Sonntag, 28. März 2010

Bald keine Neuigkeiten mehr

Greta ist meistens fröhlich und munter. Sie geht in den Zoo, sie fährt alleine Fahrrad (wenn man ihr beim Aufsteigen geholfen hat und wenn man das Stehenbleiben und Umkippen abfängt). Sie isst und trinkt einigermaßen ausreichend. Favoriten sind im Moment Kakaomilch mit Sahne aus der Baby-Flasche, Pommes Frites, Pfannkuchen und entstieltes Stieleis, gerührt und halbgetaut aus der Schale.
Die Fixierung auf die Kindernahrung führt im Haushalt logischerweise zum Zielkonflikt. Greta nippt am Fanta-Glas – Stella trinkt es leer. Greta isst einen knappen halben Pfannkuchen, fein dünn und kross gebraten – Stella und Clara futtern die großen, dicken, weichen Exemplare aus dem Rest des Teiges. Das Nutella-Glas steht dauernd auf dem Tisch, Greta nimmt nur gelegentlich eine Messerspitze davon zu sich, Stella und Clara hingegen ... Immerhin hilft die neue Personenwaage, die allgemeine Gewichtszunahme sauber zu dokumentieren.
Gretas Gewichtsproblem ist durchaus noch ein Engpass. Erst wenn da der Trend positiv ist, können die vorläufig letzten Schritte, Zahnsanierung und Entfernung des Katheters, terminiert werden. Vielleicht gibt es im Mai noch ein MRT.
Wie ihr merkt, werden die Greta-Meldungen immer uninteressanter, und wir wollen natürlich alle, dass dies so bleibt. Deshalb, liebe Leute, habe ich mal in den Kalender geschaut. Kurberichte ab Ende Juni interessieren niemanden mehr, weil es dort wieder nur um Hallenfußball, die Schönheit des Weserberglandes, um karge Klinikkost, Hallenfußball, Schwimmgeschichten, therapeutische Skatrunden und schließlich um Hallenfußball gehen würde. Davor, ab dem 11.06., haben wir alle ohnehin ungleich wichtigere Dinge zu tun als Posts zu lesen und zu schreiben. Deshalb werde ich mich am Sonntag, dem 6. Juni, vorläufig von diesem Kanal verabschieden. Sollte Greta einen Rückfall bekommen, meldet sich der Chronist zurück und wird den Weg mit euch bis zum Ende gehen.

Mittwoch, 24. März 2010

Benni


Seit gestern ist Benni ist wieder da. Greta war auf dem Hof und konnte ihn leicht dazu überreden, zurück-zukehren. Die Frauen sind überglücklich. Für die Frauen sind Tiere ja besonders wichtig. Nun wollen wir hoffen, dass der Kater weder Tollwut noch Flöhe noch Toxoplasmose hat.
Benni benimmt sich so, als wäre er nie weg gewesen. Selbst mich, der ich keinen Ruf als Tierfreund erworben habe, nimmt er als alten Gefährten wahr. Wir haben am ersten Abend lange bei Buttermilch und Spaghetti gesessen und geredet. „Weißt du, Stephan“, sagt Benni, „ich habe nachgedacht. Ich hatte eine gute Zeit da draußen, war mein eigener Herr, habe gejagt und bin nachts auf die Rolle gegangen. Aber ich war ziemlich einsam. Nun bin ich fast sieben Jahre alt, das entspricht ungefähr 45 Jahren bei euch Menschen. Ich möchte irgendwo zuhause sein, mir einen Bauch anfressen und alt werden. Bei euch kann ich das, deswegen bin ich zurückgekommen.“

Sonntag, 21. März 2010

Frühlingsanfang

Die medizinischen Meldungen sind unspektakulär. Gretas Gewicht dümpelt bei knappen 16 Kilo, was die Ärzte gerade noch tole-rieren. Das heißt immerhin, dass sie fast schon genug isst und trinkt. Das liegt auch daran, dass der Softeis-Mann auf der Waldstraße wieder geöffnet hat, wo sich Greta jetzt täglich Kalorien holt. Für umfassende Aktivität reicht die Nahrungsaufnahme jedenfalls. Man erlebt das ja oft, dass kleine dünne Menschen einen besonders großen Aktionsradius haben, bei Lionel Messi ist das auch nicht anders. Wenn man rechnerisch jedem Menschen ein ganzes Leben zuschreibt (was ja ungefähr hinkommt), dann haben diese spillerigen Menschen logischer-weise einen größeren Anteil Leben pro Kubikzentimeter.
Clara beschwert sich nun wirklich manchmal über die Miss-achtung ihrer Person. Der ganze Hype um Greta, dann das Getue wegen Stellas Schullaufbahn, und was ist mit mir? Immerhin behauptet sie, dass sie das beliebteste Kind in ihrer Klasse sei – und das auch noch in Anwesenheit von Klassenkameradinnen. Langfristig muss man sich um ihr Selbstvertrauen wohl keine Sorgen machen. Wahrscheinlich hat sie sogar Recht. Alle mögen Clara.
Der Vater war gefühlte vier Wochen im Westen, hat Lachs gefuttert, Kölsch getrunken und Sozialleben nachgeholt. Dadurch hat die Didacta erstmals 100.000 Besucher gesehen und wurde ein Bombenerfolg. Im Rheinland war es diesmal volle zehn Grad wärmer als in Leipzig.
Samstag Nacht war Papa wieder zuhause – 45 Minuten früher als geplant, denn der letzte Zug ließ Halle aus. Die Verspätung vor Bad Hersfeld war in Eisenach wieder egalisiert, und der Zugchef verkündete „Liebe Gäste, unser Lokführer hat sich so angestrengt, dass ...“ Ja, liebe Autofahrer und Vielflieger, das gibt es durchaus in dieser schönen Republik: nette Schaffner und überpünktliche Züge. Tatsächlich erreiche ich den Endbahnhof Leipzig regelmäßig ein paar Minuten vor der Zeit. Und freue mich dann, wenn ich wieder im Waldstraßenviertel bin.

Montag, 15. März 2010

Freiheit

Die Betreuungsfrage für diese Woche hat sich angenehm geklärt. Der PEG-Termin ist ausgesetzt und Greta heute entlassen worden, nachdem sie am langen Wochenende kaum abgenommen hatte. Wann war doch gleich die Aufnahme in Jena gewesen? Am 13.10. Fünf Monate sind es schließlich geworden.
Natürlich bleibt die Ernährung eine Baustelle, Greta muss noch einige Medikamente nehmen, und am Donnerstag wird sie in der Ambulanz erwartet. Aber nun wird Frühling. Endlich gibt es wieder saftigen Regen.

Sonntag, 14. März 2010

Aufstieg in Reichweite

Der Einbau der PEG bei Greta ist verschoben worden, erst auf Freitag, nun auf kommenden Mittwoch. Die Ärzte sind sich gerade nicht mehr so sicher, ob dieser Eingriff wirklich nötig ist. Die Leber hat sich nicht weiter vergrößert, sondern ist leicht geschrumpft. Erstmals haben wir leihweise eine Personenwaage im Haushalt. Mit Limo, Kakao, Vanillesauce, Eierkuchen, Gummiwurst und edlen Säften werden gewisse Erfolge erzielt. Vielleicht kommen wir tatsächlich um die PEG herum.
Greta darf dieses Wochenende zum ersten Mal zwei Nächte hintereinander zuhause bleiben. Sie hat anderthalb Tage lang sensationell gut mit Clara gespielt, nicht nur zu zweit am PC gedaddelt, sondern richtig anspruchsvolle Rollenspiele gemacht, stundenlang. Stella war das Wochenende bei einer Freundin. Die Dreizahl von Kindern ist ja manchmal problematisch.
Wenn Greta doch die PEG bekommt, wird Steffi nächste Woche kräftig improvisieren müssen, denn ich verabschiede mich am Dienstag zur heiligen Messe, dem Höhepunkt des Arbeitsjahres, noch dazu in Köln. In anderen europäischen Sprachen ist das entsprechende Wort bekanntlich verwandt mit "Ferien". Mein schlechtes Gewissen hält sich trotzdem in Grenzen.
Billy the Cat war da, jene inoffizielle Kostgängerin vergangener Jahre, die die Kunst beherrscht, eine geschlossene Tür durch Sprung an die Klinke zu öffnen. Wahrscheinlich hat sie den Blog gelesen und weiß daher, dass Katzen wieder willkommen sind. Pogrebniak wahrte würdevoll Distanz und ließ die kleine Base gewähren. Billy war zutraulich wie früher, füllte sich den Wanst mit alten Bockwürstchen, Milch und Fischstäbchen, wärmte sich auf, schlief die Nacht auf der Mikrowelle und verschwand dann wieder.
Am Mittwoch habe ich gleich zwei Antworten auf die Frage bekommen, warum in Leipzig so selten Blinde Passagiere erwischt werden: 1. Sie kontrollieren viel, mich nämlich schon zum vierten Mal dieses Jahr. 2. Sie gucken nicht so genau hin. Ich bin nämlich auf Kinderkarte gefahren und habe es selbst erst hinterher gemerkt.
Das war’s dann wohl: RasenBall Leipzig schlägt auswärts den starken Zweitplatzierten Budissa Bautzen. Nun steht dem Aufstieg in die Regionalliga nicht mehr viel im Weg. Kein Wunder, der überragende Tormann ist ein alter Fortuna-Spieler.

Sonntag, 7. März 2010

Fingerübungen


Clara hat begeistert ihre zweite Klavierstunde absolviert. In einen Robert ist sie auch gerade verknallt, und das mitten in Leipzig, ist das nicht hübsch? Sollte sie am Piano Talent haben, dann muss es von ihrem seligen Großvater meinerseits kommen. Von diesem Herrn ist hier auch deshalb zu reden, weil er heute hundert Jahre alt wird.
Großvater Hanns war semiprofessioneller Pianist, Literat und Sportfunktionär, im Hauptberuf natürlich Deutschlehrer, der jeden Tag drei Stunden Mittagsschlaf gehalten hat. Irgendwann hat er in einem längst untergegangenen Verlag ein Bändchen mit Diktaten veröffentlicht.
Meine Lieblingsanekdote: Wie der Leipziger heute an Wintersamstagen früh mit dem Zug ins Erzgebirge fährt, um dort ein paar Stunden Ski zu laufen und seine Gesundheit zu riskieren, so fährt man seit unvordenklichen Zeiten von Düsseldorf aus ins Sauerland. Mein Vater fuhr also am 10. Februar 1951 mit drei Sportsfreunden und vier Paar Skiern frühmorgens nach Winterberg. Als die Männer dort ankamen, stellten sie ihre Skier im Bahnhof ab und setzten sich erst mal ins nächste Café zum Aufwärmen. Einer hatte ein Skatspiel dabei. 53 Runden später holten die vier ihre Skier und bekamen gerade noch den letzten Zug nach Düsseldorf. Die schöne Frau auf dem Foto hat zu dieser Zeit übrigens in Leipzig gewohnt.
Opa Hanns war also richtig musikalisch. Der Sohn hat jahrelang Klavierunterricht bei Papa genossen und war so talentiert, dass er noch Jahrzehnte später Weihnachtslieder fast flüssig beidhändig spielen konnte. Es ist also durchaus möglich, dass Clara Begabung geerbt hat. Zum Glück ist uns ein E-Piano zugeflogen, das man auch leise stellen kann, so dass die plötzlich ausgebrochene Musikalität nicht allzu hart für die Nachbarn wird.
Stella hat dann doch eine glatte Gymnasialempfehlung bekommen. Und dazu eine Eins in Sport. Was will man mehr? Jetzt geht’s geradewegs auf’s Schiller.
Greta bekommt am Mittwoch eine PEG gelegt. Damit sind wir ernährungstechnisch aus dem Schneider und werden dann sicher sehr bald richtig entlassen. Die Diagnoseergebnisse von letzter Woche, Szintigraphie und MRT, sind mit uns noch nicht besprochen worden. Im Vorbeigehen war die Rede davon, dass sich anscheinend nicht groß was verändert hätte. Wirklich beruhigen kann das noch nicht. Greta ist allerdings guter Dinge und hat am Wochenende erstaunlich konstruktiv mit Clara gespielt, die ja nun immerhin schon acht Jahre alt ist. Stella war die meiste Zeit unterwegs. Steffi hat am Wochenende ein paar Mal ihr Pferd durch den Schnee gejagt, ich habe Stieg Larsson gelesen. So lässt es sich aushalten.