Sonntag, 29. Juni 2008

Wohnung frei

Das Wochenende war bisher sensationell erholsam, selbst längere Telefonate waren mal wieder drin. Die Kindergemeinde mischte sich bunt bei uns und in der Nachbarschaft, inhäusig oder draußen. Gretas Blutwerte sind ungefähr so niedrig, wie die Chancen von Kurt Beck, Bundeskanzler zu werden, zumal es ja immer Frau Merkel ist, die mit Löw und Schweinsteiger flirten darf. Früher hätten sie uns mit dieser Leukozytenzahl gar nicht nachhause gelassen, aber bei dem trockenen und warmen Wetter ist die Ansteckungsgefahr deutlich niedriger. Bis auf gelegentliches leichtes Nasenbluten geht alles gut, und Greta genießt es wirklich mit ihren Schwestern und mit uns. Nachts schläft sie wie ein Stein elf Stunden durch, auch das hatten wir lange nicht mit ihr.
Morgen muss sie turnusmäßig zur Ambulanz, der nächste wichtige Termin ist der 4.7., wenn sie unter Narkose ihre Zähne komplett saniert bekommt. Die haben in den letzten Monaten etwas gelitten und müssen vor Jena, wo Keimarmut wichtig ist, bereinigt werden. Wenn die Blutwerte mitmachen, wird übernächste Woche dann schon die achte und letzte Chemotherapie einsetzen. Ich selbst bin in der nächsten Woche ab Dienstag nicht da, weil ich auf ein lange geplantes Seminar nach München fahren muss (darf). Zum Glück werden wiederum die Schwiegereltern in die Bresche springen.
Unsere direkten Nachbarn sind ausgezogen. Das Mittfünfziger-Ehepaar wohnte höchstens zwei Jahre dort und musste in dieser Zeit mit ansehen, wie der Hausbestand an unter-zehnjährigen Kindern von drei auf acht anstieg. Nicht jedem gefällt das. Für Mitleid ist es jedoch zu spät, stattdessen hoffen wir, dass sich durch den Neubezug die Kinderzahl auf zehn erhöht. Derweil hören wir, dass sich unser Freundeskreis im Waldstraßenviertel um einen Kunstschaffenden vergrößern wird. Willkommen in der Funkenburgstraße!
Steffi war gestern ausführlich reiten und hat vorhin Greta zu den Pferden mitgenommen, damit es ihr nicht so auffällt, wenn nachher ihre Schwestern weg sind. Schluss mit lustig! Wir müssen ins Wirtshaus aufbrechen, um noch Sitzplätze zu ergattern. Dann wird es ernst.

Samstag, 28. Juni 2008

Warum kein TV?

Ihr fragt euch wahrscheinlich schon länger, warum die Schmal-Familie kein Fernsehgerät im Betrieb hat und zur EM derartig improvisieren muss. Nein, wir sind keine Sektierer, das Leben besteht nicht nur aus Büchern, und Geld für die GEZ wäre gerade noch da. Die sind übrigens ganz schön hartnäckig, weil sie uns nicht glauben wollen, dass wir nur Radiogeräte laufen haben. Irgendwann werden sie vorbeikommen und Kabelanschluss, Kabel sowie ein einsatzbereites TV-Gerät im Rumpelkeller vorfinden.
In Bamberg, Hannover und Braunschweig lief der Fernseher, für die Erwachsenen bestand das Angebot aber praktisch nur aus fußballerischen Großereignissen und dem Tatort. Letzterer fand leider sein Ende, als wir irgendwann Stella nicht mehr rechtzeitig ins Bett bekommen haben. Stella war dann diejenige, die das TV für sich entdeckt hat, Clara zog nach. Und da vor allem die Große einen gewissen Hang zu Konsum und Bequemlichkeit hat, beherrschte der Kinderkanal bald das Wohnzimmer. In Braunschweig überschritten die täglichen Fernsehzeiten der Kinder zuletzt alles, was selbst liberale Pädagogen noch als unbedenklich bezeichnen würden. Das wurde natürlich nicht besser in der ersten Jahreshälfte 2007, als unter der Woche immer nur eine elterliche Betreuungsperson zur Verfügung stand. Nach dem Umzug letzten Sommer haben wir dann das TV nicht gleich angeschlossen. Überraschenderweise fand der Protest der Kinder kaum statt. Es war ja auch Sommer und das neue Viertel voller Kinder.
Dann kamen der Herbst und Gretas Krebsbehandlung. Wir sind sehr schwankend geworden, haben aber gedacht: Wenn die Großen jetzt nachmittags unbetreut sind und der Vater nach Arbeit und Einkäufen keine große Lust auf aktives Kinderbespaßungsprogramm hat, dann werden Stella und Clara bald acht Stunden am Tag fernsehen. Deshalb unsere Sturheit in dieser Frage. Morgen ist alles vorbei, und in zwei Jahren werden wir zu fünft in die Kneipe gehen.

Donnerstag, 26. Juni 2008

Kräfte schonen

Geruhsamer vorwochenendlicher Abend in der Feuerbachstraße. Clara hat Kurzpass-mit-der-Wand trainiert, Stella gegärtnert, Papa war laufen. Die Schwestern haben sich über „ihre Männer“ unterhalten. Stella hatte Streit mit ihrem, der sie mit einem Ei beworfen hat. Aber dann haben sie sich wieder vertragen. Clara hat bereits eine erweiterte Perspektive. Ihre ersten Männer seien doof gewesen, meint sie, aber dann habe sie doch einen gefunden, der nett ist. Der heißt Schweini.
Heute ist kein Fußball. Das zweite Halbfinale wird verschwiegen. Die Großen wissen zwar schon, wer da gegen wen spielt, aber mit Terminen haben sie es noch nicht so. Wir sparen unsere Kräfte für Sonntag.
Greta ist guter Dinge und hat jetzt überwiegend erholsame Tage zuhause. Nachdem sie von Montag bis Mittwoch in der Klinik war wegen MRT und extremem Zelltief, ist sie jetzt stabil und muss erst übermorgen wieder in die Ambulanz. Das Bauch-MRT zeigt einen sehr kleinen Tumor-Rest, der wahrscheinlich inaktiv ist und im Moment keine Rolle spielt. Wundflüssigkeit ist nicht nachgelaufen. Greta geht auch langsam wieder zu ihrer gewohnten Ernährung über: also Eis, Würstchen, Minipizza, Schokolade und Quarkbällchen.

Sonntag, 22. Juni 2008

Heute bitte kein Fußball

Schade, schade, man muss bei solchen Turnieren auch mal ein schlechtes Spiel gewinnen, das haben Italiener und Deutsche einfach besser drauf. Die Holländer sind, rechnet man die internationalen Erfolge der letzten 35 Jahre gegen die Einwohnerzahl, die größte Fußballnation der Welt. Wir haben das Volk traditionell sehr gern, schon weil die netten Nachbarn immer das Weihnachtsgeschäft auf Kö und Schadowstraße ankurbeln und weil Steffi mal in Utrecht studiert hat. Mit Freude erinnere ich mich an jenen romantisch verregneten Novemberabend 2003 mit meiner Frau in einem Pariser Hotel, als die Niederländer in der Euroquali mit einem wie vom Himmel gestiegenen Ruud van Nistelrooy die Schotten von Berti Vogts mit 6:0 vernascht haben. Leider gibt’s diesmal kein deutsch-holländisches Gipfeltreffen.
Weil das Frosch Café eine Theateraufführung brachte, sind wir gestern im verqualmten Papperlapapp gelandet und haben für eine deutliche Verjüngung des Publikumsdurchschnitts gesorgt. Stella war für die Russen, weil sie eine Freundin mit russischem Vater hat. Clara kann die Völkerschaften noch nicht so ganz auseinanderhalten, obwohl sie beim „Café International“ schon Bemerkenswertes leistet. Steffi stand mit Greta vor der Tür und beschloss, dass sie mit dem kranken Kind da nicht hineingehen könne. Die beiden Großen waren wieder tapfer dabei, zum Preis von Chips und Cola. Aber mit Verlängerung ist es dann doch hart. Heute haben alle bis zehn geschlafen. Steffi geht reiten, Clara muss zum Kindergeburtstag und Papa freut sich auf einen geruhsamen Bügelnachmittag. Italien und Spanien werden wir heute Abend wohl ihrem Schicksal überlassen.

Freitag, 20. Juni 2008

Wieder zu fünft

Ich warte nur darauf, dass meine großen Töchter Deutschland-Fähnchen einfordern und Ballack-Trikots, jetzt, nachdem sogar in Sachsen die Euphorie ausgebrochen ist. Am Donnerstagabend kam die Stunde der Wahrheit: Steffi und Greta in der Klinik. Stella, Clara und ich zuhause ohne TV, Anstoß zum Deutschlandspiel 20:45 Uhr. Wir haben dann das einzig Vernünftige getan und sind zu dritt ins Frosch Café gegangen. Dort saßen unzählige Kinder in der Altersklasse, von denen offenbar niemand an den nächsten Tag dachte. Später kam Steffi noch dazu. Es war ein wunderbarer Fußballabend.
Greta ist nach sechseinhalb Wochen Klinik wieder zuhause, geplant bis Montag Abend, weil Dienstag ein MRT stattfinden soll. Die Kleine ist gut gelaunt und rennt schon wieder herum, redet wie ein Wasserfall. Nur etwas blass ist sie unter ihrem zarten Haarflaum.
Wir hatten die Kinderzimmer umgeräumt, Stella musste ihr Einzelzimmer hergeben, damit wir für Greta dort einen höheren Hygienestandard gewährleisten können. So haben es sich zumindest die Erwachsenen gedacht. Die Schwestern haben allerdings sofort das Reise-Kinderbett in ihrem großen Zimmer aufgebaut, damit Greta darin und also alle zusammen schlafen können.

Sonntag, 15. Juni 2008

Chemo läuft, Greta auch

Die siebte Chemo läuft seit Freitag, ein kurzer Block, der Dienstag endet. Mittwoch oder Donnerstag wird Greta endlich mal wieder nachhause kommen, nach über sechs Wochen. Heute waren die Schwestern zu Besuch, die Familie für zwei Stunden im Krankenzimmer vereint. Das war für alle sehr schön, der Abschied für Greta freilich um so trauriger.
Nach dem achten Chemo-Block wird eine Szintigraphie gemacht, die darüber Auskunft geben soll, wie sich die Metastasierung im Körper entwickelt hat. Denn während wir an der Front des Haupttumors einen überzeugenden Sieg eingefahren haben, wissen wir über die Peripherie momentan wenig. Die Szintigraphie entscheidet darüber, ob nach der achten und letzten regulären Chemotherapie gleich die Megatherapie einsetzt (fünf Wochen Jena) oder ob es wichtiger ist, für die Metastasenbekämpfung MIBG und Bestrahlung vorzuziehen. Dann würde Jena sicher nicht mehr vor September stattfinden.
Greta ist einigermaßen munter. Sie läuft immer noch ziemlich stakelig, tritt aber schon wieder vor den Ball und fährt Dreirad. Sie muss weiterhin fettfrei essen und hat während der Chemo sowieso kaum Hunger. Erstaunlicherweise funktioniert das alte Spielchen „ein Happs für diesen, ein Happs für jenen ...“ auch bei Greta zuverlässig. Zum Glück ist die Familie groß, auch Pferde und Katzen sind überzeugende Futterbedürftige.
Sollte Greta durchkommen, müssen wir sie wohl resozialisieren. Kranken Kindern lässt man ja alles durchgehen. Spaghetti isst sie einzeln mit den Fingern. Besser geht es, bin ich heute drauf gekommen, wenn man sie füttert und wenn man die Spaghetti dabei zum Leben erweckt und in fiese Würmer verzaubert, die zappeln und schreien. Das mag sie gern. So eine Mahlzeit kann sich hinziehen.
Gretas geistige Entwicklung ist heterogen. Maumau schleppt sich so dahin. Trotz intensiven Trainings kann die Kleine immer noch nicht sicher Farbe von Symbol kategorial trennen. Und von Annalena hat sie sich angewöhnt, die Damen als besonders wertvoll zu erachten, was bei Maumau einfach nicht zielführend ist. Dafür hat sie mich heute echt verblüfft. Greta mag Karten und Stadtpläne. Gestern habe ich ihr auf dem Leipzig-Stadtplan gezeigt, wo der Bahnhof ist, wo der Zoo und die Autobahn, und wo wir wohnen. Heute klappt Greta den Stadtplan auf und zeigt mir, wo der Bahnhof ist, wo der Zoo und die Autobahn – und wo wir wohnen! Wer mich kennt, weiß, dass solches von meiner Tochter nicht unbedingt zu erwarten war.
Mit dem Zählen geht es auch voran. Von vier bis zehn klappt es schon prima. Das Problem sind die Zwei und die Drei. Die Zwei findet einfach nicht statt. Es ist auch blöd ausgedacht, dass die drei ersten Zahlen auf „ei“ lauten, und die Konsonanten von „Zwei“ sind einfach zu schwer. Wenn ich mich recht erinnere, haben sowohl sämtliche Töchter als auch sämtliche Patenjungs ein Jahr lang die „Zwei“ ausfallen lassen.

Schicksalsspiel

Seid ihr auch schon so aufgeregt wegen morgen? Ein echtes Endspiel zwischen Deutschland und Österreich. Da kann viel passieren. Die Alpenkicker können unsterblich werden, wenn sie die Piefkes schlagen. Bis jetzt kennt niemand die Namen, danach stehen sie in der Hall of Fame neben Matthias Sindelar, Hans Krankl und Toni Polster, so wie 1978 nach dem 3:2 in Córdoba. Erinnert ihr euch noch an das WM-Spiel 1982 in Gijón, als sich die Brudervölker 75 Minuten lang den Ball zuschoben, um gemeinsam das 1:0 für Deutschland zu halten?
Nach über fünfzig Jahren Zeitrechnung, 1965, kam erstmals der österreichische Meister nicht aus Wien. Das bestätigt die These, dass bergige Regionen und Länder historisch benachteiligt sind gegenüber flachen Gegenden, weil man dort so lange gebraucht hat, um ebene Fußballplätze zu bauen und weil die Leute dort lieber Skilaufen gegangen sind.
Deswegen sind die wirklich großen Fußballregionen München, England und das Rheinland, natürlich flussabwärts über die deutsche Grenze hinaus gerechnet. Das Traurigste an einer deutschen Niederlage morgen wäre, dass es dann nicht mehr zum Klassiker Deutschland-Holland kommen könnte. Dank lieber Freunde werde ich unserem fernsehfreien Haushalt entkommen und die historische Begegnung verfolgen können.

Dienstag, 10. Juni 2008

Hafterleichterung

Die ungewöhnliche Familiensituation bringt manche Bereicherung. Die letzten zehn Jahre lang hat mir meine Frau die Haare geschnitten, was preiswert, zuverlässig und nicht weiter spektakulär ist. Aber in den letzten fünf Wochen haben wir es aus bekannten Gründen einfach nicht mehr geschafft. Ich bin also zum Friseur gegangen. Es gibt Leute, die von der „Dienstleistungswüste Deutschland“ reden. Das Waldstraßenviertel in Leipzig können sie damit nicht meinen, und die Friseure schon gar nicht. Zehn Minuten Façonschnitt war gestern. Heute erst eine kostenlose Nackenmassage von der affilierten Dame, die ihren eigenen Laden zwei Straßen weiter hat. Dann die Haarbehandlung durch den Herrenspezialisten mit Analyse und Style-Beratung, zum Schluss Kopfhautmassage, das Ganze gar nicht teuer. Eine Stunde Wohlfühlprogramm.
Das ist wirklich signifikant hier: hochspezialisierte Dienstleistungen oder Geschäftsangebote, z.T. in Kombigeschäften (ein Uhrmacher und eine Schmuckschmiedin; ein Friseur und eine Visagistin etc.), außerdem Läden, die spürbar mit Enthusiasmus und Liebe zum Handwerk betrieben werden. Auf der Waldstraße gibt es einen Menschen, der nur Softeis verkauft. Der Renner seit Monaten!
Leider glauben auch manche Zahnärzte, sie könnten mehr verdienen, wenn sie ihr Angebot diversifizieren. Wohlfühlprogramm im Behandlungssessel? Da bin ich konservativ. Meine Krankenkasse weiß schon, was wirklich wichtig für mich ist. Beim Zahnarzt zahle ich nur für Gold.
Greta ist heute endlich in die KiK4 verlagert worden. Das MRT haben sie dann doch nicht gemacht, am Freitag geht die Chemo weiter. Heimaturlaub gibt’s nicht. Steffi hat meinen Zweit-Rucksack gefunden, dessen vermeintlicher Verlust vor zwei Wochen mich schon fast zu Kulturkritik verleitet hat. Ein guter Tag. Morgen stellt sich eine Anja-Nachfolgerin vor, die am Telefon schon mal ganz sympathisch klang.

Still alive

Kind in Park mit Buchstabenspiel und Flugsaurier

Sonntag, 8. Juni 2008

Erleichterung in Sicht

Papa musste (durfte) den Samstag dienstlich in Düsseldorf, bei Muttern und im Zug verbringen. Trotzdem kam Steffi zu den Pferden, weil die Schwiegereltern zum Glück wieder da sind und Greta diese jetzt auch als Vollbetreuung akzeptiert. Große Erleichterung. Deshalb war auch meine Sonntagsschicht in der Klinik ungewohnt kurz. Unsere kleine Kennerin wollte unbedingt „Das Leben der Anderen“ sehen. Gerade als die Stundendame auf dem Stasi-Hauptmann saß, kam die Schwester herein und brachte mich fast in Erklärungsnotstand. Über alles liebt Greta die Szene, wo „die Mutter überfahren“ wird.
Der Chirurg hat heute beschlossen, die Bauchdrainage zu ziehen, auch wenn sie noch 50 ml am Tag fördert. Zur Not könne man weitere Ansammlungen durch Punktion entfernen. Damit ist der Weg frei für die Fortsetzung der Chemotherapie in der sehr viel angenehmeren KiK4. Am Dienstag soll ein Bauch-MRT gemacht werden, weniger weil sie da jetzt etwas Spezielles herausfinden müssten, als deshalb, weil gerade ein Termin freigeworden ist. Fünf Wochen Intensivstation, das war eine harte Tour. Für Greta, aber auch für Steffi, die nicht im Bett liegen, nicht essen, nicht über das Fernsehprogramm entscheiden durfte, fünfeinhalb Tage die Woche keine Sonne gesehen hat, bei vollem Bewusstsein und (soweit ich weiß) die ganze Zeit ohne Drogen durchgehalten hat. Dafür sieht sie immer noch erstaunlich gesund aus. Das muss an den Pferden liegen.

Hygiene

Greta isst leidlich, aber immer noch auf Diät. Angesichts von 14 Kilo Lebendgewicht kann man nur auf baldige Pommes und Donuts hoffen. Zuletzt haben wir, als Hauptbestandteil der fettfreien Kost, immer selbst gekochte Kartoffeln und Spaghetti auf die ITS mitgebracht, weil die Krankenhausküche diese nicht punktgenau zur Verfügung stellen konnte.
Am letzten Wochenende lud mich eine Schwester dazu ein, unsere Diätlebensmittel in der Stationsküche selbst zu verwalten, in der nächsten Schicht wurde mir der Zugang dazu streng untersagt. Die praktische Hygiene im Krankenhaus gehört für den Besucher immer noch zu den großen Rätseln der Medizin.
Natürlich gibt es die Anweisung, auf den Boden gefallene Dinge zu entsorgen oder vor weiterem Gebrauch zu reinigen, aber wer hält das neben einer lebhaften Dreijährigen schon durch? Bei imunkritischem Zustand der Patienten müssen Besucher Mundschutz tragen. Das gilt aber noch lange nicht für behandelnde Ärzte, gerade Chefärzte treten ihren Patienten viel lieber unverhüllt gegenüber. Familienangehörige, die einen Infekt haben, bleiben zuhause, aber hustende und niesende Ärzte und Krankenschwestern gibt es überall. Klar, wer wollte denn noch Dienstpläne schreiben, wenn das Gesundheitspersonal bei jedem Schnupfen zuhause bleiben müsste? Die Bettwäsche wird bei Bedarf dreimal am Tag gewechselt, aber wen kümmern die Stofftiere, die alles mitmachen und selten gewaschen werden? Für Caterer und Großküche gelten gleich ganz andere Gesetze, denn als sauber kann man „frische“ Bestecke und Teller nicht immer bezeichnen. Wir lernen daraus, dass die Hygiene nur ein schönes Ideal ist, der Weg das Ziel. Deutlich ist aber auch, dass eine konsequentere Umsetzung Zielkonflikte mit Werten wie Offenheit, Patienten- und Angehörigenorientierung hervorrufen müsste, mit dem Wohlfühlfaktor generell, der für die Gesundheit überaus wichtig ist.

Mittwoch, 4. Juni 2008

Leistungsprinzip

Es ist die Woche der Sportfeste. Am Montag hatte Stella mit der gesamten Schule das Vergnügen. Dreißig Grad im Schatten, aber die Laufbahn lag in der Sonne, und Langstrecke fängt heutzutage auch in der Grundschule bei 800 m an. Mehrere Kinder sind kollabiert. Mich traf die Aufforderung, mein krankes Kind abzuholen, am hohen Vormittag, als ich gerade meinte, die Arbeitswoche hätte ganz gut begonnen. Ganz so schlimm wars dann nicht, Stella hatte nur ihr Frühstück von sich gegeben. Aber die Veranstaltung war für sie in mehrfacher Hinsicht unangenehm, das Siegertreppchen hatte sie mehrfach verfehlt.
Aus meiner Schulzeit kann ich mich nicht erinnern, dass Sportlichkeit von Mädchen für Mädchen ein Qualitätsmerkmal gewesen wäre, noch dazu in der Primarstufe. Das scheint heute anders zu sein, und es gibt Leute, die behaupten, es sei vor allem in der Ex-DDR anders. Stella war jedenfalls frustriert: „Wenn ich Sportfest höre, muss ich kotzen.“
Mehr amüsieren konnte sich Papa beim Klett-Sportfest am Dienstag. Hier war das Leistungsprinzip nicht unbedingt dominierend. Dennoch waren die Verlagsgespräche des folgenden Tages noch voll von vergebenen Angaben beim Volleyball oder von Schummeleien beim Wettlauf mit Wasserkelle. Demnächst wird die EM Thema sein, zumal es ein großes Tippspiel geben wird, wie es unverzichtbar für jede heile Firmenkultur ist.
Das erste Kind, dessen Leidensweg wir aus Nahdistanz verfolgt haben, ist gestorben. Es wird nicht das letzte gewesen sein. Was zählt hier Leistung?
Greta ist munter, die mittäglichen Exkursionen werden länger, die Kleine läuft jetzt etwas mehr. Es läuft aber auch der Wundfluss aus dem Bauch. Vorläufig bleiben wir auf der Intensivstation.

Sonntag, 1. Juni 2008

Glückwunsch Braunschweig!

Heute ist „Kindertag“, nicht der „Weltkindertag“ der alten BRD (der nie eine Rolle spielte), sondern der DDR-Kindertag. Was uns das angeht? Stella hat einen Heulkrampf hingelegt, weil „morgen alle Kinder in der Schule erzählen, was für tolle Geschenke sie gekriegt haben.“ Unsere haben natürlich keine Geschenke bekommen, weil wir das Datum nicht auf dem Schirm hatten und weil sie eh viel zu viele Geschenke kriegen.
Aber es gibt ausgleichende Gerechtigkeit. Just heute wurde gegenüber, in der Feuerbach 4, ein riesiges Trampolin aufgebaut, das auch unsere Töchter über den Sommer bereichern wird. Gelungenes Teamwork: In der Gebrauchsanweisung war von zwei Stunden die Rede, ein sehr heterogenes Nachbarschaftsteam hatte es mit Bier und guter Laune in anderthalb Stunden betriebsbereit. Dort gab es am Freitag auch ein filmisches Open-Air-Ereignis mit Grill und Kinderspaß bis tief in die Nacht. Langsam werden wir hier richtig südländisch.
Greta wird zunehmend mobiler, auch wenn ihr das Laufen noch große Mühe macht. Aber wir dürfen jetzt schon zweimal am Tag heraus, für eine Stunde spazieren gehen. Wir laden den Buggy mit Decke, Proviant und Kind samt Schläuchen voll und fahren in den nächsten Park, der nicht weit ist. Der Hubschrauber muss mit, ein großer Rettungshubschrauber mit Besatzung und Equipment. Der ist um so lebensnäher, als solche Fluggeräte regelmäßig auf dem Gelände der Uni-Klinik einschweben. Greta sagt manchmal „Flugsaurier“.
Die Ausflüge machen die Lage schon deutlich erträglicher. Die Drainage fördert jetzt um die hundert ml am Tag, was einen klaren Rückgang bedeutet. Anfang nächster Woche werden sie Greta abstöpseln und wahrscheinlich gleich in die KiK 4 verlegen. Die letzte Chemo ist jetzt so lange her, dass schon wieder Haare wachsen. Das Kind spricht gar nicht mehr von zuhause, sondern sagt: „ich möchte hinunter“ (vom ersten Stock ins Erdgeschoss). Was sehr schön zeigt, dass der Mensch ein Wesen ist, das sich schnell an neue Lebensumstände gewöhnen kann. Deswegen waren wir wahrscheinlich in der Evolution so erfolgreich.Greta fragt, was ist eigentlich Tod?, und mag bei „König der Löwen“ am liebsten die Szene, wo Mufasa unter den Hufen der Büffel endet. Greta entwickelt sich langsam, wie ihre Oma aus Düsseldorf, zur echten Cineastin: „König der Löwen“ und „Findet Nemo“ sind die Favoriten, was zweifellos einen sehr guten Geschmack verrät. Ansonsten haben wir Mau Mau gespielt. Erstmals habe ich bewusst Fehlentscheidungen getroffen, um einem Stimmungsabfall meiner Partnerin vorzubeugen. Ich weiß, dass das heikel ist. Wenn wir anfangen, langfristige Erziehungsprinzipien außer Kraft zu setzen (Zähneputzen!), weil es im Moment vielleicht nicht so drauf ankommt, zweifeln wir am Endsieg. Aber vier Wochen Intensivstation sind echt zuviel. Gut, dass die Schwiegereltern bald wieder kommen.