den Küchentisch. Die Großen sind sonst wo in der Nachbarschaft und denken nicht mal daran, sich das Taschengeld abzuholen, geschweige denn an Muttertag. In der Schule sacken sie gerade völlig ab.
Wir haben uns ein Erziehungsbuch von Moritz Schreber gekauft. Das war ein kluger Leipziger und Vordenker der gleichnamigen Kleingartensiedlung. Moritz Schreber meint, dass man Kindern mit Gärtnerei Disziplin beibringen könne. Und wenn dies nichts hülfe, dann mit Korsetts, Schlägen und kaltem Wasser. Solche pädagogischen Ansätze sind in der modernen Erziehungsliteratur ganz zu Unrecht in Vergessenheit geraten.

Sonntag, 2. Mai 2010

Endlich Mai

Steffi, Stella, Clara, Greta und Rooney besuchten gestern das Scharnhorstfest in Großgörschen, wo die Leipziger den Tod des preußischen Generals 1813 durch die Kugel eines sächsischen Heckenschützen feiern. Sonst haben die Sachsen gegen Preußen ja selten einen Stich gemacht. Das Scharnhorstfest in Großgörschen ist also eines dieser Histofestivals, wo eine große Anzahl geschichts-, kostüm- und pferdeversessener Menschen hoffen, dass das Wetter gut bleibt. Die Kinder sind Autoscooter gefahren, Steffi hat befreundete Pferde aus ganz Deutschland getroffen.
Diesmal gab es beim Fest keine Schussverletzungen, hufbedingten Quetschungen oder karrenüberfahrene Gliedmaßen, sondern nur die übliche Häufung leichter Alkoholvergiftungen. Die Familie behauptete hinterher, im Baum einen Waschbären gesehen zu haben.
Der Vater saß Samstagnacht wieder im Schweine-Express durch den schönen Harz. Diesmal war es immerhin bis Hildesheim noch hell draußen. Die Mitreisenden waren zwar sehr laut, aber friedlich und fröhlich. Wer Samstag Nacht die Westzonen verlässt, ist in der Regel Dortmund-Sympathisant wegen Matthias Sammer. Und wer Dortmund-Sympathisant ist, freut sich natürlich über das Schalkesche Meisterschafts-Aus.
Greta muss am 11.05. ganztägig nach Jena, wo sie die Lumbal-Punktion 200 Tage nach KMT machen. So lange haben wir es schon geschafft. Danach ist über die Entfernung des Katheters zu reden. Vielleicht erleben wir diese noch im Berichtszeitraum.

Sonntag, 25. April 2010

Zweite Liga

Nach dem Unentschieden in Bielefeld ist der Aufstieg für Fortuna so gut wie vertan, was angesichts der Ressourcen und Kapazitäten gar nicht weiter schlimm ist.
In Düsseldorf wurde trotzdem ein rauschendes Fest begangen, nämlich der 90. Geburtstag von Opa Jo. 90 Jahre, das muss man erst mal schaffen.
Clara ist grippig und mag morgen nicht in die Schule. Steffi musste lange warten, bis ich aus Düsseldorf zurückkam und sie endlich zum Pferd durfte.
Der Vati ist etwas gerädert von den Zeitläuften und von den 2000 Bahnkilometern dieser Woche. Nur von Greta gibt es eigentlich nichts zu erzählen.

Sonntag, 18. April 2010

Lebenserwartungen

Dem Vetter in der Klinik geht es besser, danke der zahlreichen Nachfragen! Roland und ich nutzen das schöne Wetter für tusculanische Spaziergänge im Klinikgarten. Wir sind zuhause auch gefragt worden, was denn das Mal zu bedeuten habe, das Greta am 11. April auf der Stirn trug. Das ist lediglich ein Triceratops, ein Aufkleber von bemerkenswerter Dauerhaftung. Viele Freunde haben uns aber gar nicht erst erreicht, denn unsere Konnektivität ist mal wieder schlecht. Die Telekom-Tante hat erneut die Regie über den Anrufbeantworter übernommen, und es gibt Beschwerden darüber, dass Gespräche „einfach weggedrückt“ worden wären. Nun mag es sein, dass gelegentlich ein Kind den falschen Knopf erwischt, aber sehr wahrscheinlich ist das nicht. Sind doch gerade die Kinder viel zu neugierig auf den Anrufer.
Greta hält die 16 Kilo, das hat sie seit dem vorgestrigen Ambulanz-Termin amtlich. Sie strotzt vor Energie und muss dringend in den Kindergarten. Das Herzmittel Lanitop ist abgesetzt worden. Pantozol für den Magen wird wohl auch nicht mehr lange benötigt, auch nicht das Lebermittel Ursofalk. Über Jahre hinaus wird sie L-Thyroxin oder ähnliches für die Schilddrüse nehmen müssen. Außerdem noch bis ins nächste Jahr den antibiotischen Schirm, der das neue Immunsystem unterstützt. Auf Immunsuppressiva kann schon lange verzichtet werden, weil die neuen Abwehrkräfte bemerkenswert gut mit Gretas Körper harmonieren. Manche Medikamente haben richtig schöne Namen – Ursofalk, dein starker Bärenbruder. Ich mochte immer Vincristin besonders gern. So hieß nämlich meine Sommerfreundin damals, 1968, als ich ein wonniges Auslandssemester in Uppsala verbrachte.
Gemessen an dem, was Greta in den letzten zweieinhalb Jahren verabreicht bekommen hat, lebt sie nun mit geradezu homöopathischen Dosierungen. Trotzdem hat sie so viel Gift in sich, als hätte sie zwanzig Jahre gekokst, gefixt und Kette geraucht. Das heißt, sie hat jetzt ungefähr eine Lebenserwartung wie Bill Burroughs oder Keith Richards. Was ja gar nicht so schlecht ist.
Am Montag ist die Ur-Omi aus St. Michaelisdonn gestorben. Sie hat zu ihrem 91. Geburtstag noch einmal alle Angehörigen um sich versammelt und ist einfach davongegangen. Was für ein Schlusspunkt.

Sonntag, 11. April 2010

Alles wird gut



Greta hat gestern erneut eine Geburtstagseinladung wahrgenommen. Die Freundinnen sammeln sich im Viertel, morgen geht die Schule wieder los. Das wird diesmal besonders hart, denn der Ferienrhythmus war ein ausgeprägter und durch die Zeitumstellung noch forciert. Schlafen bis zum Mittag, dann den Pyjama gleich anbehalten, Abhängen vor den PCs für Spielen oder Filmkonsum, zwischendurch mal ein Nutellabrot. Abends dann Party, wenn der Vater ins Bett will. Eines ist sicher, die Großen gehen morgen ausgeruht in die Schule.
Den Katzen geht es auch gut. Benni, Billy und mutmaßlich drei bis vier weitere Reviertiger liefern sich Grabenkämpfe in unserem Keller. Die letzte Nacht war voll des Geschreis, am Morgen fanden sich ausgerissene Fellstücke unterschiedlichster Färbung. Ich brauche dringend einen verschließbaren Schrank, um meine Klamotten zu schützen. Wie gut, dass der Großteil der Familie sich ganz sicher ist, mit Tieren leben zu wollen.
Es wurde eine weitere Mehrheitsentscheidung getroffen. Am 24.10. werden alle dann noch lebenden Schmal-Töchter in der Thomaskirche getauft. Definitiv. Sollte es Greta wieder schlecht gehen, kann sie die Gelegenheit nutzen, sich von der Großfamilie zu verabschieden. Im Moment sieht es allerdings eher nach einem fröhlichen Ereignis aus.
Statt nach München zu fahren, entschied sich unser Osterbesuch am Mittwoch dazu, sich mit Meningitis ins Krankenhaus zu begeben und dort auf das Abklingen der Kopfschmerzen zu warten. Die Schmal-Familie hat davon nur profitiert, denn auch Rolands Familie ist bis Samstag dageblieben. Vor allem der 13-jährige Pablo ist bereits eine ganz große Nummer bei den Mädels.
Das Klinikum St. Georg ist ein wirklich schönes, altes, großes Krankenhaus, mit vielen Bäumen auf dem Gelände, hohen Räumen, großen Fenstern, sehr viel Ruhe und Sachlichkeit ausstrahlend, ganz ohne diesen bunten Kram an den Wänden. Es ist sehr erholsam, mal nicht in eine Kinderklinik gehen zu müssen. Roland und ich nutzen die Gelegenheit und spielen Letra Mix, wie in alten Zeiten.

Montag, 5. April 2010

Osterfreude in Borkheide


Wir haben wieder einen schönen Großfamilien-Ostersonntag in der Brandenburger Streusandbüchse zugebracht, echtem Preußenland. Der Alte Dessauer kam auch vorbei, brachte Gose mit und erzählte spannende Anekdoten von Kesselsdorf.
Greta hatte phasenweise sehr schlechte Laune. Wir saßen kaum beim Mittagstisch, als sie brüllte: „Ich will jetzt nachhause fahren!“ und zum Auto stapfte. Später zerbrach ein Badminton-Schläger, der in ihrer Nähe gelegen hatte. Die Kleine ist vielleicht doch stärker desozialisiert, als wir das im Alltag wahrnehmen. Wir werden überhaupt immer mehr zu Paradiesvögeln. Das liegt nicht nur an der äußerlichen Normabweichung zweier Töchter. Es hätte auch niemanden mehr gewundert, glaube ich, wenn wir unser Auto als großes buntes Osterei verkleidet hätten.
Letztlich konnten sich alle Kinder austoben, waren am Ende des Tages völlig bedient. Stella und Clara sind tatsächlich urlaubsreif, was praktisch ist, denn sie haben nun Urlaub. Sie sitzen am liebsten vorm Film. Wenn ich ins Zimmer gehe und sie höflich anspreche, bekomme ich sehr schnell den höflichen Hinweis: „Papa, wenn du rausgehst, mach bitte die Tür zu.“
Greta ist von Hochform noch weit entfernt. Wir haben eine neue, bessere Waage gekauft, die auch tatsächlich höhere Werte liefert. Trotzdem liegt Greta nur noch bei 15,5 Kilo. Am Mittwoch ist wieder Ambulanz-Termin.
Null zu null ist es ausgegangen, das Top-Duell zwischen Lok und Chemie. Punkt- und torgleich fast beschließen sie gemeinsam das Mittelfeld der Liga. Na und? Schlechter geht’s immer. Jeder Punkt zählt.

Donnerstag, 1. April 2010

Spielwiese

Wisst Ihr eigentlich, woher die Tradition der Aprilscherze kommt? Die meisten Menschen glauben, dass sich dies von den erwartbaren Wetterkapriolen jenes Monats ableitet, doch das ist ein Irrtum, denn das Klima spielt hier nur eine Nebenrolle. Die kulturhistorische Wahrheit sieht folgendermaßen aus: In den letzten Jahrzehnten des vorvergangenen Jahrhunderts war Düsseldorf, wie man weiß, eine blühende Stadt, die sich in Handel und Gewerbe vielen segensreichen Einflüssen von außen öffnete. Zuerst waren es nur englische Hafen-Kontoristen und polnische Rübenpflücker, die sich sonntags auf den Rheinwiesen zu einem neuartigen, etwas kuriosen Spiel trafen, in dem es für zwei Mann-schaften darum geht, sich um eine lederüberzogene, luftgefüllte Guttapercha-Kugel zu streiten, die mit allen Körperteilen berührt werden darf, außer mit Arm und Hand.
Für den Sommer 1886 verzeichnet der Stadtschreiber bereits 32 regelmäßig spielende Gruppierungen zwischen Kaiserswerth und Benrath. Nun waren damals die Winter noch hart, und die Wiesen wurden erst nach Frühlingsanfang wieder gesenst. Pünktlich am ersten Sonntag des Monats April aber trafen sich alle „Fußballer“, so nannten sie sich, und stießen die neue Saison an. Es war dies der einzige Sonntag des Jahres, an dem man schon vor dem Anpfiff mit dem Altbier begann. Nach der langen Winterpause war ohnehin keiner fit. Man neckte einander ob der frischen Bäuchlein, spottete über Stolperer, lachte über Fehlpässe und andere Ungeschicklichkeiten, und zwar meist mit den Worten „April, April!“ Dies wurde zum running gag, den die Männer in Kontore und Fabriken trugen, auf die Felder und die Rheinschiffe. Von dort breitete sich der Brauch der kleinen Fopperei in die ganze Welt aus. So war das damals.

Sonntag, 28. März 2010

Bald keine Neuigkeiten mehr

Greta ist meistens fröhlich und munter. Sie geht in den Zoo, sie fährt alleine Fahrrad (wenn man ihr beim Aufsteigen geholfen hat und wenn man das Stehenbleiben und Umkippen abfängt). Sie isst und trinkt einigermaßen ausreichend. Favoriten sind im Moment Kakaomilch mit Sahne aus der Baby-Flasche, Pommes Frites, Pfannkuchen und entstieltes Stieleis, gerührt und halbgetaut aus der Schale.
Die Fixierung auf die Kindernahrung führt im Haushalt logischerweise zum Zielkonflikt. Greta nippt am Fanta-Glas – Stella trinkt es leer. Greta isst einen knappen halben Pfannkuchen, fein dünn und kross gebraten – Stella und Clara futtern die großen, dicken, weichen Exemplare aus dem Rest des Teiges. Das Nutella-Glas steht dauernd auf dem Tisch, Greta nimmt nur gelegentlich eine Messerspitze davon zu sich, Stella und Clara hingegen ... Immerhin hilft die neue Personenwaage, die allgemeine Gewichtszunahme sauber zu dokumentieren.
Gretas Gewichtsproblem ist durchaus noch ein Engpass. Erst wenn da der Trend positiv ist, können die vorläufig letzten Schritte, Zahnsanierung und Entfernung des Katheters, terminiert werden. Vielleicht gibt es im Mai noch ein MRT.
Wie ihr merkt, werden die Greta-Meldungen immer uninteressanter, und wir wollen natürlich alle, dass dies so bleibt. Deshalb, liebe Leute, habe ich mal in den Kalender geschaut. Kurberichte ab Ende Juni interessieren niemanden mehr, weil es dort wieder nur um Hallenfußball, die Schönheit des Weserberglandes, um karge Klinikkost, Hallenfußball, Schwimmgeschichten, therapeutische Skatrunden und schließlich um Hallenfußball gehen würde. Davor, ab dem 11.06., haben wir alle ohnehin ungleich wichtigere Dinge zu tun als Posts zu lesen und zu schreiben. Deshalb werde ich mich am Sonntag, dem 6. Juni, vorläufig von diesem Kanal verabschieden. Sollte Greta einen Rückfall bekommen, meldet sich der Chronist zurück und wird den Weg mit euch bis zum Ende gehen.

Mittwoch, 24. März 2010

Benni


Seit gestern ist Benni ist wieder da. Greta war auf dem Hof und konnte ihn leicht dazu überreden, zurück-zukehren. Die Frauen sind überglücklich. Für die Frauen sind Tiere ja besonders wichtig. Nun wollen wir hoffen, dass der Kater weder Tollwut noch Flöhe noch Toxoplasmose hat.
Benni benimmt sich so, als wäre er nie weg gewesen. Selbst mich, der ich keinen Ruf als Tierfreund erworben habe, nimmt er als alten Gefährten wahr. Wir haben am ersten Abend lange bei Buttermilch und Spaghetti gesessen und geredet. „Weißt du, Stephan“, sagt Benni, „ich habe nachgedacht. Ich hatte eine gute Zeit da draußen, war mein eigener Herr, habe gejagt und bin nachts auf die Rolle gegangen. Aber ich war ziemlich einsam. Nun bin ich fast sieben Jahre alt, das entspricht ungefähr 45 Jahren bei euch Menschen. Ich möchte irgendwo zuhause sein, mir einen Bauch anfressen und alt werden. Bei euch kann ich das, deswegen bin ich zurückgekommen.“

Sonntag, 21. März 2010

Frühlingsanfang

Die medizinischen Meldungen sind unspektakulär. Gretas Gewicht dümpelt bei knappen 16 Kilo, was die Ärzte gerade noch tole-rieren. Das heißt immerhin, dass sie fast schon genug isst und trinkt. Das liegt auch daran, dass der Softeis-Mann auf der Waldstraße wieder geöffnet hat, wo sich Greta jetzt täglich Kalorien holt. Für umfassende Aktivität reicht die Nahrungsaufnahme jedenfalls. Man erlebt das ja oft, dass kleine dünne Menschen einen besonders großen Aktionsradius haben, bei Lionel Messi ist das auch nicht anders. Wenn man rechnerisch jedem Menschen ein ganzes Leben zuschreibt (was ja ungefähr hinkommt), dann haben diese spillerigen Menschen logischer-weise einen größeren Anteil Leben pro Kubikzentimeter.
Clara beschwert sich nun wirklich manchmal über die Miss-achtung ihrer Person. Der ganze Hype um Greta, dann das Getue wegen Stellas Schullaufbahn, und was ist mit mir? Immerhin behauptet sie, dass sie das beliebteste Kind in ihrer Klasse sei – und das auch noch in Anwesenheit von Klassenkameradinnen. Langfristig muss man sich um ihr Selbstvertrauen wohl keine Sorgen machen. Wahrscheinlich hat sie sogar Recht. Alle mögen Clara.
Der Vater war gefühlte vier Wochen im Westen, hat Lachs gefuttert, Kölsch getrunken und Sozialleben nachgeholt. Dadurch hat die Didacta erstmals 100.000 Besucher gesehen und wurde ein Bombenerfolg. Im Rheinland war es diesmal volle zehn Grad wärmer als in Leipzig.
Samstag Nacht war Papa wieder zuhause – 45 Minuten früher als geplant, denn der letzte Zug ließ Halle aus. Die Verspätung vor Bad Hersfeld war in Eisenach wieder egalisiert, und der Zugchef verkündete „Liebe Gäste, unser Lokführer hat sich so angestrengt, dass ...“ Ja, liebe Autofahrer und Vielflieger, das gibt es durchaus in dieser schönen Republik: nette Schaffner und überpünktliche Züge. Tatsächlich erreiche ich den Endbahnhof Leipzig regelmäßig ein paar Minuten vor der Zeit. Und freue mich dann, wenn ich wieder im Waldstraßenviertel bin.

Montag, 15. März 2010

Freiheit

Die Betreuungsfrage für diese Woche hat sich angenehm geklärt. Der PEG-Termin ist ausgesetzt und Greta heute entlassen worden, nachdem sie am langen Wochenende kaum abgenommen hatte. Wann war doch gleich die Aufnahme in Jena gewesen? Am 13.10. Fünf Monate sind es schließlich geworden.
Natürlich bleibt die Ernährung eine Baustelle, Greta muss noch einige Medikamente nehmen, und am Donnerstag wird sie in der Ambulanz erwartet. Aber nun wird Frühling. Endlich gibt es wieder saftigen Regen.

Sonntag, 14. März 2010

Aufstieg in Reichweite

Der Einbau der PEG bei Greta ist verschoben worden, erst auf Freitag, nun auf kommenden Mittwoch. Die Ärzte sind sich gerade nicht mehr so sicher, ob dieser Eingriff wirklich nötig ist. Die Leber hat sich nicht weiter vergrößert, sondern ist leicht geschrumpft. Erstmals haben wir leihweise eine Personenwaage im Haushalt. Mit Limo, Kakao, Vanillesauce, Eierkuchen, Gummiwurst und edlen Säften werden gewisse Erfolge erzielt. Vielleicht kommen wir tatsächlich um die PEG herum.
Greta darf dieses Wochenende zum ersten Mal zwei Nächte hintereinander zuhause bleiben. Sie hat anderthalb Tage lang sensationell gut mit Clara gespielt, nicht nur zu zweit am PC gedaddelt, sondern richtig anspruchsvolle Rollenspiele gemacht, stundenlang. Stella war das Wochenende bei einer Freundin. Die Dreizahl von Kindern ist ja manchmal problematisch.
Wenn Greta doch die PEG bekommt, wird Steffi nächste Woche kräftig improvisieren müssen, denn ich verabschiede mich am Dienstag zur heiligen Messe, dem Höhepunkt des Arbeitsjahres, noch dazu in Köln. In anderen europäischen Sprachen ist das entsprechende Wort bekanntlich verwandt mit "Ferien". Mein schlechtes Gewissen hält sich trotzdem in Grenzen.
Billy the Cat war da, jene inoffizielle Kostgängerin vergangener Jahre, die die Kunst beherrscht, eine geschlossene Tür durch Sprung an die Klinke zu öffnen. Wahrscheinlich hat sie den Blog gelesen und weiß daher, dass Katzen wieder willkommen sind. Pogrebniak wahrte würdevoll Distanz und ließ die kleine Base gewähren. Billy war zutraulich wie früher, füllte sich den Wanst mit alten Bockwürstchen, Milch und Fischstäbchen, wärmte sich auf, schlief die Nacht auf der Mikrowelle und verschwand dann wieder.
Am Mittwoch habe ich gleich zwei Antworten auf die Frage bekommen, warum in Leipzig so selten Blinde Passagiere erwischt werden: 1. Sie kontrollieren viel, mich nämlich schon zum vierten Mal dieses Jahr. 2. Sie gucken nicht so genau hin. Ich bin nämlich auf Kinderkarte gefahren und habe es selbst erst hinterher gemerkt.
Das war’s dann wohl: RasenBall Leipzig schlägt auswärts den starken Zweitplatzierten Budissa Bautzen. Nun steht dem Aufstieg in die Regionalliga nicht mehr viel im Weg. Kein Wunder, der überragende Tormann ist ein alter Fortuna-Spieler.

Sonntag, 7. März 2010

Fingerübungen


Clara hat begeistert ihre zweite Klavierstunde absolviert. In einen Robert ist sie auch gerade verknallt, und das mitten in Leipzig, ist das nicht hübsch? Sollte sie am Piano Talent haben, dann muss es von ihrem seligen Großvater meinerseits kommen. Von diesem Herrn ist hier auch deshalb zu reden, weil er heute hundert Jahre alt wird.
Großvater Hanns war semiprofessioneller Pianist, Literat und Sportfunktionär, im Hauptberuf natürlich Deutschlehrer, der jeden Tag drei Stunden Mittagsschlaf gehalten hat. Irgendwann hat er in einem längst untergegangenen Verlag ein Bändchen mit Diktaten veröffentlicht.
Meine Lieblingsanekdote: Wie der Leipziger heute an Wintersamstagen früh mit dem Zug ins Erzgebirge fährt, um dort ein paar Stunden Ski zu laufen und seine Gesundheit zu riskieren, so fährt man seit unvordenklichen Zeiten von Düsseldorf aus ins Sauerland. Mein Vater fuhr also am 10. Februar 1951 mit drei Sportsfreunden und vier Paar Skiern frühmorgens nach Winterberg. Als die Männer dort ankamen, stellten sie ihre Skier im Bahnhof ab und setzten sich erst mal ins nächste Café zum Aufwärmen. Einer hatte ein Skatspiel dabei. 53 Runden später holten die vier ihre Skier und bekamen gerade noch den letzten Zug nach Düsseldorf. Die schöne Frau auf dem Foto hat zu dieser Zeit übrigens in Leipzig gewohnt.
Opa Hanns war also richtig musikalisch. Der Sohn hat jahrelang Klavierunterricht bei Papa genossen und war so talentiert, dass er noch Jahrzehnte später Weihnachtslieder fast flüssig beidhändig spielen konnte. Es ist also durchaus möglich, dass Clara Begabung geerbt hat. Zum Glück ist uns ein E-Piano zugeflogen, das man auch leise stellen kann, so dass die plötzlich ausgebrochene Musikalität nicht allzu hart für die Nachbarn wird.
Stella hat dann doch eine glatte Gymnasialempfehlung bekommen. Und dazu eine Eins in Sport. Was will man mehr? Jetzt geht’s geradewegs auf’s Schiller.
Greta bekommt am Mittwoch eine PEG gelegt. Damit sind wir ernährungstechnisch aus dem Schneider und werden dann sicher sehr bald richtig entlassen. Die Diagnoseergebnisse von letzter Woche, Szintigraphie und MRT, sind mit uns noch nicht besprochen worden. Im Vorbeigehen war die Rede davon, dass sich anscheinend nicht groß was verändert hätte. Wirklich beruhigen kann das noch nicht. Greta ist allerdings guter Dinge und hat am Wochenende erstaunlich konstruktiv mit Clara gespielt, die ja nun immerhin schon acht Jahre alt ist. Stella war die meiste Zeit unterwegs. Steffi hat am Wochenende ein paar Mal ihr Pferd durch den Schnee gejagt, ich habe Stieg Larsson gelesen. So lässt es sich aushalten.

Sonntag, 28. Februar 2010

Warme Winde

Mittwoch und Donnerstag haben sie bei Greta MIBG-Szintigraphie gemacht, jene Diagnose mithilfe eines Hormons, das sich in den Krebszellen anlagert und das für dieses Verfahren einen radioaktiven Stoff Huckepack nimmt, den man dann abfotografieren kann. Steffi behauptete am Donnerstag, sie hätte deutlich weniger Leuchtpünktchen gesehen als beim letzten Mal im Oktober. Ich glaube ja nicht, dass der Laie das sieht. Wir könnten damit zufrieden sein, wenn sich die alten Krebsnester nicht weiter verändert haben. Sollten sie tatsächlich signifikant geschrumpft sein, dann hieße das wohl, dass die Intensivchemo im Zuge der KMT auch gegen die Neuroblastomreste noch Wirkung getan hat. Vielleicht hieße das sogar, dass das neue Immunsystem Möglichkeiten der Krebsbekämpfung hat, die Gretas Leukozyten zuvor nicht zur Verfügung standen. Das wäre ein echter Big Point, sagt mir mein Laienverstand. Aber die amtlichen Ergebnisse stehen noch aus.
Baustelle bleibt die Ernährung, die der einzig verbliebene Grund dafür ist, dass Greta im Prinzip noch stationär behandelt wird. Die Ärzte legen uns jetzt die PEG nahe. Das heißt Perkutane Endoskopische Gastrostomie und bedeutet, dass dem Kind über einen langen Zeitraum per Sonde durch die Bauchhaut Nahrung zugeführt würde. Das wäre besser als die iv-Ernährung, die auf Dauer die Leber schädigt. Außerdem ist Greta mit dem Gewicht an der Untergrenze und hätte einer schweren Infektion nicht mehr viel entgegenzusetzen, sagen die Ärzte. Dafür ist sie allerdings erstaunlich munter.
Wir wollen noch nicht so ganz glauben, dass wir es nicht mit normaler Ernährung schaffen. Schokoküsse, Nutella mit dem Löffel, Erdnussbutter creamy, Sahne-Shakes, Malzbier, Cola, ... Wie kriegt man bloß Kalorien in das Kind hinein? Hat jemand eine Idee? Wir kaufen zur Not auch ein Waffeleisen.
Das Wochenende war erfreulich ereignisreich und brachte zwei schöne Familienausflüge zu fünft mit sich, wie wir sie Monate lang nicht genießen konnten.
Gestern Vormittag war ich mit Stella zum Tag der Offenen Tür im Schiller-Gymnasium, nur vier Tram-Stationen von uns entfernt. Stella dachte erst, Schiller sei ein Komponist, aber das wurde zum Glück nicht abgefragt. Die Schule ist nicht Elite, bietet aber Latein an und hat ein wundervolles Türmchen, dessen Bau der Gründungsdirektor vor hundert Jahren durchgesetzt hat, weil er ein Hobby-Astronom war. Stella hat es dort sehr gut gefallen.
Der Frost hat schwere Wunden im Asphalt hinterlassen, und wir haben einen Reifen kaputtgefahren. Unsere Werkstatt musste ziemlich lange bei den Großhändlern herumtelefonieren, denn Ende Februar will kein Mensch mehr Winterreifen haben. Im Moment ist es warm und windig, fast Föhn-Wetter. Das Frühjahr kann kommen.

Wohnungsnot



Ich dachte erst, es sei ein Scherz, als ich Mittwoch nachhause kam und über einen großen Sack stolperte, der auf den ersten Blick aussah wie ein Zebra. Als der Sack mir dann zur Begrüßung die Pfoten auf die Schultern legte und mich anfauchte, wusste ich es besser. Wir haben einen neuen Mitbewohner.
Die Geschichte ist einfach. Unser umtriebiger Zoodirektor braucht Platz für sein neues Gondwana-Land und will Tiere der nördlichen Hemisphäre loswerden. Da er aber nicht wieder zum Buhmann der Stadt werden will, lässt er diesmal die streichel-baren Tiere nicht erschießen, sondern an Schulen versteigern. Steffi, Stella, Clara und Greta haben den sibirischen Schneetiger also auf dem Schulhof der Lessing-Schule ersteigert. Es gab fünf Bieter. Ich fürchte, es wird ein hoher dreistelliger Betrag abgebucht werden, Steffi redet nicht gerne über diese Dinge. Sie hat zuvor im Krankenhaus gefragt, und drei von fünf behandeln-den Ärztinnen haben es nicht verboten, dass Greta wieder mit einer Katze im Haushalt zusammenlebt, sagt Steffi.
Der Tiger heißt Pogrebniak. Das ist Russisch. Ich weiß nicht, ob das sein Vor- oder Nachname ist, aber bei Tigern ist das ja nicht so wichtig. Genau genommen ist Pogrebniak ein sibirischer Zwergtiger, hat Herr Junold auf dem Schulhof erklärt, dessen Längenmaß auch im ausgewachsenen Zustand 3,20 m bis Schwanzspitze nicht überschreiten wird. Deshalb darf er nach dem internationalen Artenschutzabkommen von Woodstock in Stadtwohnungen gehalten werden. Es reicht, sagt Herr Junold, wenn wir drei- bis fünfmal am Tag mit Pogrebniak im Rosental Gassi gehen.
Dennoch können wir ein langfristiges infrastrukturelles Problem nun nicht mehr leugnen. Erstens: Der Tiger braucht ein eigenes Zimmer mit abschließbarer Tür. Zweitens: Wir werden wahrscheinlich fünf menschliche Personen bleiben und müssen also auch für Greta ein Zimmer dauerhaft einplanen. Drittens: Zwischen Stella und Clara schwelt schon jetzt ein Zickenkrieg um das gemeinsame Zimmer. Clara wich zuletzt regelmäßig auf das weinrote Sofa im Mehrzweckzimmer aus, das jetzt auch Pogrebniak mit Beschlag belegt. Ursprünglich war das Papas Lieblingsplatz, und Papa kriegt schlechte Laune, wenn er abends am Küchentisch lesen muss. Viertens: Clara hat das Klavierspielen entdeckt, aber das ist eine andere Geschichte.
Was ich sagen wollte: Wer eine schöne kleine preiswerte 200-qm-Wohnung im Waldstraßenviertel kennt, die bald frei wird, der möge sich bei uns melden.

Sonntag, 21. Februar 2010

Was hat das alles mit mir zu tun?

Die letzte Nacht hat Greta wieder zuhause verbracht, aber vorläufig bleibt das noch die wochenendliche Ausnahme. Im Normalfall fährt Steffi sie abends in die Klinik, bleibt bis zum Einschlafen bei ihr und holt sie am nächsten Tag nach diversen Anwendungen gegen Mittag nachhause. Für Steffi ist das schon eine klare Verbesserung der Situation, für mich allerdings noch mehr, weil die Betreuungswochenenden in der Klinik, die mein Part waren, ersatzlos wegfallen. Trotzdem freuen wir uns natürlich auf die richtige Entlassung, der nach wie vor die Ernährungssituation und ein nachts iv-verabreichtes Antibiotikum entgegenstehen.
Am Dienstag kamen Stella und Clara sehr belebt aus der Geschwisterfreizeit im Harz. Dort haben sie Bergwerke besichtigt und viel Spaß gehabt. Witze haben sie sich auch erzählt. Neues Format: „Deine Mudder“, politisch überhaupt nicht korrekt und ungefähr das, was bei uns die Ostfriesen waren. „Deine Mudder is so doof, die setzt sich auf den Fernseher und guckt Sofa.“ Oder: „Deine Mudder is so fett, wenn die sich im schwarzen Badeanzug an den Strand legt, kommt das Greenpeace-Schiff und zieht sie ins Meer.“ Ungefähr 50 von der Sorte haben sie beim ersten gemeinsamen Abendbrot zum Besten gegeben. Auch Ski gelaufen sind sie im Harz. Clara will jetzt eine eigene Ausrüstung haben, oh Graus! In Sachsen ist dieser Sport ziemlich populär. Ich dachte immer, die stehen hier mehr auf Schießen, Speerwerfen und Gewichtheben.
Wenigstens die Kinder führen wieder ein halbwegs normales soziales Leben. Greta war am Dienstag „bei ihrer Freundin Lea“ in der Nachbarschaft. Alleine, zwei Stunden lang. Ich kann nicht wirklich erklären, wie diese Freundschaft entstanden ist in den letzten zwei Jahren, jedenfalls war Greta dort. Das Wochenende war ebenfalls angefüllt mit Kinderbesuchen einschließlich Übernachtung. Sonntag Mittag freilich saßen vier Kinder maulend und aufeinander schimpfend in vier verschiedenen Zimmern. Auch das gehört dazu. Danach war Greta ziemlich müde, hat lange geruht und mochte nicht laufen. Nach der langen Pause wollte sie natürlich auch nicht in die Klinik zurück und haderte lautstark mit ihrem Schicksal.
Gestern war es leicht vorfrühlingshaft. Auf dem Liviaplatz lugte bunter Silvestermüll aus den Schneeresten. Ich habe das Fahrrad aus dem Keller geholt und es mit Greta geputzt und eingefettet. Danach bin ich wie ein kleiner Junge zu Weihnachten mit dem blinkenden Rad eine Runde um den Block gefahren. Ohne Handschuhe. Heute flockt aber schon wieder dieses weiße Zeug vom Himmel.

Sonntag, 14. Februar 2010

Erste Nacht zuhause

Alles wird besser, außer das Wetter. Zum Glück interessie-ren uns gewisse Dinge einfach nicht, dazu gehören Karneval und Olympiade. Das beste an dieser Jahreszeit ist der Geburtstag meiner Frau, der sich gestern dadurch auszeichnete, dass Greta zum ersten Mal seit vier Monaten zuhause übernachten durfte. Täglichen Freigang hat sie ja schon seit anderthalb Wochen, am Mittwoch wurde die Darmsonde gezogen. Hoffentlich wird uns nicht langweilig bei so viel Normalität.
Die Rückenmarkspunktion am Dienstag ergab eine erneute Bestätigung von hundertprozentigem Chimärismus (also Umwandlung vom angestammten Blutbildungssystem in jenes vom Spender), was keineswegs selbstverständlich ist. Außerdem gibt’s keine Leukämiezellen und keine Neuroblastomzellen, alles prima soweit.
Ich hatte mein erstes freies Wochenende seit Menschengedenken - und prompt die erste Grippe seit der Kur im Juni. Das ist nicht tragisch, sondern typisch für solche Abschlaff-Phasen. Tut mir Leid, wenn der Post heute etwas flau ausfällt, ich brauche normalerweise mein Sonntags-Läufchen, um Ideen zu entwickeln.
Freitag bin ich zum zweiten Mal in der Straßenbahn kontrolliert worden. Die LVB kennt da kein Erbarmen und hat ihre Controllettis sogar am 11. Januar den Prügeln der Massen ausgesetzt, als der Straßenbahnverkehr winterbedingt komplett zusammengebrochen war und die Gäste nach teilweise mehrstündiger Verspätung nicht auch noch Fahrscheine zeigen mochten. Im Normalbetrieb gibt es schon wieder einen wichtigen Unterschied zu vermelden: Im Westen fischen die Trupps immer mindestens einen Schwarzfahrer aus jedem Waggon. In Leipzig habe ich bislang noch keiner einzigen Überführung beigewohnt. Was lehrt uns das? Die Leipziger Straßenbahngäste sind wohl-habender als im Westen und können sich die Tickets leisten. Die Straßenbahngäste im Osten sind obrigkeitstreuer als im Westen und trauen sich nicht, schwarz zu fahren. Die Kontrollen in Leipzig sind so engmaschig, dass Schwarzfahren einfach unrentabel ist. Wahrscheinlich lehrt uns das gar nichts.
Ich habe meine Agatha-Christie-Phase vorläufig beendet. Irgendwann hat man genug von alten Tanten, skrupellosen Hausärzten und gefälschten Testamenten. Stieg Larsson ist schon eine andere Nummer und hat den aktuellen Hype durchaus verdient.

Das Leben wird bunter

Die Lenger-Schmal-Lenger-Drillinge

Endlich wieder mit den Schwestern im Rosental

Greta füttert das südfriesische Zwerg-Yak.

Wohin geht die Reise?

Sonntag, 7. Februar 2010

Die härteste Zeit geschafft?

Seit Mittwoch befindet sich Greta in einer Art von offenem Vollzug. Sie bekommt täglich Hafturlaub und darf nachhause. Das gefällt ihr gut, und sie war gleich mächtig aufgedreht. Inzwischen kann sie herumkeifen und rennen. Fangen Spielen geht wieder, Hüpfen auf der Kellermatratze, das körperliche Repertoire ist ganz schnell wieder da. Schon erstaunlich, was der gestresste Körper leistet.
Sechzehn Wochen geschlossene Anstalt sind es nun geworden – wie gut, dass uns im September niemand gesagt hat, dass die intensive Behandlung erst Anfang Februar zuende gehen würde. Es ist doch wirklich gut, dass man nicht in die Zukunft schauen kann. Deshalb schauen wir gerade sehr optimistisch in die Zukunft.
Seit Freitag sind auch noch Schulferien. Es gibt selbst in Sachsen übermütige Menschen, die in Ski-Urlaub fahren oder ähnlich unvernünftige Dinge tun. Bei uns sorgen die Schwiegereltern zusätzlich dafür, dass die Lage gerade sehr entspannt ist. Wenn sich der Trend hält, werde ich nächstes Wochenende – Stella und Clara sind dann auf Geschwisterfreizeit – anfangen, wieder richtig zu telefonieren.
Stella hat eine Eins in Sport bekommen. Das muss mir mal einer erklären. Auf jeden Fall ist das prima. Wer immer mir jetzt einreden will, dass meine große Tochter zu dick sei, dem sage ich: Was willst du, Stella hat doch eine Eins in Sport! Hoffentlich kommt jetzt keine Sportmittelschule auf uns zu, die das Kind für ein Leistungszentrum für Kugelstoßer- oder Gewichtheber-nachwuchs keilen will. Ihr Zeugnis sieht knapp gymnasial aus, aber die Entscheidung ist noch nicht gefallen.
Neulich wurde ich zwei Stunden lang von einer aufgeweckten Sozialpädagogik-Diplomandin interviewt, die über Krebs-Väter handelt und deren Situation verbessern will. Bisher gibt es dazu anscheinend keine Studien. Breit untersucht sind die Befindlichkeiten von Krebskindern, Krebskindergeschwistern und Krebskindermamis. Die Väter werden meist gefragt: Und wie wird deine Frau mit der ganzen Belastung fertig? Möge die neue Studie nützen. Väter werden immer noch unterschätzt.

Sonntag, 31. Januar 2010

Tag Hundert

Heute haben wir den Tag Hundert nach der Knochenmarks-transplantation erreicht. Das gilt als wichtig, ohne dass ich genau erklären könnte, warum. Dieses Jubiläum wird zum Anlass genommen, Anfang nächster Woche die dritte Rückenmarks-punktion zu machen – einer der Gründe dafür, dass Greta noch immer auf Station ist. Der zweite Grund sind drei oder vier Medikamente, die noch durch ihren Tropf laufen, in den nächsten Tagen allerdings reduziert werden. Der dritte Grund ist ihre noch immer mangelhafte selbstständige Nahrungsmittelaufnahme. Hier könnte man das Risiko eingehen und die Darmsonde ziehen, das Kind einfach zuhause dem Einfluss seiner gefräßigen Schwestern aussetzen und schauen, was passiert. Infekte sind zuletzt ausgeblieben, der Allgemeinzustand ist deutlich verbessert, die Betreuung des unternehmungslustigen Kindes in der Klinik zunehmend anstrengend. Der Renner an diesem Wochenende war Sagaland, unter harten Wettbewerbsbedingungen. Ich hätte gar nicht gedacht, dass Fünfjährige das spielen können. Es bleibt dabei, dass in Gretas Kopf bislang nicht viel kaputt gegangen sein kann.
Hoffentlich kommt irgendwann wieder eine Zeit, wo man sich auf die nähere Zukunft freuen kann. Im Moment ist es wie bei der Bundeswehr. Wieder eine Woche, wieder ein Monat herum. Ich könnte mir ein Maßband in die Tasche stecken zum Tage-Abschneiden, der Unterschied: Es gibt keinen Entlassungstag. Wenn ich erzähle, wir waren sechs oder acht Wochen am Stück in der Klinik, höre ich: Oh je, Ihr Armen!, weil sich jeder vorstellen kann, dass das ungefähr zweimal Sommerurlaub ist. Wenn du aber was von sechzehn Wochen erzählst, denken die Leute: Schön, dann habt Ihr euch ja anscheinend gut eingerichtet in der Situation. Mit der Zeit wird es einfach langweilig, vor allem für die Außenstehenden.
Ich interessiere mich wie nie zuvor für Wetter und Jahreszeiten. Endlich der Januar geschafft. Inzwischen ist es morgens um sieben bei klarem Himmel schon ein bisschen dämmerig, bei euch in Köln dagegen noch stockfinster. Wahrscheinlich deshalb wirbt der Osten mit „Wir stehen früher auf“. Spötter haben daraus „Wir stehen auf Früher“ gemacht, was völlig unberechtigt ist, denn wir sind hier erfreulich traditionsarm. Da wird so lange gewerkelt, bis die Strukturen stimmen. Deswegen hat Sachsen auf Pisa reagiert. Seit 2006 gibt es offiziell „Gemeinschaftsschulen“, weil Durchlässigkeit und individuelle Fördermöglichkeiten im zweigliedrigen Schulsystem zu Recht als suboptimal gelten. Eine dieser Pilot-Schulen steht in Leipzig und ist von hier aus mit der Straßenbahn ohne Umsteigen zu erreichen. Mehr wird an dieser Stelle noch nicht verraten. Stella hat in Mathe eine satte Drei geschrieben und damit die formalen Kriterien für die Gymnasialempfehlung erfüllt.

Sonntag, 24. Januar 2010

Weihnachten einen Monat vorbei


Von Samstag auf Sonntag war ein Quantensprung in Gretas Befinden zu verzeichnen. Spielte sich der Samstag noch im Bett ab, stand das Kind heute auf und rannte zwar noch nicht, aber stakste doch ganz fröhlich durch die Station, aß sogar fast ein halbes halbes Nutellabrötchen. Weiter so!
Den größten Teil des Tages brachten wir im Spielzimmer zu, dessen Ordnung legendär ist. In zweihundertachtzig Spielen kein einziges fehlendes Teil, die Spielanleitungen in die Kartondeckel geklebt, damit sie nicht verloren gehen. Die dafür seit Jahrzehnten verantwortliche Erzieherin ist denn auch die erste und einzige lebende Angestellte der Universität, nach der eine große Hauptstraße auf dem Campus benannt worden ist.
Greta freilich gibt sich momentan mit 32 kleinen Kartons zufrieden. Wie Clara zuhause favorisiert sie im Moment – Bauernskat! Ja, mit Sebastian zu Besuch gabs am Samstag sogar eine echte Skatrunde zu dritt. Da wir mit Greta inzwischen wieder perspektivisch planen können, muss ihre Liebe zum Kartenspiel zusätzlich Hoffnung geben. Hatte mein seliger Vater noch das Glück, mit nur einem Kind eine feste Familien-Skatrunde etablieren zu können, sah es für mich zunächst nicht danach aus. Aber mit Clara und Greta – das könnte glatt noch was werden.
Fahrradfahren geht wieder, Fußballspielen auf der Rosentalwiese geht noch nicht. Joggen geht immer noch. Damit ich Sonntagnachmittag nicht mit den Schlitten und Kinderwagen kollidiere, bin ich jetzt auf morgens halb sieben ausgewichen. Es wird ja nie ganz dunkel in der Stadt, bei Schnee schon gar nicht, und ich hab mir heute früh nur eine leichte Prellung geholt, weil ich den gefällten Baum, der quer über dem Weg lag, fast noch rechtzeitig gesehen hätte. Um diese Zeit trainieren sonst nur Männer meines Alters, die Weihnachten zuhause rausgeflogen sind und beschlossen haben, im neuen Jahr alles anders zu machen. Und Igor natürlich. Igor ist 73, hat sein Berufsleben auf den Ölfeldern von Semipalatinsk gelebt und verfrühstückt nun bei seinem eingedeutschten Neffen die Rente von 17,70 Euro, die ihm der russische Staat zahlt. Igor braucht den Sport. Nach dem Training springt er immer in den Weiher. Im Winter hat er sein Beil mit, um das Eis aufzuhacken. Neulich hätte ihn fast die Polizei mitgenommen, weil er nicht erklären konnte, was er mit dem Beil im Park wollte. Und auf die Russischkenntnisse der Leipziger Polizei ist auch kein Verlass mehr. Zum Schluss ließen sie Igor laufen, weil es einfach allen zu kalt war zum Diskutieren.

Sonntag, 17. Januar 2010

Tauwetter

Greta geht es heute deutlich besser als am Wochenende zuvor. Sie hat seit anderthalb Tagen nicht mehr gebrochen, isst zwar kleine Mengen, aber sie isst. Der Thrombozytenwert, der Monate lang wackelig war, ist angeblich auf einem historischen Hoch angelangt, zentrale Leberwerte sind deutlich verbessert. Problem: Da bei ihr die ganze Verdauung durcheinander ist, hat sie jetzt Clostridien, Bakterien, die zwar nicht weh tun, aber sehr ansteckend sind. Für die Betreuer bedeutet das „Umkehrpflege“: Gehst du aus dem Zimmer heraus, musst du den einen Kittel aus- und einen anderen anziehen. Kommst du zurück: Kittel aus, Kittel an. Nicht weiter schlimm, aber lästig.
Kulturell war das Wochenende vom Schwarzen Peter geprägt. Greta freut sich immer, wenn sie ein neues Pärchen bekommt, obwohl das zu zweit bei jedem Zug eigentlich unausweichlich ist. Wir haben im Krankenhaus ein Retro-Spiel mit Motiven aus der Zeit Alfred Brehms, auf dem es so seltsame Bezeichnungen wie „Mausbock“ (der nicht verwandt mit dem Hausbock ist) oder „Maulwürfin“ gibt. Thüringen ist eine Art Mutterland der Spielkarten, und wir haben das dortige Museum immer noch nicht besucht. Schade, ich wollte mir aus dem McDonald-Haus in Jena ein Souvenir mitnehmen und hab’s dann doch vergessen: ein Verkehrserziehungsquartett. Wer prangt auf jedem Kartenrücken, als Kindervorbild mit oranger Weste und Wegweiser in der Hand? Genau: Dieter Althaus. Amerikanische Sammler zahlen für das Spiel jetzt 500 Dollar.
Mit Stellas Gymnasialempfehlung wird es wohl auf Anhieb nichts werden, selbst wenn sie die letzte Mathe-Arbeit dieses Halbjahrs am Freitag gut schreibt. Die Lehrerin bestätigte sogar, dass Stella gut organisiert sei und keine nennenswerten Defizite durch elterliche Vernachlässigung zeige. Aber die dummen Zahlen gehen einfach nicht in ihren Kopf. Bei Clara ist das etwas anders. Wenn wir Skat mit offenem Blatt spielen, braucht sie nach Offenlegung der Karten ungefähr drei Sekunden, um zu wissen, was im (noch verborgenen) Stock liegen muss. Greta erkennt nicht mehr nur das Greta-G in Texten, sondern irgendwie ganzheitlich auch einzelne Wörter von Untertiteln, fragt englische Begriffe nach und gemahnt daran, dass sie vielleicht, wenn alles weiter gut läuft, nächstes Jahr auch in die Schule geht.
Es taut kräftig, auch die Pferde bewegen sich wieder, aber wir freuen uns nicht zu früh. Die Familien-Ressourcen reichen noch für etwa acht Wochen Krankenhauswinter.

Sonntag, 10. Januar 2010

Wieder in Leipzig


Das Nachsitzen in Jena war kürzer als befürchtet. Freitag Mittag hatten zwölfeinhalb Wochen ein Ende, und Greta wurde gerade noch vor Ankunft der Winterfront nach Leipzig transportiert.
Die Behandlung in Jena war ein voller Erfolg. Dass erneut eine Leukämie ausbricht, ist extrem unwahrscheinlich. Anders sieht es mit dem Neuroblastom aus. Das rührt sich zwar seit anderthalb Jahren nicht mehr, stellt aber immer noch eine Bedrohung dar. Ansonsten ist das Kind multimorbid und wird gewiss noch viele Wochen in der Leipziger Klinik zubringen. Mir kommt vor, sie hängt an noch mehr Tröpfen als zuletzt in Jena, hat nun auch eine stabile Dünndarmsonde gelegt bekommen, die sie nicht mehr erbrechen kann. Nach wie vor behält sie keine Nahrung im Magen und versucht es auch gar nicht erst.
Zum schlechten Allgemeinbefinden trägt maßgeblich die Unterfunktion der Schilddrüse bei, die das Resultat einer langwährenden Unterversorgung ist und nicht so schnell behoben werden kann. In Jena hatten die Ärzte Greta ja rasch und gewaltsam die Magensonde gelegt, um ihr die nötige Tablette zerbröselt einhelfen zu können. Die Leipziger waren nun schlauer: Sie haben dasselbe Medikament einfach in flüssiger Form bestellt, fünf Tropfen am Tag genügen.
Steffi hätte am liebsten den ganzen Samstag bei den Pferden zugebracht, aber das hat gerade nicht viel Zweck. Die Tiere stehen breitbeinig, eingefroren und zugeschneit auf der Wiese. Mit Kaltblütern kann man das machen. Das ist auch ausgesprochen praktisch, denn in diesem Modus sind die Pferde vollkommen wartungsfrei.
Sich mit dem Fahrrad durch die Stadt zu bewegen, ist im Moment ziemlich albern, und man muss froh sein, wenn einen kein Bekannter dabei beobachtet. Zum Glück sind die Leipziger Straßenbahnen erstaunlich winterfest. Um so schlechter ist die Straßenräumung, das ist in Leipzig schon legendär. Ich glaube, die Stadt schickt ihren orangen Fuhrpark in den ersten beiden Januarwochen immer komplett zur Inspektion, unabhängig vom Wetter.

Montag, 4. Januar 2010

Greta bleibt in Jena

Gretas Verlegung nach Leipzig wurde im letzten Moment gestoppt, uns hat es schon fast nicht mehr gewundert. Es gibt einen verdächtigen Leberwert, aufgrund dessen man zunächst eine Hepatitis ausschließen muss, außerdem führen die Ärzte Gretas Dauererbrechen und Ess-Unlust jetzt doch auf eine akute Magenschleimhautentzündung zurück. Es wäre ja gut, wenn es dafür endlich einen konkreten Grund gäbe. Das Hauptproblem: Über die vielen Feiertage war die Kinderklinik Jena so unterbesetzt, dass einige wichtige Routine-Untersuchungen gar nicht gemacht worden sind. Jetzt wird erst einmal eine Magenspiegelung stattfinden.
Das Ferienabschlusswochenende verbrachten wir vergleichsweise gemütlich mit Familienbesuch. Auch die Kinder wollten unbedingt zum Völkerschlachtdenkmal, weil sie sich von dem winterlichen Ausblick viel versprachen. Die Sicht reichte dann immerhin bis zum Krematorium. Es war eine durchaus delikate Herausforderung, ausgerechnet einer Französin dieses unvergleichliche Zeugnis deutscher Geistessubtilität und filigraner Memorialkultur nahezubringen. Zum Glück nahm sie es mit Humor und geschichtlichem Interesse.
Stella und Clara sind schwer vergrippt. Stella ist traurig, weil Mama wieder nicht da ist, und hat keine Lust mehr auf Handball. Clara muss morgen zur nullten Stunde in die Mathe-Förderung. Alles Schikane.

Freitag, 1. Januar 2010

Es darf gehofft werden

Wir haben in 2009 erstaunlich viel erreicht und dürfen sehr zufrieden sein. Lob ist angebracht. Der Zusammenhalt hat gestimmt, Umfeld und Infrastruktur konnten noch verbessert werden. Moral und Teamgeist waren hervorragend. Nun dürfen die Träume nicht in den Himmel wachsen. Wir werden 2010 gut damit ausgelastet sein, uns zu konsolidieren und das Erreichte zu sichern. Und tut mir einen Gefallen: Redet nicht vom Aufstieg. Wenn die Fortuna am Saisonende noch einen einstelligen Tabellenplatz einnimmt, haben wir doch eine hervorragende erste Saison in der Zweiten Liga gespielt.
Silvester in Jena war vollkommen trostlos. Ich habe den Jahreswechsel stocknüchtern verschlafen. Dem Leipziger Teil der Familie ist es, glaube ich, gut ergangen. Die Eltern haben sich wegen Zugverspätung heute wieder original drei Minuten auf dem Weg zwischen Bahnhof Jena Paradies und McDonald-Haus ausgetauscht.
Greta wird am kommenden Montag auf die KiK 4 nach Leipzig verlegt, im Krankentransport, liegend. Das ist nicht das Traumergebnis zum Jahresende, aber es wird immerhin eine große organisatorische Erleichterung für die Familie bringen. Die Leber-VOD ist weg, Nierenunterfunktion auch, das Herz arbeitet normal, diverse Virenerkrankungen sind ausgestanden, die Schmerztherapie wird heruntergefahren, Morphium nur noch in minimaler Dosis gegen die Suchterscheinungen verabreicht.
Problem bleibt die selbstständige Ernährung. Man kann dauerhaft alle Nährstoffe und fast alle Medikamente durch den Tropf zuführen, aber natürlich nicht zuhause. Am Dienstag brauchte Greta dringend ein Medikament für ihre Schilddrüse, was sich übers Blut kaum dosieren lässt. Und da ihr diese Medizin oral partout nicht einzuhelfen war, legte der Arzt eine Magensonde mit Nasenschlauch. Abscheuliche Prozedur, drei Erwachsene mussten Greta festhalten. Nach einer Stunde hatte sie das untere Ende vom Schlauch wieder herausgewürgt, immerhin war das Schilddrüsenmittel im Magen. Pädagogisch war das sinnvoll, denn nun können wir das arme Kind mit dieser Nasenschlauch-Erfahrung erpressen, wenn es wieder nichts essen will. Man könnte es ihr nicht verübeln, wenn sie später magersüchtig würde.
Was geht, sind Traubenzucker-Bonbons, damit sind im Moment alle froh – langfristig auch unser Familienzahnarzt, bei dem Greta sicher Stammgast wird, wenn sie überlebt. Im Moment ist Clara dort in Behandlung mit einem dicken Abszess. Dagegen hilft auch kein Zähneputzen.
Was 2010 bringen wird? In Krebskreisen hört man zum Jahreswechsel öfters: „Noch schlimmer kann es nicht werden.“ Eine solche Aussage ist naturgemäß eine große Dummheit und zeugt von Phantasielosigkeit. Ich wünsche mir, dass wir auch 2010 ohne großen Verlust überstehen.