Donnerstag, 24. Dezember 2009

Fröhliche Weihnachten

Auch die zweite Rückenmarkspunktion (Tag 60 nach KMT) hat ergeben, dass das neue Knochenmark hundertprozentig angewachsen ist. Angeblich hat Greta heute mit dem Oberarzt Fußball gespielt. Aber die Myokarditis will noch beobachtet werden. Steffis Weihnachten in Jena war trostlos. Übermorgen fahren wir zu fünft hin. Danach bleibe ich bis Neujahr bei Greta.
In Leipzig waren bürgerliche Weihnachtsstandards diesmal kaum zu halten. Ich habe das Fest trotzdem genossen, denn ich bekam am Morgen einen Kasten feinsten Münchner Biers geschenkt.
Der 35 Jahre alte Plastikbaum zeigte an allen Ecken Materialermüdung, das sah ich auch nach zwei Flaschen Augustiner sehr klar. Der Fuß wackelte, echte Kerzen mussten her, weil die elektrischen Birnchen nicht aufzufinden waren. Beim fünften Bier stellte sich heraus, dass keine Weihnachtsbaumspitze da war, es fehlten auch sämtliche Halterungen für den Schmuck. Immerhin bekamen wir ein paar Kugeln mit Büroklammern befestigt.
Wo ist eigentlich das Lametta geblieben? Zum Glück fiel mir ein alter Trick aus dem Sauerland ein: Bügele Sauerkraut und tauche es in Silberfarbe. So haben wir es ja im Krieg auch gemacht. Nun riecht es etwas streng im Weihnachtszimmer. Dafür haben wir schließlich noch die Krippe in Gang gebracht. Die doofen Schafe merken nicht einmal, dass sie rückwärts im Kreis laufen.
Nach dem achten Hellen war Bescherungssingen, ich registrierte bloß am Rande, dass wir zwar in einer Stadt höchster Chor-Kultur leben, in meiner Familie aber wirklich niemand auch nur einen Ton halten kann. Trotzdem kam hinterher ein rotweiß gekleideter Engel durchs Fenster und bedankte sich artig.
Das zwölfte Augustiner schmeckte besonders gut, und ich war nur mäßig beunruhigt darüber, dass ich den Rauch nicht gleich verorten konnte. Es war aber weder der Baum, noch der Krippenpropeller, auch keine heimlich rauchende Tochter, sondern bloß die vergessene Pizza im Ofen.
Nach dem 19. Bier sprangen die Shrimps vom Teller. Aus dem Kaviar wurde augenblicklich Popcorn, als mein Handy klingelte. Nun ist Ruhe. Der Engel ist weg. Der Baum ist umgefallen. Verdammt, warum steht eigentlich das Rentier da draußen und pinkelt gegen unser Auto?

Sonntag, 20. Dezember 2009

Hungerstreik

Am Wochenende habe ich mit Greta zum ersten Mal in meinem Leben eine Folge der Lindenstraße gesehen. Ich kommentiere das besser nicht weiter. Außerdem gabs die Unendliche Geschichte, die ja ganz nett ist. Ich verstehe bloß nicht, warum es in diesen Märchen immer so schlaue Tiere gibt, die in irgendwelchen Sümpfen leben und seit Jahrhunderten weder Kontakte, noch Bücher, noch Internet-Anschluss haben. Und die echten Wissenschaftler sind bloß Schießbudenfiguren, das kann doch nicht richtig sein!
Gretas Herzentzündung bedarf immer noch genauer Kontrolle. Eine Schwellung verursacht unsauberen Durchfluss in der rechten Aorta-Klappe, außerdem gibt es einen Liquor-Kanal neben der linken Herzkammer, der dort nicht hingehört. Unter der Sonographie kann man sich das alles genau anschauen. Ob diese Entzündung das Resultat einer Virusinfektion darstellt oder eine GvHD ist, darüber sind die Ärzte uneins. Genauere Auskunft würde die Biopsie ergeben (Entnahme von Herzgewebe) oder ein Herz-MRT unter Narkose, beides Verfahren, die wir Greta lieber ersparen würden. Die Werte waren aber heute und gestern schon wieder besser als am Donnerstag, wo die Ärzte ziemlich nervös waren. Das Kind ist munter, plaudert viel und macht Spiele mit (Mäuse Würfeln – guter Tipp!).
Nahrung verweigert Greta aber nach wie vor. Ich bin jetzt, da die Sterilpflege aufgehoben ist, von der Station freundlich dazu eingeladen, mein Frühstück bei Greta zu verzehren, was meinen Alltagsgewohnheiten durchaus entgegen kommt. Erinnert ihr euch noch an jenen schönen Fall, der als Paradebeispiel für den österreichischen Charme 1998 durch die Presse ging? Veronika B., seit sechs Monaten in der Vollzugsanstalt Wien Josefstadt arrestiert, hatte beschlossen, aus Protest gegen ihren Prozess und gegen die gesellschaftliche Gesamtsituation in den unbefristeten Hungerstreik zu treten. Die Gefängnisleitung tat nach vier Wochen folgendes: Sie zog Ärzte, Forensiker und Psychologen ab und ließ statt dessen eine große Tafel in Veronikas Zelle aufbauen mit Kaiserschmarren, Hendln, Krainern, Knedln, Obatzten und was man dort sonst noch Gutes isst. Dann bat man die als sehr gefräßig bekannte Mitinsassin Gerda F. in die Zelle, die man gegen extra Taschengeld drei Tage zuvor auf Diät gesetzt hatte. Gerda ließ es richtig krachen und holte fleißig Kalorien nach. Veronika B. sah vom Krankenlager aus zu – und stürzte sich nach einer halben Stunde entnervt auf das vorletzte Hühnerbein. So ähnlich sollte ich es wohl auch mit Greta machen, aber bisher war das nicht sonderlich erfolgreich.
Der Kindergeburtstag am Samstag ist anscheinend gelungen, auch der Sonntag brachte kulturelle Anregungen für die Großen, bestehend aus dem Badeparadies in Halle (Stella) und Plätzchenbacken für Clara. Es ist wunderbar, wie die Freundeseltern uns mit solchen Aktionen immer wieder unterstützen. Greta ist aber trotzdem das Nummer-1-Thema bei den Schwestern, die die Kleine zu Weihnachten unbedingt sehen wollen. Wir werden deshalb am ersten oder zweiten Feiertag alle nach Jena fahren, die Eltern dann auch in Gretas Betreuung tauschen.

Still alive


Familienzusammenführung in der Jenaer Dorfstraße am 05.12.2009


Mama und Greta 16.12.2009


Greta und die von ihr sehr geliebte Krankenhaus-Clownin "Knuddel"

Freitag, 18. Dezember 2009

Weihnachten in Jena

Wir werden heute doch wieder bis Sonntag tauschen in Jena. Steffi ist nur knapp über die letzten Tage gekommen, weil sie halb krank war. Aber den Kindergeburtstag möchte sie doch selber machen. Soll sie tun.
Gretas Herz macht Unregelmäßigkeiten und muss genau beobachtet werden. Vielleicht hat sie einen Herzmuskelinfekt, den man behandeln kann und muss, denn eine Herztransplantation wird sie schwerlich überstehen. Eine Entlassung vor Weihnachten steht nicht mehr zur Debatte.
Die längste Zeit habe ich mich darauf gefreut, zwischen den Jahren wieder ins soziale Leben einzusteigen, reichlich zu schreiben und zu telefonieren. Es könnte sein, dass diesmal gar nichts daraus wird. Wundert euch bitte nicht.

Dienstag, 15. Dezember 2009

Neun Wochen Jena

Bitte schaut euch sehr genau den Tabellenstand der Zweiten Liga an! Da gibt es einen drittplatzierten Aufsteiger, den auch die Sperre seines Top-Torjägers nicht aus der Erfolgsspur bringt. Dabei hat Fortuna einen der niedrigsten Etats der Liga. Es ist eben doch nicht immer nur das Geld. Freilich meistens doch: RasenBolz Leipzig startet durch. Die haben zwar immer noch keine eigene Homepage, aber die vierte Liga ist in Sicht. Lok und Chemie können darüber im Grunde nur froh sein, können sie doch demnächst die Leipzig-Meisterschaft in der fünften Liga wieder unter sich ausspielen.
Stella hat heute Geburtstag („Ich bin jetzt eine runde Zahl.“). Zehn Jahre Kinderaufzucht in diesem Haushalt! Das wäre unter normalen Umständen eine große Party wert. Stattdessen sind wir froh, wenn wir nächsten Samstag einen halbwegs normalen Kindergeburtstag hinkriegen. Stella war so nobel, Clara hinzuzubitten mit drei Freundinnen ihrer Wahl, so dass wir auch diese organisatorische Altlast abarbeiten können, die seit dem 05.03. besteht, weil wir Clärchens siebten Geburtstag nie gefeiert haben. Das wird mein Auftrag werden und damit ein Debüt, denn Steffi will das nächste Wochenende nicht schon wieder tauschen, und sie hat Greta klar auf ihrer Seite („Mama ist mir lieber.“). Immer mehr entbrennt ein edler Wettstreit darum, wer den Dienst bei Greta versehen darf. Wahrscheinlich hat Greta insgesamt Glück mit ihren Eltern. Nichtsdestoweniger war sie gestern sehr übellaunig und hat am Nachmittag zwei Stunden gebrüllt vor Frust. Ich hätte mich danebenlegen und einfach nur beipflichten können.
In den Feiertagen könnte es tatsächlich die bequemere Option sein, gemütlich in Jena zu sitzen. Darüber wird es noch einen Streit geben mit den Ärzten. Steffi hat die Nase voll und ist sicher, dass Greta im Kreis ihrer Schwestern schnell wieder erblüht. Aus medizinischer Sicht stellt sich das so dar, dass das Kind einige Infekte abarbeitet (Rota, Adeno, Herpes, Windpocken/ Gürtelrose), die sie entweder im Krankenhaus eingefangen hat (was das Krankenhaus nicht gerne zugibt) oder bei denen es sich um so genannte reaktive Infekte handelt, also um solche, die von vereinzelten Erregern ausgehen, die vorher schon im Körper waren und die das Interregnum zwischen den Immunsystemen ausgenützt haben. Sie kommen nur ansatzweise zum Ausbruch, werden genau beobachtet, medikamentös behandelt und sind nicht weiter schlimm, aber es können noch weitere hinzukommen, die alle aus dem KMT-Lehrbuch stammen, Kapitel: Unmittelbare Folge-Risiken.
Die hard facts stimmen nach wie vor, insbesondere die Leber-VOD ist vollständig beseitigt. Aber Greta isst halt im Moment rein gar nichts, und das muss sich ändern vor der Entlassung. Ich ahne, dass Steffi sich diesmal anlegen wird mit den Ärzten, und ein Verhandlungsziel könnte es sein, dass Greta nach der Rückenmarkspunktion am 21.12. in die KiK 4 nach Leipzig verlegt wird, was für uns schon ein großer Gewinn wäre.
Clara kam Sonntag wieder mit nach Jena, und wir wurden von einer benachbarten Dame im Zug sofort zur Ruhe ermahnt. Weil sie gerade Stieg Larsson in Arbeit hatte, habe ich ihr dies verziehen, denn dieser Schreiber wartet auch auf meiner Fensterbank darauf, dass ich meine Agatha-Christie-Phase beende, wonach es im Moment allerdings nicht aussieht.

Donnerstag, 10. Dezember 2009

In eigener Sache

Ich glaube, zuletzt habe ich mit diesem Blog einigen Anstoß erregt. Leute, das tut mir Leid! Ich provoziere zwar gerne ein bisschen, will aber wirklich niemanden verletzen und schon gar nicht hinter die Errungenschaften des Grundgesetzes zurückfallen. Anscheinend mag sich nicht jeder auf mein kratziges Ironieverständnis einlassen, und ich habe noch gar kein Gefühl dafür entwickelt, wie weit der Leserkreis tatsächlich schon über den Radius der engen Freunde hinausreicht, die mich gut kennen.
Um Himmels Willen, glaubt denn allen Ernstes jemand, ich hätte etwas gegen Migrantenkinder an der Schule meiner Töchter?? Es gibt in Leipzig – osttypisch – noch viel zu wenige Ausländer!
Damit das klar ist: Ich will eine offene, bunte, liberale Gesellschaft, in der jedes Individuum das Höchstmaß an Freiheit und Selbstverwirklichung erreichen kann, das ohne den Schaden des Anderen zu machen ist. Dazu gehört die Freiheit von Wort und Buchstaben. Schwache brauchen extra Unterstützung, und ich weiß den Wohlfahrtsstaat nach diesen letzten zwei Jahren wahrlich zu schätzen. Im übrigen lebe ich im real existierenden Matriarchat der Großfamilie und fühle mich so sauwohl darin, dass von mir aus der ganze Staat so werden kann. Wer wollte ernsthaft bezweifeln, dass der unaufhaltsame Vormarsch der Frauen gerade im Berufsleben in Summe eine große Bereicherung für alle ist? So viel dazu.

Die Schwiegereltern sind da. Große Erleichterung. Mein Dasein als voll berufstätiger quasi allein erziehender Vater ist damit für dieses Jahr vorbei. Morgen fahre ich nach Köln, obwohl doch Fortuna Düsseldorf gerade viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Sonntag bis Dienstag ist dann endlich wieder Vaterzeit für Greta in Jena.

Montag, 7. Dezember 2009

Fünf Schmals in Jena

Am Samstag gab es tatsächlich Familienzusammenführung für einige Stunden, in jenem etwas gespenstischen Kellerraum des McDonald-Hauses, in dem auf 25 qm ein Pool-Billard, ein Tischfußball, eine komplette Wii, zwei Kaufmannsläden, zwei Hometrainer, drei Dreiräder, vier Bausteinkisten, eine Modelleisenbahn, eine Autorennbahn und übermannshohe Schränke mit weiterem Spielzeug von ehrgeizigen Sponsoren angesammelt sind, wo aber nie jemand spielt, weil die wenigen Geschwisterkinder lieber im Aufenthaltsraum fernsehen.
Dort also haben wir zwei sehr schöne Stunden verbracht, in denen Greta manchmal in Anflügen wieder fast wie ein richtiges Kind sich verhalten hat und anzusehen war.
Die großen Schwestern waren einfach mitgekommen nach Jena, um danach mit Mama wieder zurückzufahren. Die Deutsche Bahn ist in der Kinderfrage ja wirklich äußerst kulant.
Auf dem Weg durch die Jenaer Innenstadt unterhielten sich Stella und Clara lautstark über ihre Zukunftspläne, die vorläufig vorsehen, ein schulisches Lehramt zu bekleiden. Das wär doch fein, meinte Clara, mein Mann ist dann auch Lehrer und arbeitet an derselben Schule wie ich. Eine nette ältere Dame in Hörweite fing an zu grinsen, verlangsamte ihren Schritt und gab zu erkennen, dass sie selbst Lehrerin gewesen und immer sehr zufrieden mit ihrem Beruf gewesen sei. Und dass sie sich sehr freuen würde über Stella und Clara. Nun ja, wir, die Eltern, können alles in allem aufgrund eigener Erfahrungen und Prägungen die Planungen der Töchter nur gutheißen.
Greta war nach dem aufregenden Samstagnachmittag völlig geschafft und hing am Sonntag nur in den Seilen. Der Durchfall macht ihr Schmerzen, dafür bekommt sie wieder Morphium. Die braune Oberhaut löst sich vollständig und macht Juckreiz. Essen und trinken tut sie gar nichts. Der Versuch, ihr nach mehreren Tagen Pause wieder Medizin oral einzuhelfen, endete mit sofortigem Übergeben. Die Ärzte sind mit Gretas Eckdaten (Leber, Niere, Blutwerte, Wassereinlagerungen) nach wie vor sehr zufrieden, aber ich sehe das schwache Kind Weihnachten noch nicht zuhause.

Samstag, 5. Dezember 2009

Premieren

Greta hat Rota-Viren und damit eine gängige Magen-Darm-Infektion. Normale Kinder kommen deswegen manchmal ins Krankenhaus, weil sie so viel Wasser verlieren. Aber wenn man sowieso schon im Krankenhaus ist, dann ist es nicht so schlimm. Gretas Laune scheint davon nicht (noch) weiter beeinträchtigt. Sie hat jetzt gelegentlich stundenweise Ausgang. Die Eltern tauschen wieder Samstag auf Montag. Steffi hat zwar gestern behauptet, Greta sei schon sehr traurig wegen des anstehenden Betreuertauschs, aber das war gewiss nur ein Versuch, sich auch noch das komplette Wochenende im Jena-Idyll zu ergattern. Daraus wird nichts. Ich bin sicher, dass Greta sich in Wirklichkeit schon sehr auf den lieben Vati freut. Und die Mutti darf derweil zuhause Ordnung machen und Stellas Geburtstag organisieren.
Gestern gab es eine beachtliche Premiere. Ich musste um 06:40 Uhr auf den Zug nach Hannover, und deshalb sind Stella und Clara alleine aufgestanden und in die Schule gegangen, nur durch gelegentliche Telefonate angespornt. Das Experiment ist vollständig geglückt. Augenzeugen berichten, die Mädchen seien sogar besonders früh in der Schule gewesen. Es ist schon toll, so große Kinder zu haben!
Mittwoch stand unsere Blog-Adresse in der Leipziger Volkszeitung. Wie peinlich! Da haben ausgerechnet die Verrisse über Grundschule, McDonald-Haus und Nebel von Avalon unerwartet Multiplikation erfahren. Danke, liebe LVZ, dass du uns vorher nicht gefragt hast! Zum Glück liest ja kaum noch jemand diese Papier-Zeitungen.

Montag, 30. November 2009

Luxusprobleme

Am Freitagmorgen hätte ich in einem Anfall von vorweihnachtlicher Gutherzigkeit beinahe für das McDonald-Haus in Jena gespendet. Drei Stunden später war ich froh um meine Entscheidung, denn ich betrat dort eine komplett neue Küche. Die alte Küche war völlig in Schuss und hoch funktionell – aber eben „schon 15 Jahre alt“. Und dabei muss das Haus doch bald der Kinderklinik nach Lobeda hinterherziehen. Der ganze Apparat ist völlig hypertrophiert. Greta hat heute schon die ersten beiden Adventskalender geschenkt bekommen. Dabei kann das arme Kind noch kaum essen.
Da engagiere ich mich doch lieber bei dem Förderverein unserer Grundschule. Die strengen gerade eine Klage an, weil die Schule zu klein wird. Die Waldstraßen-Wessis verdienen alle gut und vermehren sich entsprechend. Die Schulverwaltung, die sowieso immer schuld ist, will einfach den Sprengel nicht verkleinern. Dabei kommen eh schon so viele Russenkinder aus den Plattenbauten südlich der Jahn-Allee. In der Petition steht, dass es inzwischen richtig „laut“ im Hort und bei der Schulspeisung zuginge. Schlimm. Von „Containern“ ist gar die Rede, die aufgestellt werden müssten. Ja, wollt ihr denn die zukünftige Elite mit Asylbewerbern auf eine Stufe stellen? Nein, das Boot ist voll!
Greta interessiert das alles gar nicht. Sie ist ruhig und niedergeschlagen, irgendwie frustriert. Das kennt man gar nicht an ihr. Dabei geht es objektiv stetig aufwärts. Mehrere Ärzte haben sich heute unabhängig voneinander – bei aller Vorsicht, die Onkologen eigen ist – deutlich zufrieden mit dem Verlauf von Gretas Behandlung gezeigt. Der Allgemeinzustand bessert sich aber nur langsam. Greta isst winzige Häppchen, trinkt winzige Schlückchen, steht auf wackligen Beinen, schläft viel, bastelt ein wenig und lässt sich gerne vorlesen. So bald wird sie nicht entlassen werden. Das Großfamilien-Weihnachten in Leipzig ist möglich, aber keineswegs sicher.
Mit den Nebeln von Avalon bin ich endlich durch. Zum Schluss hat das Lesen Kopfschmerzen gemacht. Was also zeichnete die Protagonistinnen des versunkenen Matriarchats aus? 1. Sie haben bei jeder Besprechung zuerst gründlich darüber nachgedacht, ob ihr Gegenüber mehr graue Haare bekommen hat, angemessen gekleidet oder gar schon wieder schwanger ist. 2. Wenn sie etwas nicht verstanden haben, nannten sie es Magie. In diesen Zeiten war ziemlich viel Magie. 3. Da Frauen im Schwertkampf nicht so gut waren, bezwangen sie die Männer (und die Frauen) mit Gift, Heimtücke und doppelter Grausamkeit. Nach alledem darf man froh sein, wenn heute und in Zukunft die meisten Führungspositionen von Männern besetzt werden. Immerhin haben Männer Demokratie und Aufklärung erfunden. Außerdem können sie besser kochen.

Freitag, 27. November 2009

Freitag frei

Die Grippewelle ist nur unwesentlich abgeebbt. Stella hustet seit zwei Wochen wie ein Kette rauchender Fuhrmann, wahrscheinlich liegt das an dem Hustensaft, den sie täglich bekommt. Ich habe mir ein Antibiotikum eingeworfen, fahre nach Jena und bleibe bis Montag bei Greta. Steffi wird an diesem Wochenende nur übers Handy auf dem Reitplatz zu erreichen sein.
Der Aufwärtstrend in Jena hält an. Greta isst angeblich Fischstäbchen, spielt Ball im Zimmer und darf demnächst kleine Ausflüge machen.
Stella und Clara spielen jetzt Bauernskat. Dabei lernen sie Rechnen, zumindest Addition bis 120. Stella hat eine Drei plus in Mathe geschrieben, der Schülerhilfe sei Dank. So langsam wird es Licht am Horizont.

Sonntag, 22. November 2009

Bald sechs Wochen Jena

Wir haben diese Woche gar nicht getauscht in Jena. Die Ärzte rieten uns dringend davon ab, Greta der Virenflut auszusetzen. Für mich waren das fünf außergewöhnlich erholsame Tage: dreimal Sport, fünfmal acht Stunden schlafen, das gab es seit der Kur nicht mehr.
Aber nach zwei Wochen vermisse ich meine Frau. So lange waren wir noch nie getrennt. Dafür haben wir eigentlich nicht geheiratet. Oder haben wir genau dafür geheiratet?? Greta ist als Person in diesem Haushalt schon vergleichsweise abstrakt. Die Wahrheit zu sagen: Stella, Clara und Papa zuhause, das läuft ausgesprochen rund. Und bis auf das Kinderzimmer ist die Wohnung sogar halbwegs in Schuss. Beim Abendbrot ließen wir Reminiszenzen passieren. Stella erzählte davon, dass Mama beim Wegzug aus Braunschweig geweint habe. Darauf Clara: Warte mal ab, bis Greta stirbt, dann wird sie erst mal weinen! Wir haben uns darauf geeinigt, dass vielleicht doch erst ein ablebendes Pferd den nächsten Anlass gibt.
Der tagesaktuelle Leukozytenwert aus Jena beträgt 3,3 ppm. Schon am vergangenen Montag hatte die Rückenmarkspunktion ergeben, dass das neue Knochenmark tatsächlich zu hundert Prozent angewachsen ist. Die großen Hürden sind also genommen. Auch GvH-Reaktionen waren bisher kein Thema. Aber über den Berg sind wir noch nicht.
Gretas Allgemeinzustand bessert sich nur langsam. Vorgestern stieg sie erstmals wieder aus dem Bett – um den Videorecorder anzumachen. Die Nierenwerte stabilisieren sich und die besonders gefährdeten Leberwerte sind unverändert, was zunächst kein Nachteil, sondern ein Zeitgewinn ist. Die nächtliche Sauerstoffzufuhr über eine Maske ist abgehängt worden, die Morphin-Gaben gesenkt, ganz langsam wird das eingelagerte Wasser abgebaut.
Für Steffi ist es jetzt hart, in die dritte Woche am Stück zu gehen. Jena ist inzwischen düster und kalt, das Durch-die-Stadt-Schlendern macht keinen Spaß mehr, elterliches Draußensitzen vor dem McDonald-Haus bei Wein und Tratsch entfällt auch – und dazu der jammervolle Zustand des FC Carl Zeiss Jena.
Übermorgen sind wir sechs Wochen dort, aber es werden selbst bei gutem Verlauf sicher noch zwei bis drei Wochen mehr werden, bis das Kind keine Infusionen mehr braucht und selbstständig essen kann. Freuen wir uns auf Weihnachten. Bis dahin wird es wohl geschafft sein.

Stella und Clara allein zuhaus

Clara hat heute mal mit meinem Handy draufgehalten. Nachdem sie schon in Bad Oexen mit der kleinen Digital-Kamera besonders eifrig dabei war, sollten wir den bürgerlichen Haushalt zu Weihnachten endlich um ein solches Teil bereichern. Das Kind hat ja so viel Talent!


Das Wichtigste sind gute Freunde.



Frische Nahrung ist auch nicht zu verachten.


Das Spielgeld von Cafe International, von Clara arrangiert.



Das ist nicht etwa suizidal, sondern ein fröhliches, turnendes Kind, Clara November 2009.


Stella nutzt derweil die freien Tage, um über sich und das Leben nachzudenken.

Mittwoch, 18. November 2009

Büßen und Beten in Sachsen

Wir haben unsere Jena-Planungen geändert. Ich fahre frühestens Freitag, weil ich mittendrin stecke in einer Waldstraßenviertel-Pandemie, die ich nicht nach Jena tragen sollte. Stella und Clara waren Montag und Dienstag zuhause und überwiegend im Bett. Ich kontrolliere jeden Morgen, ob sich bei ihnen Ringelschwänze bilden, denn dann muss man ja zum Arzt gehen. Aber diese Art von Infekt hätte man früher wohl „Erkältung“ genannt. Die Kinder rotzen, schniefen und husten, dass es für ein empfindliches Gehör kaum zum Aushalten ist. Von den Betten aus machen sie Taschentuch-Weitwurf nach dem Papierkorb, den sie meist nicht treffen. Entsprechend sieht das Zimmer aus. Heute Abend sind die beiden schon wieder sehr lebendig.
Sie sind auch gut ernährt, denn Onkel Roland hat ihnen beigebracht, dass Obst und Gemüse sehr wohlschmeckend sein können. Die Voraussetzung allerdings: eine erwachsene Betreuungsperson übernimmt das Schälen und sonstige Unannehmlichkeiten. Ich habe also einen Sack Orangen gekauft und mir zum x-ten Mal vorgenommen, jeden Tag einen Teller mit saftigen Obststücken auf den Tisch zu stellen.
Greta hat nun doch die Lebervenenverschlusserkrankung (VOD), eine häufige Komplikation, nach der die Ärzte in den letzten Wochen schon intensiv per Sonograf gesucht haben. Bestimmte Abfallprodukte der schweren Medikamente führen zu Veränderungen in der Venenwand, und diese Veränderungen begünstigen eine Verstopfung. Ein kleiner Thrombus wurde nun gefunden. Die Ärzte geben Defibrotide, müssen freilich aufpassen, dass sie damit nicht wieder innere Blutungen befördern, die noch vor kurzer Zeit zu den größten Risiken gehörten. Ein Glück, sagen sie, dass diese Komplikation erst am Tag 25 nach der KMT aufgetreten ist. Sollte die Vene sich ganz zusetzen, ist es aus mit Greta. Es kann aber gut sein, dass es harmlos verläuft und der Thrombus sich wieder auflöst. Die Nierenwerte sind auch nicht in Ordnung. Das eingelagerte Wasser wird nur sehr langsam abgebaut. Von größeren Eingriffen wie einer Drainage wird aber einstweilen abgesehen.
Als ich diese Dinge mit Steffi am Telefon besprochen hatte, fragte Clara: Wie hoch ist Gretas Prognose jetzt? Nachdem ich vor ein paar Tagen etwas leichtsinnig 80 Prozent in die Runde geworfen hatte, musste ich mich nun auf 60 Prozent korrigieren. Clara lief sofort ins Kinderzimmer und rief: Stella, es gibt schlechte Nachrichten ...
Obwohl Clara also eindeutig einen rationalen Zugang zur Welt hat, macht sie gerade eine religiöse Phase durch - wie Stella vor zwei Jahren. Wir haben eine CD geschenkt bekommen mit christlichen Kinderliedern, die tatsächlich ganz fetzig sind und die ganze Tage rauf und runter gelaufen sind. Nun hat Clara eine Tabelle angelegt. Dort trägt sie wichtige Bezugspersonen ein, die sie fragt, ob sie an Gott glauben oder nicht. Von der Mehrheitsentscheidung will sie ihre eigene Haltung dazu abhängig machen. Im Grunde ist das ja auch ein sehr rationaler Angang.

Sonntag, 15. November 2009

Die Grippe geht um

Clara hatte heute hohes Fieber. Pech für sie: Es war Fahrrad-Putztag, und den Euro hätte sie sich gerne verdient. Ich habe den vermeintlichen Simulantinnen vom Mittwoch Unrecht getan. Alle sind krank geworden. Die Kinderärzte haben frühmorgens Trauben von Menschen vor der Tür.
Inzwischen ist es mit Clara schon besser. Zum Glück bleibt Roland auch morgen noch da, so dass das Kind nicht alleine zuhause bleiben muss. Mein Einsatz in Jena ab Mittwoch wackelt, zumindest müssen wir prüfen lassen, wie groß das Risiko ist, dass ich dort mit Grippe-Inkubation Schaden anrichte.
Gretas Leukozyten-Wert lag heute bei 1,6 ppm, die Sterilpflege ist bereits aufgehoben. Sie hat aber immer noch viel Wasser eingelagert und ist sehr müde. Wahrscheinlich dreht sie erst voll auf, wenn ich komme, und ich muss dann lange Ausflüge mit ihr machen und im Spielzimmer des McDonald-Hauses mit ihr herumtoben.
Heute ist mein erster freier Tag seit fünf Wochen. Ich genieße das Nichtstun und bin schon um sechs Uhr beim Vorlesen eingeschlafen. Ansonsten: Der Herbst hat kaum angefangen, trotzdem wird es um vier Uhr dunkel. Solche Zustände gibt’s auch nur im Osten. In Düsseldorf war es übrigens fünf Grad wärmer als in Leipzig.

Mittwoch, 11. November 2009

Wenigstens mit Greta geht es aufwärts

An diesem abscheulichen Tag für Jena, Hannover und Deutschland stellt sich der Leipziger Mikrokosmos so dar, dass Clara und ihre zwei Freundinnen sich vormittags mit Bauchweh und Kopfschmerzen im Sekretariat krank meldeten und abgeholt werden wollten. Das Nachbarschaftsnetzwerk funktionierte zum Glück, und ich musste meinen Arbeitstag erst mittags abbrechen.
Richtig krank wurde dann nur eine der drei Damen. Anscheinend hatten sie alle keine große Lust auf die Vertretungslehrerin. Ihr Klassenlehrer nimmt nämlich eine Woche Auszeit, weil sein kleiner Sohn Durchfall hat. Staatsdienst halt.
Clara und ich nutzten den Nachmittag und spielten „heile Welt“, bestehend aus 19 Runden Maumau und gemeinsamen Mathe- und Deutsch-Hausaufgaben. Unter geringer Anleitung sind beide Großen eigentlich sehr anstellig mit den Schularbeiten.
Wenigstens in der Kinderklinik Jena sieht es gut aus. Nachdem wir am Montag die Nachrichten vom Sonntag anzweifeln mussten, stieg der Leukozytenwert gestern erneut auf 0,2, heute dann auf 0,4 ppm. Greta ist allerdings immer noch sehr schlapp.
Steffi muss bis Mittwoch aushalten, weil ich am Wochenende in Düsseldorf tage. Vetter Roland wird die Stellung zuhause halten, was die Großen jetzt schon prima finden.

Sonntag, 8. November 2009

Die neuen Sheriffs sind da


Das ist Leukozyt Sam, geboren am 07.11.2009, am 08.11.2009 um 07:40 Uhr in Jena fotografiert – mit dem Mikroskop natürlich, denn Sam ist in Wirklichkeit nur 10 Mymeter groß. Er und seine Brüder verdoppeln ihre Anzahl jetzt einmal täglich und bringen Gretas Abwehrsystem wieder auf Vordermann.

No ordinary girl

Greta sieht aus wie ein Zombie, der frische Haarflaum ist wieder weg, das Gesicht aufgedunsen, die Augen wässrig-trüb, der Mundraum eine einzige Wunde, die Körperfarbe zwischen braun, lila, gelb, grau changierend. Ihr Verhalten ist bedrückend souverän und erwachsen. Völlig humorfrei und diszipliniert gibt sie Anweisungen dazu, was sie will oder was die pflegerische Notwendigkeit gerade erfordert. Es ist eine Leerformel, in diesem Kontext von einem „tapferen Kind“ zu sprechen. Oder habt ihr etwa schon mal von Krebseltern gehört, die ihr Kind als Weichei oder Looser bezeichnet haben? Trotzdem nötigt einem Gretas Performance Bewunderung ab, und wir hatten die Woche einmal den lästerlichen Gedanken, wie sich wohl Stella in dieser Lage aufführen würde, die sich kaum noch zum Zahnarzt traut. Greta ist echt aus hartem Holz geschnitzt.
Geheult hat sie am Wochenende nur ein einziges Mal, als sie sechs Karten ziehen musste beim Maumau. Das geht nämlich seit Samstagabend plötzlich wieder, und das scheint kein Zufall gewesen zu sein. Denn Sonntag früh kam die erlösende Meldung, dass das Blutbild 0,2 ppm Leukozyten ausweist. Das heißt, dass die Tätigkeit der Spenderzellen bereits an Tag 15 nach der KMT klar nachweisbar ist. Das ist früh und lässt darauf hoffen, dass das neue Blut und seine Umgebung auch weiterhin konstruktiv zusammenarbeiten. Tatsächlich gab es von gestern auf heute schon eine spürbare Verbesserung in Gretas Allgemeinbefinden.
Kulturell war das Wochenende von „H2O – plötzlich Meerjungfrau“ dominiert, einer australischen Teenie-Soap, die ziemlich gut ist, dreimal besser jedenfalls als das Zeug, das wir vor vierzig Jahren glotzen mussten: Daktari, Flipper, Bonanza, Lassie – Raumschiff Enterprise natürlich ausgenommen. Heidi, Wicki und Biene Maja taugen auch nicht viel mehr, Sponge Bob dagegen ist echt anspruchsvoll! Die Kinder haben es heutzutage besser, allein schon deshalb, weil sie nicht mehr so früh sterben.

Mittwoch, 4. November 2009

Lage stabil

Tag Zwölf ist in Jena ohne nennenswerte Vorkommnisse vorübergegangen. Greta mault jetzt herum, hat schon wieder Lust auf Filme und wurde heute von Clown Knuddel bespaßt. Ihr Gesicht ist etwas abgeschwollen. Ein leichter Ausschlag könnte sogar Anzeichen für erste neue Blutzellen sein. Der nächste Feind wird GvH heißen – Graft-versus-Host-Reaktion. Wenn die fremden Zellen ihre neue Umgebung bekämpfen, kann das zu allerlei Komplikationen führen und sogar dazu, dass man das neue Immunsystem erst mal wieder drosseln muss.
Erneut ist eine Weggefährtin gestorben. Für Steffi ist das immer besonders schmerzhaft. Diese Erfahrungen werden uns selbst beim bestmöglichen Verlauf der Greta-Geschichte nicht mehr verlassen.
Montag früh konnte Clara nicht in die Schule gehen wegen Ohrenschmerzen. Na prima, der Vater unabwendbar auf dem Sprung zur Dienstreise, blieb das kranke Siebenjährige also allein zuhause. Ich hoffe, das Urvertrauen von Stella und Clara in die Welt und in die Eltern ist auch am Ende der familiären Leidenszeit noch nicht gänzlich aufgebraucht. Am Nachmittag kamen dann Tante und Cousine aus Bamberg, seitdem ist die Welt zuhause wieder sehr in Ordnung.
Arbeitende Väter haben es gut. Der Stuttgarter Diensttermin endete gemütlich in einer Pizzeria. Und wer saß da an der Bar, still und in sich gekehrt vor Scampiteller und Mineralwasser? Der leibhaftige Thomas Hitzlsperger. Ein ganz schmächtiges Kerlchen, dem man eher einen Kunststoß beim Snooker zutrauen würde als jene Hämmer aus der zweiten Reihe, für die er so gefürchtet ist.

Sonntag, 1. November 2009

Leere im Kopf

Aus Jena gibt es nichts Schlimmes, aber auch wenig Erfreuliches zu berichten. Die massiven Nebenwirkungen der letzten Chemo tun sich nun mit der totalen Aplasie der Blutzellen zusammen. Greta kotzt Blut und bekommt entsprechende Konserven. Der Stoffwechsel ist weitgehend zusammengebrochen, wichtige Organe funktionieren nur noch eingeschränkt, das Kind hat ca. drei Liter Wasser eingelagert und sieht nun gar nicht mehr fotogen aus. Dass sie trotzdem wenig leidet, liegt an den Morphinen, die sie in einen Dämmerzustand versetzen. Filme interessieren sie nicht mehr, sie will nur noch vorgelesen bekommen, seit einer Woche dasselbe Buch (Morgen Findus wird’s was geben).
Das stundenlange Vorlesen unter dem Mundschutz führt bei dem Betreuer zu einer gewissen Sauerstoffarmut im Hirn, die der trostlosen Lage durchaus angemessen ist. Leider sind Die Nebel von Avalon auch nicht geeignet, die Leere im Kopf nachhaltig zu füllen. Viel zu lang das Buch, erschreckend wenig Ehrgeiz, ein wirklich buntes mythohistorisches Panorama zu malen. Nur Mittelalterklischees wie im DeFA-Sonntagsmärchen. Ich las irgendwann, dies Buch sei ein wesentlicher Beitrag zur Gender History der Achtzigerjahre gewesen. Dabei gibt’s nicht mal eine theologische Debatte mit Tiefgang, geschweige denn auch nur eine einzige knackige Schlachtschilderung. Stattdessen immer nur dieser Frauenkram. Das hätte Tanja Kinkel besser gekonnt. Und natürlich der alte Felix Dahn.
Nehmen wir dieses Schmalspurleben als Durchgangsstadium. Tag 9 ist geschafft, es gibt keine echten Komplikationen. Mehr dürfen wir im Moment nicht wollen. Dass wir an diesem Wochenende Halloween und Genesung feiern wollten, haben wir sowieso schon vergessen.

Was taugt der Blog?

Hat dein Kind zufällig auch gerade eine frische Krebs-Diagnose bekommen, und du überlegst, ob du einen Blog schreiben sollst? Nach knapp zwei Jahren Erfahrung dazu ein paar Bemerkungen.
1. Es ist praktisch und für alle Bekannten auch komfortabel, dass sie nachlesen können, wann immer sie wollen, wie bei euch der Stand ist. Du kannst die Lektüre aber umgekehrt bei niemandem voraussetzen. Und deine Replik: "Dazu brauchst du nur den Blog zu lesen" mag niemand gerne hören. Im Grunde weißt du bei kaum jemandem vorher, welchen Kenntnisstand er hat. Selbst gute Freunde finden die zähe und oft eintönige Krankengeschichte irgendwann langweilig und lesen nur noch sporadisch (wichtiger Tipp: Fasse dich kurz!). Im direkten Gespräch gibts da nur ein Mittel: Du setzt immer voraus, dass dein Gegenüber nicht auf dem neuesten Stand ist, Doppelinfos verübelt niemand.
2. Du musst dich selbst dann noch, wenn dir das Thema zum Hals raus hängt, darum kümmern, das medizinische Geschehen zu verstehen, vor allem dann, wenn du von Zellen und von Stoffwechsel zum letzten Mal in der Schule gehört hast. Und wenn du glaubst, du hast verstanden, was die Ärztin gesagt hat, heißt das noch lange nicht, dass du daraus drei Sätze geradeaus schreibst, ohne großen Bockmist zu verzapfen. Da musst du dauernd nachfragen oder wenigstens bei Wikipedia nachlesen, um die Wörter nicht falsch zu schreiben. Nur wenige sind in der glücklichen Lage, einen krebsforschenden Nachbarn zu haben, der ab und zu ein paar Zusammenhänge erläutert. Perspektivlos ist das für dich trotzdem, denn ohne Physikum hast du keine Chance, jemals das Niveau von schlechtem Wissenschaftsjournalismus zu verlassen.
3. Die wirklich harten Themen sind tabu: kein Wort über Drogen, Sex, Job und Geld. Wenn du erst mal auf 2780 Zugriffe im Monat gekommen bist, musst du dir darüber im Klaren sein, dass das vielleicht nicht mehr alles nur Freunde sind. Da können auch Leute dabei sein, die deine Verwundbarkeit ausnutzen wollen oder die dich zumindest sehr kritisch betrachten. Umgekehrt schaffst du dir im Blog einen „Interpretationsspielraum“, kannst die Lage etwas manipulieren. Aber das Kaschieren klappt nicht ewig, und irgendwann verlierst du Glaubwürdigkeit.
4. Du darfst niemanden angreifen, selbst wenn du genau dazu manchmal richtig Lust hast. Feindschaften kannst du nicht gebrauchen. Nicht jeder findet es cool, im Zusammenhang mit einer Unglücksfamilie lebenslang im Internet zu stehen. Also am besten gar keine Namensnennungen. Und auch keine Fotos mit Namen.
5. Du freust dich natürlich darauf, dass dein Blog mit Party, Luftballons und einem strahlenden Kind endet. Aber mach dir nichts vor, du erhöhst die Überlebenschance des Balgs mit der Schreiberei kein Stück. Am Schluss können auch die Friedhofsblumen stehen. Und wenn es zuende geht, ist es doppelt schlimm. Du musst dann weiterschreiben, auch wenn dir die Laune komplett vergangen ist und du nur noch deine Ruhe haben willst.
Trotzdem ist der Blog für deine Situation eine wunderbare Erfindung. Er sorgt wirklich dafür, dass jeder sich nach Interesse informieren oder dies lassen kann, und er verhindert, dass alle deine Brüder und Großtanten je dreimal die Woche anrufen.
Solltest du ein schriftlicher Typ sein, dann sei versichert, dass die Schreiberei für dich auch eine massiv entlastende Funktion gewinnt. Wenn das Schlimme erst mal in Buchstaben gepackt ist, verliert es den Schrecken des Unbekannten. Der definierte und beschriebene Feind ist leichter zu packen als ein vage dräuendes Schicksal.

Sonntag, 25. Oktober 2009

KMT geglückt


Großes Aufatmen in der Schmal-Lenger-Schmal-Familie, denn die Knochenmarkstransplantation wurde am Freitagabend planmäßig vollzogen. Das 24-Stunden-Zeitfenster wurde fast voll ausgereizt, das Bereitschaftsfahrzeug musste hinter Frankfurt tatsächlich mit Blaulicht an dem dicken Wochenendstau vorbeiziehen.
Die Transplantation habe ich selbst gar nicht mehr mitbekommen, denn Greta schickte mich überraschend gegen sieben nachhause („Ich will schlafen, tschüss Papa!“), was ich dankbar annahm. Der Akt der Vergabe war auch nicht weiter spektakulär, ca. 0,2 Liter Flüssigkeit, die langsam durch den Tropf geschickt wurden. Ursprünglich haben sie dem Spender über einen Liter aus seinen Röhrenknochen gezogen, wahrscheinlich aus beiden Oberschenkel-Schaufeln, wahrscheinlich mehrmals hintereinander. Mit Voruntersuchungen und Nachbehandlung bedeutet das mehrere Tage Krankenhaus. Sollte ich jemals an dem Spender gezweifelt haben, muss ich ihm nun Abbitte leisten.
Wir waren und sind ja alle von einer naiven USA-Freundlichkeit, gespeist von Reisen, von Shanon oder dem Vetter, oder auch nur von Mel Zandok und Alte Ami Rick DeLisle. Das lassen wir uns nun erst recht nicht mehr nehmen.
Aber auch dem Volk der Kaninchen gebührt Ehre. Man hat Blutbestandteile von Gretas Spender schon vor Wochen einem Kaninchen injiziert, dessen Blut Antikörper produziert hat, so genannte AT-Globuline. Diese ATGs sind Greta verabreicht worden und sorgen in ihr nun dafür, dass die große Minderheit von ausdifferenzierten Lymphozyten des Spenders, also jenen weißen Blutkörperchen, die schon über das volle individuelle „Gedächtnis“ verfügen, blockiert werden, damit sie jetzt in Greta nicht alles auffressen, was ihnen fremd vorkommt. Wir brauchen ja nur die Baby-Blutzellen, die erst im Knochenmark jene Imunzellen ausbilden, die sich dann unter gretaspezifischen Bedingungen neu differenzieren.
Bis diese neuen Leukozyten in Gretas Blut nachweisbar sind, werden mindestens zwei Wochen vergehen, bis dahin ist Gretas Abwehrsystem nahe null, und sie ist sehr anfällig, vor allem für Pilz- und Viren-Befall, dem man mit Antibiotika nicht Herr wird. Wir müssen also noch eine gefährliche Zeit überstehen, aber es kann gut sein, dass wir Weihnachten alle zuhause sind.
Greta merkt von alledem nicht wirklich viel. Nachdem sie Freitag ziemlich in den Seilen hing, war sie gestern und heute ohne nennenswerte Beschwerden, nur etwas schlapp und schlafbedürftig. Die Geburtstagsgeschenke hat sie immer noch nicht alle bekommen, der gestrige Renner neben dem Krankenwagen war „Herr Hase und Frau Bär“, das ich ihr mindestens fünf mal vorlesen musste.

Montag, 19. Oktober 2009

Danke für die vielen Geschenke

Greta geht es den Umständen entsprechend gut. Die Blutwerte gehen nur langsam in den Keller, schmerzhafte Nebenwirkungen bleiben bislang aus. Wahrscheinlich ist diese Chemo schon vergleichsweise schwach dosiert. Jedenfalls hat das Kind gestern seinen Geburtstag wohlgemut verlebt, im Isolierzimmer Badminton gespielt und mindestens vier hartgekochte Eier gegessen.
Greta begeht diesen fünften Geburtstag mehrfach, so ähnlich wie Kater Findus. Zumindest dosieren wir die Geschenke. Das ist übrigens ein alter Trick der Schwestern, die schon wissen, wie sie ihre kleinen Patienten dauerhaft bei Laune halten. Der Renner des Sonntags war das aufziehbare Blechkrokodil, das kieferschnappend durchs Zimmer scheppert – ein echter Klassiker. Greta hat es sofort für komplizierte Rollenspiele vereinnahmt. Mama feiert heute natürlich auch noch mal Geburtstag mit ihr, am Mittwoch kommt Knuddel, der Klinik-Clown – und am Freitag, so würden jetzt die Ärzte hinzufügen, folgt ihr eigentlicher Geburtstag mit dem neuen Knochenmark.
Das Haltbarkeitszeitfenster des gekühlten KM-Präparats beträgt 24 Stunden. In dieser Zeit muss es von der Klinik in L.A. nach Jena gekommen sein und dort auch noch behandelt werden. Die roten Blutkörperchen gehören ausgesondert, denn sie haben nicht dieselbe Blutgruppe wie Greta. Das würde am Anfang Probleme machen, weil sich Gretas Rest-Abwehr dann gleich auf die fremden Hämoglobine stürzen würde. Später wird Greta die Blutgruppe des Spenders annehmen. Es ist also viel zu tun in 24 Stunden, aber die Profis werden das schon machen. Der Außenstehende wundert sich ja genauso, wie es gelingen kann, dass viele Tausende von Büchern in wenigen Wochen fehlerfrei gedruckt und gebunden werden, und trotzdem klappt auch dies fast immer.
Wir haben im McDonalds-Haus jetzt die Präsidenten-Suite mit Balkon, wahrscheinlich ist das der Stammkunden-Bonus. Die Kinderklinik soll demnächst umziehen, nach Jena-Lobeda. Kennt ihr das? Wenn man in Jena von der Autobahn falsch abfährt, landet man in einem scheußlichen Plattenbau-Viertel, aus dem man ohne Polizei gar nicht mehr herausfindet. Das ist Lobeda. Wir hoffen sehr, dass wir beim nächsten Mal die neuen Kapazitäten in Leipzig nutzen können, wo sie seit Jahren eine KMT-Station aufbauen wollen. Um den Aufenthalt im McDonald-Haus wäre es allerdings schade. Nirgendwo schlafe ich so gut wie dort. Und morgens macht einen die eiskalte Gratis-Cola wach.

Samstag, 17. Oktober 2009

Regen in Jena

Seit gestern Nacht läuft die Chemotherapie. Nun gibt es kein Zurück mehr. Doch, theoretisch schon: Wenn die KMT völlig floppt, könnten die Ärzte immer noch entscheiden, ob sie eine Elterntransplantation machen oder ob sie Greta erst mal ihre eigenen Stammzellen geben, denn sie hat noch ein Guthaben aus dem letzten Jahr auf Eis. Man darf also gespannt sein, was nach dem 22.10. geschieht. Die Spende wird in Los Angeles entnommen, das sind zehn Stunden reine Flugzeit nach Frankfurt. Eingefroren wird das Präparat deshalb nicht, weil dadurch der größere Teil der Zellen stirbt. Das Blut muss frisch auf den Tisch. Ein Arzt aus Jena hängt eine Woche Urlaub an die Dienstreise und holt das Zeug persönlich aus L.A. ab. Vom Frankfurter Flughafen aus geht’s wahrscheinlich mit Tatü Tata direkt nach Jena. Greta wird das super finden! Gestern war sie allerdings ausgesprochen schlecht gelaunt, sagt Steffi, verflucht ihr Schicksal und die Krankenschwestern.
Sie ist gründlich durchgecheckt worden die letzten Tage. Lumbalpunktion und Knochenmarksentnahme blieben ohne Befund. Leber- und Nierenwerte sind nicht mehr optimal, aber anscheinend ausreichend für die anstehende Ross-Kur.
Stella und Clara sind gestern Mittag aus Rochlitz gekommen und waren sehr begeistert. Die Psychologen haben Spiele mit den Kindern gemacht, z.B. gemeinsam Märchen erzählt: Eines fängt an, sagt dann „schnipp“, und ein anderes muss die Story an der Stelle fortsetzen. Theater gespielt wurde auch. Clara war die Prinzessin, für sie das Highlight der ganzen Ferienwoche. Sie hat dem Betreuer gleich einen glühenden Liebesbrief geschrieben.
Von Stella habe ich nicht viel mitbekommen. Zeitgleich mit ihrer Ankunft stand schon der nächste Programmpunkt vor der Tür. Sie konnte gerade noch ein paar Klamotten von einem Koffer in den anderen werfen. Nun verbringt sie eine Woche bei einer Freundinnen-Oma irgendwo weit weg im wendischen Bergland.
Dafür habe ich jetzt Clara mal für mich. Wir haben einen sehr schönen Abend mit unserem Lieblingsspiel und besonders langem Vorlesen verbracht. Heute fährt sie mit nach Jena, die vierte Zugfahrt ihres Lebens, sagt sie. Mit Mama geht’s dann gleich wieder zurück. Greta wird sie wohl nicht sehen, durch Glas wäre das für beide eher traurig. Morgen vollendet Greta ihr fünftes Lebensjahr, das haben wir immerhin geschafft.

Sonntag, 11. Oktober 2009

Letztes freies Wochenende?

Dienstag fährt Greta mit Steffi nach Jena und bleibt dort, wenn diesmal alles planmäßig geht. Das Kind ist in bester Verfassung. Wenn nun nichts mehr dazwischen kommt, dürfen wir sehr optimistisch sein. Der Rest ist Fleißleistung. Bis Weihnachten werden wir es wohl geschafft haben, mit Glück auch etwas früher. Ich habe mir für Jena Die Nebel von Avalon bereitgelegt.
Das letzte freie Wochenende haben wir angemessen erholsam verbracht, waren Samstag sogar zu fünft bei Freunden. Die (großen) Schwestern haben gestritten, dass die Fetzen flogen. Aber das gehört dazu. Sie hocken halt sehr eng aufeinander jetzt, zumal die Hinterhofszene als individueller Rückzugsraum weitgehend dem Herbstwetter Tribut zollt.
Stella hat die zweite Vier in Mathe eingefahren. Vielleicht muss ich sie nun motivieren, wie es einst mein Großvater tat, jener, der heute ungefähr 160 Jahre alt wäre. Er wurde einst in die Schule zitiert, weil Lehrer und Mit-Eltern an seinem Bonussystem Anstoß nahmen. Als nämlich die Leistungen seiner Tochter, meiner seligen Tante Gerda, völlig hoffnungslos geworden waren, hatte Opa Karl ihr für jede geschriebene Fünf eine Prämie von fünf Pfennigen ausgesetzt. Sein Sohn, Tante Gerdas Bruder Hanns, wurde später übrigens ein Lehrer und Schulleiter, der sich mit Humor und ungewöhnlichen Methoden viel Respekt und Sympathie bei Schülern wie Eltern verschaffte.
Stella sagt jetzt immerhin selbst, dass sie lernen und aufs Gymnasium will. Das sagt sich freilich leicht, wenn gerade die Herbstferien begonnen haben. Stella und Clara werden morgen wieder für ein paar Tage auf Geschwisterfreizeit von der Elternhilfe krebskranker Kinder fahren (Motto: „Jetzt bin ICH dran“), nach Rochlitz, ca. 30 km in Richtung Chemnitz.
Ihr fragt nach Clara, weil ich sie so selten erwähne. Ich glaube, es geht ihr gut. Zumindest ist sie die Unauffälligste und Vergnügteste von allen. Sie ist sozusagen die Hannah aus „Hannah und ihre Schwestern“. Soziales Umfeld stabil, zur Zeit bevorzugt Amelie, Franziska und Lea. Soll ich euch mit Noten langweilen? Mathe 1-2, Deutsch 2-3, alles im grünen Bereich. Bei Café International hat sie ein bemerkenswert gutes Auge. Neuerdings geht sie in eine Tischtennis-AG, was ich natürlich sehr begrüße. Hoffentlich ist sie damit etwas stetiger als Stella, die sich zuletzt beim Handball meistens krank gemeldet hat. Ist schon kurios, dass meine Töchter sich ausgerechnet diese Sportarten gewählt haben. Demzufolge müsste Greta eine Fußballerin werden. Man hat als Vater doch mehr Einfluss, als man manchmal meint.
Wir sind gut über den Sommer gekommen, alles in allem. Zum Glück gibt es im Rosental beim Fußball jetzt keine fiesen Zirbelmücken mehr. Und ich habe jetzt einen Stützstrumpf, der meinen rechten Haxen zuverlässig am Umknicken hindert. Prima Erfindung und rekordverdächtiges Wort. Zehn Konsonanten in zwei Silben, der Horror für jeden Nichtmuttersprachler. Das Tolle an uns Deutschen ist, dass wir immer einen guten Torwart haben und „Stützstrumpf“ sagen können.

Bilder vom frühen Herbst

Steffi meint, mit Bildern ist der Blog viel interessanter. Recht hat sie. Warum es so lange keine Bilder hier gegeben hat? Seit drei Monaten gibt es bei uns nur noch digitale Fotos, und ich habe eine Weile gebraucht, bis ich gelernt habe, wie man diese netzfähig herunterrechnet. Mit dem Scanner war alles so einfach.


Erdmännchen sind prima.


Yes I can !


Tanzen im Flur.


Der Herbst hält manches Vergnügen bereit.


Rooney ist schon ganz schön groß.


Mit den Schwestern kuscheln hält Herz und Seele warm.

Sonntag, 4. Oktober 2009

Warteschleife

Am letzten Mittwoch hätten wir in Jena auflaufen sollen. Am Montag rief Steffi dort an, um Details zu klären, und wurde darüber informiert, dass sich die Planungen wieder geändert hätten. Verzögerungen beim Spender, was auch immer. Neuer Termin: KMT am 23.10., die Konditionierung eine Woche vorher. Die neuerliche Verschiebung hat bei uns kurzzeitig Ärger, Frust und Angst ausgelöst. Nach klärenden Gesprächen mit den Verantwortlichen (solches einzufordern ist sonst nicht unser Stil) läuft die Kommunikation jetzt wesentlich besser, und wir haben wieder das Gefühl, dass die Prioritäten klar sind.
Aus medizinischer Sicht ist die neuerliche Verzögerung der KMT um zwei Wochen ziemlich unerheblich. Mit einer schwach dosierten Tabletten-Chemo kann das Risiko einer neu aufbrechenden Leukämie eine ganze Weile in Schach gehalten werden. Sollte der amerikanische Spender wiederum und ganz zurückziehen, würde der zweitbeste Spender aktiviert. Mehrere Spender gleichzeitig zu berufen ist leider verboten. Auch nicht möglich (oder erlaubt?) ist die Speicherung des Spendermaterials. Es muss also klappen, dass ein nicht kurzfristig beeinträchtigter Patient eine Woche nach der Intensiv-Chemo (oder geringfügig später) von einem ebenfalls durchgecheckten, akut gesunden und willigen Spender innerhalb von 24 Stunden das Material bekommt, welches in unserem Falle auch noch aus den USA überführt werden muss. Das Verfahren ist naturgemäß störungsanfällig.
Die Nerven der Eltern sind das eine, für Greta ist diese Ruhepause vielleicht von Vorteil und erhöht die Erfolgschancen der KMT. Es geht ihr gut. Sie ist zuhause, lebhaft mit ihren Schwestern zugange – und fährt seit vorgestern alleine Fahrrad. Zum Glück produziert sie wieder eigene Thrombozyten, und auch die Leukozyten stehen mit 2,2 ppm sehr solide da.
Nun müssen wir unsere Betreuung neu organisieren. Seit Mitte September werden wir permanent zuhause entlastet, gerade sind die Schwiegereltern da (was man sofort daran merkt, dass die Wohnungstür wieder lautlos schließt). Aber Jena steht ja nun erst an. Vorteilig ist, dass ich ab nächsten Mittwoch deutlich weniger Dienstreisen vor mir habe und überwiegend freie Wochenenden.
Wir kriegen das hin. Wir sind gerade dabei, uns langfristig mit der Situation abzufinden. Greta kann überleben, aber vom Hirnschlag oder ähnlichem getroffen werden, dann bleibt die familiäre Herausforderung lebenslang gegeben. Wir tun also gut daran, gar nicht mehr über die aktuelle Situation hinaus zu denken, sondern uns einzurichten. Das ist ganz lehrreich. Man ist ständig gezwungen, das Leben auf das Wesentliche zu reduzieren, nur noch das Wichtige zu tun.

Sonntag, 27. September 2009

Keine Wahl

Greta war bis Mittwoch in der Klinik, ist aber jetzt in sehr stabilem Zustand. Die Infektion ist weg, die Blutwerte sind ziemlich gut, ihr Appetit deutlich verbessert. Diverse MRTs, Szintigraphien und anderes haben wenig neues ergeben, einige altbekannte Neuroblastom-Stellen reichern noch schwach an, Veränderungen sind nicht erkennbar.
Der Jena-Zeitplan steht, demnach werden Greta und Steffi am Mittwoch hinfahren, Donnerstag wird die Intensivchemo verabreicht. Damit wäre die Knochenmarkspende definitiv terminiert oder schon erfolgt. Ausdrücklich gesagt hat dies allerdings noch niemand.
Zu viel Optimismus ist nicht angebracht. Eine erfolgreiche Krebsbehandlung sieht so aus, dass das Kind nach einem Jahr heraus ist aus der Mühle. Wenn die Behandlung erst ins dritte Jahr geht, sterben die meisten, da darf man sich nichts vormachen. Der Tapfere Nick aus Stuttgart hat einen Rückfall bekommen. Ist frisch eingeschult worden und weiß nun gar nicht, ob ihm das ABC noch was nützen wird. Blog-Schreiben bringt für den Therapieerfolg jedenfalls gar nichts, das lernen wir daraus. Ebensowenig das voreilige Ansetzen von Genesungsfeiern, wie wir nun wissen. Habt ihr eigentlich alle mitbekommen, dass die Halloween-Party ausfällt? Es gab Rückfragen. Wir hatten die Feier sofort mit Ausbruch der Leukämie abgesagt und werden so bald auch keinen neuen Vorstoß unternehmen.
Stella kommt ab nächste Woche in die Schülerhilfe zum Mathe-Üben. Sie will nicht und hat unser karriereförderndes Ansinnen heute schon damit kommentiert, dass sie Bett und Schlafanzug überhaupt nicht verlassen hat. Ihre Gymnasialempfehlung ist inzwischen ungefähr so wahrscheinlich wie Gretas Überleben. In unserem Falle scheint die Reproduktion des Bildungsbürgertums einfach nicht zu funktionieren. Ich hab mir das alles anders vorgestellt, als ich Kinder in die Welt gesetzt habe.
Das Wetter lacht der Stimmung Hohn. Immerhin war Greta viel draußen die Tage, hat im Hof gespielt und ist Fahrrad gefahren. Vorhin waren wir auf dem Wellenspielplatz, während RetortenBillard nebenan die Lokomotive zerlegt hat. Gefreut hat sich niemand, Fans haben die noch nicht.

Sonntag, 20. September 2009

Auswärtssiege für Köln und Düsseldorf

Die Voruntersuchungen in Jena sind unspektakulär verlaufen, allerdings hat sich Greta irgend einen Infekt eingefangen (man hat in Jena gerade die Hygiene-Bestimmungen gelockert), der dafür gesorgt hat, dass sie gleich zur Beobachtung in die Leipziger Klinik überführt wurde. Inzwischen ist das Fieber aber wieder weg.
Da der Spender nach wie vor noch nicht angezapft werden konnte, hat sich der Aufnahmetermin für Jena nun auf den 30. September verschoben. Die Ärzte fangen an zu streiten, was kein gutes Zeichen ist. Für 24 Stunden galt die Ansage (aus Jena), dass man zur Sicherheit eine MIBG-Therapie einschieben müsse, was von den Leipzigern inzwischen wieder kassiert worden ist. Das ist alles nicht schlimm, nur etwas beunruhigend. Wenn sich der Spende-Termin erneut verschieben sollte, werden wir uns dafür einsetzen, dass der zweitbeste Spender favorisiert wird.
Es war ein ruhiger und konstruktiver Betreuungssonntag. Greta, noch wach, ließ mich ohne Protest schon um halb neun gehen. Roland, der zuhause eine Woche lang heldenhaft die Stellung gehalten und nebenbei unsere Computer umgekrempelt hatte, war noch einmal zu Besuch in der Klinik. Am Nachmittag gab es im Behandlungsraum Lehrstunde am Mikroskop und Nachhilfe in den Basics der Blutkunde. Greta will nun endgültig Ärztin werden, nachdem sie schon unzählige Tiere und Besucher versorgt hat.
Mittags hatten wir eine Stunde Ausgang, wanderten zum Apothekergarten, einer Ansammlung von botanischen Skurrilitäten, die schon Paracelsus hat anlegen lassen, als er 1520 in Leipzig den Lehrstuhl für experimentelle Pharmazie übernahm. Paracelsus war auch der erste, der entdeckte und wissenschaftlich beschrieb, dass Kastanien schwerer sind als Holz und untergehen, wenn man sie ins Wasser wirft. Wir konnten sein Experiment heute nachvollziehen, sie sinken wirklich. Demgegenüber werden Greta und ihr Anhang sicher noch eine Weile oben schwimmen.

Sonntag, 13. September 2009

Kreuz und quer durch Leipzig

Wir haben – oh Wunder! – ein Zweitfahrrad. Die liebe Tante hat es mitgebracht, die am Wochenende die Stellung gehalten hat. Die Kinder waren es sehr zufrieden, Stella konnte einige Mathe-Rückstände aufholen. Der Vater war Freitag/Samstag halbdienstlich in Leipzig unterwegs und konnte viel Neues über seine Stadt lernen. Wisst Ihr, woher die Wörter Lotterbett und verlottern kommen? Von Leipzigs Bürgermeister Hieronymus Lotter, der im 16. Jahrhundert vielfacher Bauherr war und bei Rathäusern und anderen Großbehausungen aus Kostengründen reichlich Schlampereien verantwortet und veranlasst hat. Oder kennt ihr den? Eine Reisegruppe von US-Amerikanern wird durch Leipzig geführt. „Dies ist der größte Bahnhof Europas“, sagt der Cicerone, darauf ein Ami: „Bei uns gibt es größere Bahnhöfe.“ Sie erreichen das Zentralstadion, und der Führer sagt: „Dies war einmal das Stadion mit dem größten Fassungsvermögen in Mitteleuropa“, darauf ein Gast: „Bei uns gibt es Stadien, da gehen mehr Leute hinein.“ Sie fahren auf das Völkerschlachtdenkmal zu. Schweigen. Sie stehen unmittelbar davor. Schweigen. Ein Ami fragt unsicher: „Was ist denn das?“ Sagt der Führer: „Tut mir Leid, weiß ich auch nicht, das stand gestern noch nicht da.“
Freitag-Nachmittag konnte ich eine wichtige Besorgung erledigen: meinen Vorrat an Erdnussbutter erneuern. Es gibt nämlich nur einen einzigen Supermarkt in Sachsen, der die Variante „crunchy“ führt, und das ist der REWE an der Gorki-Straße in Schönefeld. Einer dieser Läden, wo vorne der Schnaps unter Einkaufspreis feilgeboten wird, damit die Stammkundschaft treu bleibt. Wenn ich dort meine fünf Dosen Erdnussbutter aufs Band lege und nichts anderes dazu, gibt es selbst mit den spröden Einheimischen regelmäßig Flachsereien über einseitige Ernährung, phantasievolle Hautkuren oder hochschwangere Partnerinnen. Ob das für mich nur peanuts wären, fragte einer.
Greta ist gut gelaunt und ohne Beschwerden. Die Blutwerte steigen leicht an, der Klinikaufenthalt ist aber immer noch notwendig. Wahrscheinlich wird sie übermorgen nach Jena gebracht, wo sie mindestens den größeren Teil der Woche mit umfangreichen Voruntersuchungen zubringen wird.

Sonntag, 6. September 2009

Bunter Spätsommer

Greta ist seit Mittwoch wieder stationär in der Klinik (Leipzig), zur Sicherheitsverwahrung wegen schlechter Blutwerte. Die Stimmung war angenehm am Wochenende, das Kind guter Dinge, ohne allerletzten Übermut. Bei mir war im Maumau der Wurm drin, ich verlor alle drei Zehnerpartien. Greta lernt Zahlen am LÜK-Kasten (Gruß an die Konkurrenz) und wirft sich neuerdings die Pillen ein wie ein Alter. Als Patientin ist sie eindeutig handlicher geworden. Steffi war ziemlich genervt von der Woche, hatte gehofft, dass die Tochter noch länger Heimaturlaub bekommt. Immerhin kam sie Donnerstag Nachmittag zu den Pferden, denn Katja, unser Kindermädchen, ist inzwischen mit Greta so vertraut, dass sie auch einmal den Klinikdienst übernehmen konnte. Das eröffnet gewisse Spielräume.
Wir haben einen Terminplan für Jena. Der sieht die Voruntersuchungen ab 14.09. vor und am 21.09. die Konditionierung, d.h. die ultimative Intensiv-Chemo, welche hoffentlich alle restlichen Tumorzellen totmacht und das marode Knochenmark gleich mit. Am 28. soll dann die Transplantation erfolgen („Stunde null“). Nachdem zwischenzeitlich der zweitbeste Spender favorisiert worden war, soll es nun doch der Ami werden. Bedingung ist, dass Greta sich keine Infektion holt und sich in gutem Allgemeinzustand befindet, beides ist momentan gegeben. Daumendrücken!
Am Freitag war Schulfest. Ich war bei feuchtem Wetter um halb fünf da und fand meine großen Töchter nicht. Das klärte sich eine Dreiviertelstunde später. Obwohl sie beide die Erlaubnis haben, alleine vom Schulhort nachhause zu gehen, waren sie im Hort gehalten worden, weil sie angeblich genau dort mit mir verabredet waren (waren sie tatsächlich). Deshalb wurden sie nicht zum Schulfest hinunter in den Hof geschickt, muss ja alles seine Ordnung haben. Um Sechs waren Grill und Budenzauber in vollem Gange, es regnete leicht, was der guten Laune keinen Abbruch tat. Die Polizei – wir haben Humor, wir haben nach Berlin die höchste Polizeidichte – fuhr in einem grün-weißen Trabant-Cabrio vor. Um sieben regnete es Bindfäden, die Lehrer sangen und die Kinder tanzten auf offener Bühne. Die Eltern waren begeistert und hielten jede Regung der kleinen Stars digital fest. Rangeleien zwischen Kameraleuten und Schirmträgern. Um Acht goss es aus Kübeln, der Grill war ersoffen, das Polizei-Cabrio auch, die Besucher ergriffen die Flucht. Nur die Lehrer sangen und tanzten immer noch, was mir einmal mehr großen Respekt vor diesem Berufsstand abnötigte.
Stella hat die erste Vier in Mathe eingefahren, Clara große Schreibmängel bescheinigt bekommen. Auch die Nebenschauplätze verlangen volle Aufmerksamkeit, Schlampereien werden bestraft. Gestern wurde unser Zweitfahrrad geklaut, weil ich dachte, einen Tag kann man es ohne Schloss vor die Klinik stellen. Hat jemand ein halbwegs gutes Erwachsenen-Fahrrad zu verkaufen?
Am Sonntagabend dann die Höchststrafe für Papa. Besuch stand vor der Tür, und vier schreiende Mädchen wollten zur „Kleinmesse“. Ich habe noch nie verstanden, was diese katholisch-bayerisch-rheinisch-westliche Institution eigentlich in Sachsen verloren hat – und die Leipziger wissen es anscheinend auch nicht. Wenn es etwas noch trostloseres gibt als den Wintersportort Kühtai im Hochsommer, dann ist es die Leipziger Kleinmesse an ihrem letzten Tag. Ballermannmusik allenthalben, und niemand mehr da. Die Grillfrau kratzt die letzten Pommes zusammen, um unsere Kinder glücklich zu machen. Die Achterbahn sah original aus wie die Bahnstrecke zwischen Wernigerode und Vienenburg. Ich hab fast gekotzt, aber die Damen hatten ihren Spaß.

Sonntag, 30. August 2009

Hier kommt Alex

Wir haben den Wahl-Sonntag allesamt geruhsam zuhause verbracht, Freitagmittag kam unerwartet die Beurlaubung übers Wochenende. Ich war fast etwas enttäuscht und wusste gar nicht recht, was ich anstellen sollte mit der vielen freien Zeit jenseits des geregelten Klinik-Dienstes.
Nun fangt ihr sicher an, am Ernst der Lage zu zweifeln, das vierte freie Wochenende im August, wie ist das möglich? Nach anfänglichen Problemen mit der zweiten Chemo haben sie das Medikament gewechselt und den Block am Donnerstag beendet. Das ist nicht weiter von Belang, auch die geringere Dosierung wird ausreichen, die Leukämie bis zur Knochenmarkstransplantation in Schach zu halten. Ein Zelltief kommt wohl trotzdem, aber noch nicht jetzt, und deshalb sind wir zuhause.
Greta ist gut drauf, fröhlich im Kreis ihrer Freunde und Schwestern, isst halbe Pfannkuchen und versteht nicht, warum sie nicht in den Zoo darf. Ihr Sonntags-Hobby: Schreibmaschine-schreiben. Ich habe nämlich eine wunderbare Continental von 1923, bei der man bloß mal das Farbband erneuern muss. Die hat Greta entdeckt. Sie weiß auch, dass das im Prinzip das gleiche Gerät ist wie jenes, das im „Leben der Anderen“ eine zentrale Rolle spielt. Und sie weiß auch, dass man dort nicht Salz hineinstreut, wie es ihr Vetter vor zehn Jahren tat, sondern dass man damit schreiben kann. Ob sie dies wohl noch richtig lernen wird?
Clara hat gerade ein besonderes Problem in der Schule. Wie jeder weiß, ist sie ein bewegungsfreudiges und –fähiges Kind, das seit Jahren schwimmt wie ein Fisch im Wasser. Nun kommt sie Dienstags immer heulend nachhause, denn sie hat Dienstags neuerdings Schwimmen. Nach den ersten Stunden hat der Trainer Clara und viele andere in die Nichtschwimmergruppe eingestuft. Der Grund ist ihre angeblich mangelhafte Beinarbeit (nein, Clara hat keine X-Beine!). Die Schwimmstunde wird nicht von der Schule gestaltet, sondern von einem Sportverein. Der Verein hat andere Ziele als die Schule und als wir. Der Trainer sagt: Wenn du es jetzt nicht lernst, deine Füße richtig zu bewegen, wirst du niemals einen Weltrekord schwimmen. Dafür müssen die „Nichtschwimmer“ Trockenschwimmübungen auf nackten Kacheln machen, bis die Knie bluten, werden angebrüllt, geschlagen und mit kaltem Wasser abgespritzt. Am Ende des Schuljahrs, glaube ich, kriegen die verbliebenen Nichtschwimmer einen Mühlstein um den Hals gehängt. Das muss man erst mal schaffen, Clara die Lust am Schwimmen zu verleiden! Wir werden der Sache nachgehen. Bei Stella gab’s vorletztes Jahr auch schon Ärger mit der Schwimmerei.
Derweil ist Red Bull Leipzig ganz gut in die Spur gekommen und steht schon auf Platz eins. Sollte der erste Aufstieg tatsächlich schon in der ersten Saison stattfinden, wird sich personell einiges tun. Ich habe vorgestern beim Leipziger Manager-Skat im Auerbachskeller neben dem Präsidenten des ehemaligen SSV Markranstädt gesessen, und der hat aus dem Nähkästchen geplaudert. Wenn RasenBall aufsteigt, holen sie für die nächste Saison Alexander Zickler und Thomas Linke, außerdem Fredi Bobic und fürs Tor Georg Koch. Und der Trainer? Ihr werdet es nicht glauben: Aleksandar Ristic soll Leipzig in die Championsleague führen und wird gerade vom KFC Uerdingen abgeworben. Das ist natürlich alles noch top secret, aber in ein paar Wochen werdet ihr davon sowieso in den Zeitungen lesen.

Sonntag, 23. August 2009

Zu früh gefreut

Der zweitägige Besuch in Jena zeitigte zwei Blutbilder, eine Urinprobe und eine Chefbesprechung, zweifellos ein mageres Resultat. Man hätte uns auch Montag früh anrufen und mitteilen können, dass es doch nichts wird mit der Knochenmarkstransplantation. Dem unmittelbar vorausgegangen war wohl die Entscheidung für den besten Spender, den Ami, und dafür, längere Wartezeit in Kauf zu nehmen. Wir erfahren über Details aus dem Verfahren und über den Spender nichts, da sind hohe Persönlichkeitsrechte zu wahren, das ist richtig so.
Nun gibt es doch eine zweite Chemo in Leipzig, stationär verabreicht, aber gegenüber dem Therapieplan in reduzierter Dosierung. Das Risiko, drei bis vier Wochen gar nichts zu tun und auf die KM-Spende zu warten, wäre zu hoch gewesen.
Es ist mühsam. Greta bekommt seit Freitag Zytarabin, und am Samstag gab es schon eine Krise. Der Blutdruck sackte ab, neben dem Fieber reagierte auch die Haut auf das Medikament, welches nun, nach Unterbrechung, zeitlich gestreckt verabreicht wird. Ein Umzug auf die Intensivstation wird einkalkuliert.
Nachdem Greta gestern Vormittag sehr in den Seilen hing, hat sie sich seitdem wieder deutlich stabilisiert und war heute zum Maumau-Spiel fähig. Sie kann nun auch bis fünf zählen, also die Karten ordnungsgemäß verteilen. Bis heute Mittag waren wir im Zweier-Zimmer, was eher anstrengend ist (Fernsehen von früh bis spät). Die kleine Kommilitonin weinte bitterlich, als sie erfuhr, dass sie wieder nachhause muss. Ich habe Greta gleich erzählt, das sei normal.
Unsere Terminplanungen für den Spätsommer sind erst mal wieder hinfällig. Mit Jena wird es vor Ende September nichts werden. Trotzdem brauchen wir eure Unterstützung, weil ich im September einige Dienstreisen unternehmen muss.
Als Krebs-Patient oder Angehöriger braucht man viele Freunde und Helfer. Zum Glück sind wir damit gesegnet. Zwei Sorten von Beratern kann man allerdings weniger gebrauchen. Zum einen die Totalverweigerer der Schulmedizin, die dir ungefähr sagen: „Klinik? Da gehst du gesund rein und kommst tot wieder raus. Besser, ihr lasst die Zivilisation hinter euch, fahrt nach Madagaskar und fresst nur noch Steppengras.“ Diese Haltung ist wenig zielführend und in unserem Bekanntenkreis praktisch nicht vorhanden. Auch nicht viel besser sind die selbsternannten Bauleiter, die Ärzte als Handwerker betrachten, die das Wohnzimmer tapezieren, und sofort Klage einreichen, wenn mal was nicht klappt: „dagegen müsst ihr doch was machen!“. Als ob Gretas Therapie mit den Maßstäben normalen Projektmanagements zu messen wäre. Wir brauchen Ruhe für uns und Vertrauen in die Ärzte. Bisher haben sie dies verdient.

Sonntag, 16. August 2009

Jena, wir kommen!

Morgen fahren Greta und Steffi nach Jena, das Kind muss umfangreiche Untersuchungen über sich ergehen lassen. Ob sie dann schon dort bleiben, ist nicht sicher, aber es wird sehr bald losgehen mit der Knochenmarkstransplantation. Zwei Spender (der Deutsche und ein Ami) sind „aktiviert“ - was immer das genau heißt. Die Remissionsbedingungen sind nach wie vor erfüllt, das hat die Knochenmarkspunktion am Montag ergeben.
Auf die zweite Chemo wird verzichtet, obwohl sich Gretas Blutbild zuletzt kräftig erholt hat. Der gesundende Lebenssaft hat ihr zu einem weiteren Energieschub verholfen. Ich komme Freitag Abend ins Wochenende und werde mit lautem Geschrei begrüßt und drei herzhaften Tritten vors Knie. Das soll heißen: Papa, du musst jetzt das ganze Wochenende mit mir spielen! Aber das geht dann doch nicht, auch wenn es der krebskranke kleine Liebling ist. Die Vorstellung, dass Greta aufgrund ihrer Erkrankung momentan erst auf 80 Prozent Performance sein könnte, ist beinahe erschreckend. Auch der Selbstschutz gehört zum Alltag der Erwachsenen.
Greta hat bei unserem Zahnarzt einen Separattermin vorgestern, Freitag um 19:00 Uhr bekommen, da die Zahnsanierung zu den unausweichlichen Vorbereitungen für Jena gehört und Greta nicht eben viel Zähne geputzt hat in den letzten Monaten. Habe ich eigentlich schon erzählt, dass das Ehepaar Zipf einen ausgezeichneten Zahnarztjob macht? Kronen sitzen für die Ewigkeit, und die kommen dort selbst mit Greta klar. Bedauerliche Irrwege hatten uns ja vorher in eine „ästhetische Zahnarztpraxis“ geführt, wo die Plomben gleich wieder rausgefallen sind.
Schöne offene Szenerie im wochenendlichen Sommerwetter. Stella hat mehrfach aushäusig übernachtet. Freies Spiel mit Freundinnen im Hof. Besuch aus Hildesheim, Steffi bei den Pferden.
Wir sind leidlich ausgeruht, die Betreuungsfrage für dienstlich anspruchsvolle Phasen ist weitgehend geregelt, der Jena-Stress kann losgehen. Die Entwicklung ist sehr positiv, wir dürfen kräftig hoffen, dass Greta weiter durchhält.

Sonntag, 9. August 2009

Schule geht los

Der zweite Chemo-Block hat auch Freitag nicht angefangen. Diese Verzögerung ist aber weniger beunruhigend, als wir zuerst vermuteten. Die Notwendigkeit des zweiten Blocks steht zur Debatte. Der erste Chemo-Block war erfolgreich, die für eine Knochenmarkstransplantation erforderliche Remission ist geglückt und muss nun vor allem gehalten werden. Es kann sein, dass Greta dafür erst mal eine leichte Chemo in Tablettenform bekommt. Morgen wird eine Knochenmarkspunktion genaue Auskunft über den Stand der Tumorzellen geben.
Diese Überlegungen werden maßgeblich von der erfreulichen Tatsache beeinflusst, dass bereits vier Knochenmarkspender gefunden wurden, einer davon aus Deutschland und drei aus den USA. Der Deutsche passt nicht ganz optimal, sein Material könnte aber rasch zur Verfügung stehen. Bei den Amerikanern würde es länger dauern, obwohl ich mir nicht recht vorstellen kann, dass irgendwelche Präparate mit dem Schiff transportiert werden müssen. Das amerikanische Knochenmark hätte den Vorteil, sagen die Ärzte, dass Greta später sehr viel schneller Englisch lernen würde. Das finden wir natürlich prima.
Von konkreten Terminen redet zwar nach wie vor niemand, aber wir haben doch das Gefühl, dass die Dinge in positiver Bewegung sind. Greta ist es übrigens auch, von morgens bis abends und bei dem schönen Wetter sowieso. Am Donnerstag freilich wurde die Laune arg getrübt, weil der Racker barfuß im Gras auf eine Wespe getreten ist. Unsere Ansprechpartner auf der KiK 4 waren davon zum Glück wenig beeindruckt.
Alles in allem war diese letzte Schulferienwoche eine wirklich schöne Leipzig-Woche. Nun weiß ich auch, wer Gontard und Frege waren, was es mit dem Gut Mockau auf sich hat und warum es neben der Mockauer Straße eine wunderschöne kleine Backsteinsiedlung gibt. Open Air Kino und Grill-Romantik gab es auch wieder. Heute Mittag habe ich mit vier Mädchen Muffins gebacken, was eine sehr fröhliche Veranstaltung war, vor allem als Paula versucht hat, das hartgekochte Ei in den Teig zu schlagen.
Wir gehen also gestärkt und guter Dinge in die neue Schulsaison. Hoffen wir, dass uns Scherereien mit der Schweinegrippe erspart bleiben. Unser Anrufbeantworter geht wieder. Der Speicher der FritzBox war voll. Da muss man erst mal drauf kommen.

Mittwoch, 5. August 2009

Sommerferien in Leipzig

Steffi und Greta sind heute ebenso nachhause geschickt worden wie am Montag. Der Leukozytenwert ist immer noch (knapp) zu gering. Wahrscheinlich bekommt Greta am Freitag Thrombozyten verabreicht, und Anfang nächster Woche geht es mit der zweiten Chemo los. Die Warterei zerrt an den Nerven.
Immerhin hat die erste Datenbank-Anfrage gleich zwei potenzielle Spender gebracht, die von der Grobtypisierung her schon mal passen. Durch dieses Raster waren ja alle Familienmitglieder durchgefallen. Vielleicht haben wir in dieser Hinsicht Glück.
Montag waren wir zu dritt in Harry Potter sechs. Das Regina ist unser Lieblingskino, schon weil man direkt mit der Straßenbahn vorfahren kann. Dort gehen halt die Leipziger hin, die sich Kino noch leisten können, und das reicht offensichtlich nicht dafür, die Fassade zu renovieren. Aber unrenoviert sieht es sowieso besser aus. Stella und Clara waren sehr begeistert. Ich eigentlich auch. Dadurch dass wir kein TV haben, sind wir noch ganz naive und unverbrauchte Kinogenießer.
Gestern und heute waren wir im Freibad. Du meine Güte, bin ich lange nicht mehr im Freibad gewesen! Clara meint, ich sei dünn. Das finde ich nett von ihr. Sie weiß ja nicht, wie ich vor zwanzig Jahren aussah, als ich noch öfters Schwimmen ging. Hier gibt es viele dicke Menschen im Freibad und rauchende Mütter. Gleich am Eingang lag eine tote Maus mit großen grünen Fliegen darauf. Überhaupt gibt es in Leipzig viele tote und lebendige Nagetiere, auch Beutel- und Kanalratten, die bis zu einem halben Meter lang werden. Kinderschänder waren gerade nicht im Freibad, die gibt es ja sonst auch viel in der Gegend. Eigentlich war wenig los dort. Ich weiß nicht, ob das daran lag, dass eine Großbaustelle drum herum ist, so dass man kaum den Eingang findet, vielleicht lag es auch an der Wassertemperatur von 15 Grad, die immerhin für ein einigermaßen leeres Schwimmerbecken sorgt. Natürlich sind das andere Verhältnisse als in den Hallenbädern der Kurklinik Bad Oexen. Es gibt aber doch einen Kiosk, der sogar mehrere Eissorten vorrätig hält. Und die Bratwurst erfreut sich eines so guten Rufs, dass auch die umliegenden Bauarbeiter dort Mittag machen. Die Flasche Bier kostet zwei Mark zehn. Das Schreberbad ist also wirklich sehr romantisch, und wir werden bei nächster Gelegenheit wieder hingehen.

Sonntag, 2. August 2009

Sommerloch bald vorbei

Greta ist zuhause. Die Leukozyten sind wieder gesunken, so dass die zweite Chemo am Freitag nicht beginnen konnte. Diese Verzögerung im Therapie-Protokoll ist riskant, aber mit solchen Hängepartien werden wir jetzt dauernd leben müssen. Immerhin waren die Blutwerte zwischenzeitlich ausreichend für die Feintypisierung, die nun in Ulm vorgenommen wird.
Nebenprodukt war ein geselliges Familienwochenende, denn gestern kamen die Schwiegereltern mit Stella und Clara im Gepäck aus Kiel. Die großen Mädchen strotzen vor Gesundheit und Selbstvertrauen. Man mag sie gar nicht wieder in unseren beladenen Alltag zurückzwingen. Eine Woche Schulferien haben sie noch, und ich hab eine Woche Urlaub. Der Freibadbesuch wird die Ausnahme sein, vielleicht ist wenigstens Harry Potter Sechs drin.
Heute Mittag standen überraschend auch noch alte Nachbarn aus Hannover vor der Tür, war das ein Hallo! Wir hatten uns fünf Jahre nicht gesehen, aber zum Glück liegt Leipzig auch zwischen der Schweiz und Berlin genau auf dem Weg.
Morgen geht Greta wieder in die Klinik. Blutbild, Lumbalpunktion und Knochenmarkspunktion. Eventuell eine Tüte Thrombozyten, dann fängt hoffentlich die Chemo an. Wenn alles gut geht, sind wir im September wieder in Jena. Wir müssen uns auf Jena freuen. Ich freue mich auch wirklich auf Jena. Eigentlich war es da ganz gemütlich, die Wochenenden mit Greta in der Isolierkammer kleine Kurzurlaube. Cola gratis bei Ronald McDonald’s. Wichtig ist, das richtige Buch dabeizuhaben. Den Ulysses habe ich hoffentlich lange vorher durch, die Lektüre verkommt zur Pflichtübung. Wer ist bloß so gescheit, dass er ernsthaft profitiert von diesem Buch?
Die neue Perle hat ihren Dienst aufgenommen, und sie ist wirklich eine Perle. Sie heißt Sandra, wischt am liebsten barfuß und zögert nicht, abgelaufene Lebensmittel aus dem Kühlschrank wegzuwerfen. Es macht wieder richtig Spaß, nach der Arbeit in die Wohnung zu kommen.
Bayern hat den Sechstligisten dann doch noch bezwungen. Morgen wird Fortuna an alte Pokal-Traditionen anknüpfen. Endlich wieder Fußball. Wie mir dieses ganze Freundschaftsspiel-Tour-de-France-und-Formel-eins-Gedöns zum Hals heraushängt!

Sonntag, 26. Juli 2009

Entspannungswochenende

Greta ist seit Donnerstag zuhause. Blutwerte und Allgemeinzustand haben dies zugelassen. Obwohl die großen Schwestern nicht da sind und auch keine Nachbarskinder, ist ihre Laune hervorragend. Sie redet wie ein Wasserfall, isst viel, flitzt durch die Gegend, genießt den Wellenspielplatz und den Softeismann. Gestern hatte sie allerdings einen ordentlichen Muskelkater und lief nur auf Zehenspitzen herum – kein Wunder, wenn man zuvor vier Wochen kaum aus dem Bett gekommen ist. Beim Fahrradfahren halten wir Greta vorsichtshalber fest, damit sie sich nicht verletzt (Thrombozyten!). Das sieht dann ziemlich kurios aus und ist kein reines Vergnügen für den Erwachsenen, zumal Greta natürlich trotzdem besonders schnell sein will.
Die Wohnung ist noch gar nicht wieder fit für ein immunsupprimiertes Kind. Es gibt eine neue Haushaltshilfe, die ihren Dienst aber erst nächste Woche antritt. Immerhin haben wir nach wie vor keine Tiere und Pflanzen.
Gestern waren Steffi und Greta schon wieder den halben Tag in der Klinik zur Blutkontrolle und für eine Infusion von Thrombozyten, für die Greta immer liegen muss. Diese Dinger scheint ihr Knochenmark überhaupt nicht mehr zu produzieren. Dafür liegt der Leukozytenwert bei 1,7. Es wird also in der nächsten Woche wohl klappen mit der Feintypisierung. Dann wird allerdings auch bald die nächste Chemo anfangen.
In den vergangenen Wochen kamen zahlreiche Anfragen, wie man denn Knochenmarkspender werden könne, um damit Gretas Chancen zu vergrößern. Das finden wir toll! Man kann das nur unterstützen, damit die Datenbanken langfristig immer größer werden und dadurch immer mehr Leukämiekranke gerettet werden. Das Verfahren ist ganz einfach: Ihr schickt eure Adresse an die DKMS, die schickt euch mit der Post ein Wattestäbchen und das Formular mit der Einverständniserklärung. Es braucht also dazu (am Anfang) noch nicht einmal einen Pieks. Mehr dazu unter www.DKMS.de. Die Chance freilich, dass genau deine Spende Greta rettet, ist gering. Die deutschen Datenbanken verfügen über knapp zwei Millionen Spender-Adressen. Es gibt eine ganze Reihe von Datenbanken, die alle gut verdienen wollen. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Anfragen sich über viele Wochen hinziehen werden.
Das Internet ist wieder repariert, Roland sei Dank. Leider waren wir auch wochenlang ohne Anrufbeantworter – und haben es nicht einmal bemerkt. Nun geht die Quatsche wieder, aber ein paar Anrufe sind wohl doch im Orkus verschwunden.
Mick Jagger wird heute 66. Herzlichen Glückwunsch, bleib noch lange so fit!

Sonntag, 19. Juli 2009

Fischstäbchen und DEFA-Kitsch

Greta hat wieder eine Glatze und wiegt weniger als 17 Kilo. Dabei hat sie Wasser eingelagert und wirkt leicht rundlich im Gesicht. Die schwere Chemo hat außerdem ein paar Kapillargefäße aufgelöst, was zu Einblutungen führte und kleine Pünktchen unter der Haut machte. Die Ringelröteln waren keine Ringelröteln, sondern eine allergische Reaktion. Die ist aber jetzt im Griff, das Fieber vorbei.
Die Blutwerte entwickeln sich anders als damals beim Neuroblastom. Nach den erstaunlichen 1,0 ppm Leukozyten ging es erst mal wieder auf 0,2 hinunter und steigt seit gestern langsam. Die Feintypisierung sei erst ab 2,0 ppm möglich, verzögert sich also. Das Warten gehört jetzt dazu. Immerhin lebt Greta jetzt schon wieder fast einen Monat mit der neuen Diagnose und ist stabil. Im Moment schläft sie viel und ist ziemlich ruhig. Der Wochenend-Dienst war leicht diesmal, die ZEIT schon am Samstag ausgelesen. Richtig gute Laune macht das auch nicht.
Im Sonntagsmärchen gabs Rumpelstilzchen. Frischer Reichtum und drohender Kindstod. Da liegen uralte moralische Muster drunter. In der platten Konkretisierung des Märchenfilms streitet sich das Faust-Motiv mit dem Appell an die Solidarität: Freunde sind wichtiger als Geld, ach so. Da ist Brecht subtiler. Das einjährige Kleinkind war übrigens eine Puppe, die höchstens ein Pfund wog, so schnell zog die Königin das Kleine aus der Wiege.

Sonntag, 12. Juli 2009

Ringelröteln und Feenwünsche

Stella und Clara sind gestern sehr aufgekratzt und fröhlich aus der Geschwisterfreizeit in Schwerin zurückgekommen. Nun sind auch noch die Großeltern da und werden die beiden für zwei bis drei Wochen mit nach Kiel nehmen. Die Sommerferien sind gerettet.

Unsere FritzBox ist einem Gewitter zum Opfer gefallen. Wir haben also gerade kein Internet zuhause. Zum Glück ist der Osten so unterentwickelt, dass es noch echte Internetcafés gibt. Die Rechner sind fünfzehn Jahre alt, aber kostenloser türkischer Kaffee verkürzt die Wartezeit. Romantisch, fast wie damals in Berlin.

Die Knochenmarkspunktion am Freitag ergab, dass es derzeit keine Krebszellen in Gretas Knochenmark gibt. Das ist noch nicht die Remission, aber immerhin ein Teilziel. Die erste Chemo hat gut gewirkt. Und Gretas Blutbild erholt sich schon wieder: 1,0 ppm Leukozyten nur fünf Tage später, das ist besser als man erwarten durfte. Ende nächster Woche wird das Blutbild dafür ausreichen, eine Feintypisierung vorzunehmen, die noch nötig ist, um die Datenbankanfrage für die Knochenmarkspende zu starten. Danach wird es mindestens einen weiteren Monat dauern, bis ein Spender gefunden ist. Leider ist es nicht mit ein paar Knopfdrucken am Rechner und der Suchfunktion getan. Die Datenstruktur ist so kompliziert, dass da richtige Menschen suchen müssen, und die brauchen bekanntlich ziemlich viel Zeit für so etwas.

Seit gestern hat Greta Ringelröteln. Das hat mit den richtigen Röteln zum Glück nichts zu tun, sieht nur so ähnlich aus und juckt ein bisschen. Grund sind die Bluttransfusionen. Leichtes Fieber hat Greta heute etwas sediert. Vorhin hat sie zum ersten Mal eine Schnute gezogen, als Mama in der Tür stand und sich anschickte, mich abzulösen. Dass ich das noch erleben darf! Sonst ist es ja immer umgekehrt. Das Papa-Wochenende war diesmal vom Räuber Hotzenplotz geprägt, der Gretas Naturell sehr entspricht. Sie war jedenfalls begeistert und ließ sich halbe Tage lang vorlesen.

Ich war schon als Kind fasziniert davon, wie scheinbar leichtfertig Kasperl und Seppel am Ende des ersten Buchs die ersten beiden Wünsche vertun, die der Wunschring der befreiten Fee ihnen bietet. Eine Zipfelmütze und eine Kaffeemühle? Ich hätte mir die Wünsche vollständig aufgehoben. Heute denke ich sogar folgendes: Wer mit beiden Beinen auf dem Boden steht und wem die Dinge im Leben nach Plan laufen, der wird von seinen Feenwünschen niemals Gebrauch machen. Bei uns ist das nun definitiv anders. Ich würde den Feenwunsch für Greta einsetzen, und wenn es der einzige wäre.

Sonntag, 5. Juli 2009

Noch kein Kochenmarkspender

Niemand aus der Kernfamilie ist prädestiniert dafür, Greta Knochenmark zu spenden. Nun wird es Datenbankabfragen geben, erst deutschlandweit, dann international. Wenn das nichts fruchtet, muss man es doch mit einer Elternspende versuchen. Das geht zur Not, birgt aber große Risiken wegen der Abstoßungsreaktionen gegen die körperfremden Zellen.
Greta bewohnt jetzt ein Einzelzimmer, darf nicht mehr hinaus, die Betreuer ziehen Kittel und Mundschutz an. Das wird sich vorläufig nicht ändern. Der erste Chemo-Block ist schon wieder vorbei, aber das Zelltief setzt diesmal unmittelbar ein. Greta nimmt es gelassen, war die letzten Tage stabil und überwiegend gut gelaunt. Wenn sie gerade nicht Filme anschaut oder Maumau spielt, fängt sie an zu schreiben. Ihren eigenen Namen hat sie nachgemalt – und ROLAND. Wer weiß, was sie noch alles lernt auf dem Krankenlager (Fußballdaten? Römische Geschichte?). Möge es ihr nützen im Leben.
Sogar Besuch war schon in der Klinik – und eine Studentin namens Katja, die jetzt gelegentlich Steffi ablöst, was eine große Erleichterung ist. Susanne und Anna aus Bamberg waren auch da, was man dem Haushalt anmerkt. Die Leipziger und anderen Freunde sind gleich wieder enger zusammengerückt – das ist ein richtig gutes Gefühl, Leute!
Stella und Clara fahren morgen über den Förderverein der Krebsklinik zur Geschwisterfreizeit, eine Woche nach Schwerin. Danach werden sie mindestens zwei Wochen in Kiel bei den Großeltern sein. Die beiden haben sich vorhin ihre Hefte genommen – Stella ein Matheheft und Clara ein Deutschheft – und haben eifrig geübt, gelernt, gerechnet und geschrieben. Ich weiß gar nicht, was in die beiden gefahren ist.

Bilder aus Bad Oexen

Gute Zeit gehabt.

Das Duo infernale: Greta und Fabbiana.


In dem schönen Bauernhaus haben wir gewohnt.





Eis schmeckt überall.


Der Pferdespaß darf nicht fehlen.













Sonntag, 28. Juni 2009

Sommer vorbei

In Gretas Knochenmark ist die Produktion weißer Blutkörperchen (Myelopoese) aus dem Ruder gelaufen, Knochenmark und Blut sind überschwemmt von unreifen Leukozyten (Blasten). Ursächlich dafür sind wahrscheinlich die vorangegangenen Bestrahlungen und/oder Chemo-Medikamente wie Etoposid.
Nun wird versucht, die Produktion weißer Blutkörperchen in Remission zu bringen, d.h., ihren Anteil im Knochenmark auf unter 5 Prozent zu senken. Schon jetzt ist der größte Teil der Blasten zerstört, denn diese Gebilde sind fragil. Greta hat gestern besonders große Tabletten bekommen, die mit dafür sorgen sollen, dass die anfallenden Blastentrümmer aus dem Blut verschwinden.
Gestern wurde auch eine Lumbalpunktion vorgenommen, also Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) entnommen. Das war für Greta eine unangenehme Prozedur, die aber immerhin das Ergebnis brachte, dass die Tumorzellen noch nicht im Liquor angekommen waren. Dies erspart oder reduziert eine spätere Bestrahlung.
Bei einer Ersterkrankung könnte man die AMLeukämie allein mit Chemotherapie bekämpfen. Da wir deren Einsatz aber aufgrund von Gretas Vorgeschichte reduzieren müssen, ist die Knochenmarkstransplantation für einen Heilungserfolg unverzichtbar. Bedingung ist aber, dass die Remission vorher gelingt. Ansonsten unterscheidet sich das Behandlungsprotokoll gar nicht viel von jenem Protokoll, dass man bei Ersterkrankung vorsehen würde.
Demzufolge wird es zwei Chemo-Blöcke geben (im ersten sind wir mittendrin), die weit tiefere und längere Zelltiefs verursachen werden als in der letzten Therapie und Sterilpflege nötig machen. Das gilt erst recht für die dann im günstigen Falle folgende Knochenmarkstransplantation, die wieder in Jena oder einer ähnlich ausgestatteten Klinik vorgenommen wird. Die nächsten vier Monate wird Greta (lebend) höchstens tageweise aus dem Krankenhaus herauskommen.
Ihr Allgemeinzustand war bis zum Beginn der Chemo sehr gut. Als die Diagnose schon feststand, – ohne Behandlung tot in wenigen Wochen – spielte sie auf dem Klinikflur Fußball. Wir hoffen, dass ihre zähe Natur es auch diesmal schafft. Einen Krebs hat sie immerhin schon besiegt.
Wir sind dabei, uns neuerlich zu rüsten. Stella und Clara sind für die Sommerferien schon fast versorgt, eine neue Kinderbetreuung ist auch in Aussicht. Dringend brauchen wir wieder eine Haushaltshilfe.
Die Großen genießen überwiegend die neue doppelte Freiheit (höchstens ein Erziehungsberechtigter in der Nähe und Schulferien), heute Abend war Kirschkernparty angesagt. Die Zeugnisse waren ok. Stella ist gerade noch auf Gymnasialkurs. Clara werden solide Anlagen bescheinigt, ansonsten sei noch Luft nach oben.

Donnerstag, 25. Juni 2009

Leukämie

Keine guten Nachrichten diesmal. Greta hat sich eine Akute Myeloische Leukämie (AML) zugezogen, die von der schweren Chemotherapie herrührt und zuvor schon als mögliche Nebenwirkung bekannt war. Die AML hat eine Heilungsprognose von ca. 80 Prozent – bei Ersterkrankung. Gretas Vorgeschichte reduziert diese Prognose deutlich. Die Kleine ist seit gestern wieder in der Klinik, hat einen neuen Katheter gelegt und die erste Dosis Medikamente verabreicht bekommen. Wenn die Chemo anschlägt, muss eine Knochenmarkstransplantation erfolgen. Der Spender wird zuerst in der Familie gesucht.
Greta ist eine tapfere Patientin und jedenfalls deutlich handlicher als vor anderthalb Jahren. Stella und Clara sind nur wenig beunruhigt und freuen sich in erster Linie, dass sie nach der Kur wieder zuhause sind und dass morgen die Sommerferien beginnen.
Sämtliche Urlaubspläne für dieses Jahr sind gestrichen. Die Party zu Gretas fünftem Geburtstag fällt aus. Sie muss ihn erst mal erreichen. Nun heißt es mehr als zuvor: Daumen drücken!

Samstag, 20. Juni 2009

Leipzig bekommt Flügel

Dienstag kommt die Familie hoffentlich wohlbehalten aus Bad Oexen zurück und wird dann endlich wieder die jetzt viel zu leere Wohnung in der Feuerbachstraße bevölkern. Am Montag gibt es noch eine große Abschiedsfeier – mit den verbliebenen Kurfamilien. Viele sind vorzeitig abgereist, aus den unterschiedlichsten Gründen. Oft waren die Kinder krank, manch Erwachsener hat aber auch den Lagerkoller bekommen. Da tut man den Leuten mal was Gutes ... Nächste Woche gibt’s schöne Bad-Oexen-Fotos zu sehen.
Stella und Clara haben danach gerade noch Neptunfest im Schwimmbad, Zeugnisvergabe und Sommerferien. Hoffentlich hat die schulische Moral in der Kur nicht weiteren Schaden genommen. Die neue Saison wird gleich mit der Suche nach weiterführenden Schulen beginnen. Wenn man erst mal 25 Jahre sein Abitur hat, darf man sich freuen – und in die Heimatstadt fahren, um dies zu feiern, wie ich es gleich tun werde. Leider musste ich mich vom Ehemaligen-Fußball abmelden, weil ich mir dann doch noch einen dicken Knöchel aus der Kur mitgebracht habe.
Und was macht der Leipziger Ballsport? Die HCL-Mädels sind Deutscher Meister. Nicht so die Fußballer. Der Zipsendorfer FC Meuselwitz hat die Lokomotive mit zehn Punkten hinter sich gelassen und steigt in die Regionalliga Nord auf. Dort gibt es keinen Leipziger Club mehr. Aber das wird sich bald ändern, denn nun kommt der Deus ex Machina: Red Bull möchte ein paar Millionen investieren und hat den Verein „Rasen Ball Leipzig“ gegründet. Mit der Spiellizenz vom Vorortclub SSV Markranstädt wollen sie in der fünften Liga anfangen und dann durchstarten in die erste Bundesliga. Endlich merkt mal jemand, dass die brach liegende Fußballszene einer deutschen Halbmillionen-Stadt eine echte Investition wert ist. Angeblich finden 70 Prozent der Leipziger den Deal gut. Jetzt fehlt nur noch Lothar Matthäus.

Dienstag, 9. Juni 2009

Späte Kurfreuden

Die Familie hat sehr kurzfristig beschlossen, die vierte Woche doch noch zu beantragen, was die Kasse sofort bewilligt hat. Ich fahre also übermorgen alleine nachhause. Wir alle sind erst nach zwei Wochen so richtig warm geworden.
Sämtliche Töchter sind inzwischen fast den ganzen Tag mit ihren kleinen Kolleginnen und Kollegen beschäftigt. Die Stars sind drei süße Italienermädchen fast gleichen Alters. Selbst Greta hat sich jetzt gut eingefügt, rennt den anderen hinterher und erscheint absolut kindergartentauglich.
Auch für die Erwachsenen haben sich schöne Kontakte ergeben, die vielleicht sogar langfristig tragen. Gestern bin ich mit einem echten Rom-Experten ins Gespräch gekommen, mit dem ich endlich auf Augenhöhe die näheren und ferneren Umstände der Varus-Schlacht diskutieren kann. Am liebsten hätte ich mir den Achtjährigen gleich geschnappt und wäre mit ihm nach Haltern gefahren, wo die dritte Ausstellung zum Varus-Jubiläum neben Detmold und Kalkriese stattfindet.
Es ist jetzt doch ein bisschen langweilig hier. Eine leichtfertige Fehlentscheidung war es, dem grandiosen Zauberberg das Halbblut aus der klinikeigenen Resterampe folgen zu lassen, welches Werk selbst harte Karl-May-Fans nur als flaues Spätprodukt einordnen können.
In Davos soll es ja vor hundert Jahren in solchen Instituten neben Liebesabenteuern und prallen philosophischen Unterweisungen auch noch gutes Essen gegeben haben. Hier ist es bessere Krankenhaus-Kost, und ich kann Geflügelsalami, Magerkäse und Mohrrübenspäne inzwischen nicht mehr sehen. In der Küche wird zweifellos mit spitzem Bleistift gerechnet. Trotzdem ist das Sparpotenzial in diesem Bereich des Gesundheitswesens immens. Im Grunde ist der ganze Kurbetrieb anachronistisch. Man glaubt gar nicht, dass der Laden privatwirtschaftlich organisiert ist. Wenn ich in zwanzig Jahren von meinem ersten Herzinfarkt genesen bin, kriege ich als Reha bestimmt nur noch drei Tage Power-Ressourcing bewilligt. Freuen wir uns, dass wir die späte Blüte des fürsorglichen Staates noch genießen dürfen.

Donnerstag, 4. Juni 2009

Liebe Freunde

Wie geht es euch? Ich hoffe, gut. Mir geht's auch gut. Papa hat keine Zeit, weil er beim Fußball ist. Ich soll heute mal den Blog weiterschreiben. Stella hat mir gezeigt, wie das geht. Sie kann das, weil sie hier selber ganz viel Tagebuch schreibt.
Wir haben im Zimmer den Fernseher nicht angeschaltet. Stella findet das doof. Deswegen muss sie auch Sport machen. Das tut ihr gut. Stella und Mama zicken sich jetzt manchmal richtig an. Wahrscheinlich weil Stella schon fast so groß wie Mama ist.
Hier gibt es auch Jungs. Meine Schwestern stehen auf die beiden Johannesse. Die sind so intellektuell. Mein bester Freund ist Leon. Der ist ganz anders drauf. Der redet nicht lange, der haut dir gleich eine runter, wenn du nicht sein Freund bist. Echt cool! Die Mamis haben sich auch schon geprügelt wegen dem. Gestern bei der Kinderdisco ist eine Glasscheibe rausgeflogen, wo Leon daneben stand. Er lädt mich jetzt immer auf seine Überraschungsparties ein. Da sind wir dann zu zweit, und er zieht die Hose runter. Immer so lustige Ideen!
Viele Kinder hier sind krank. Die können nicht laufen oder nicht richtig gucken. Ein großes Mädchen hat ein Bein aus Plastik. Aber die ist ziemlich gut drauf. Papa hat neulich gesagt: Danke, Greta, dass du für uns diesen schönen Urlaub gezogen hast. Wenn der wüsste. Papa spinnt sowieso. Der läuft nur noch verschwitzt rum und sagt, die Turnhalle ist der schönste Ort auf Erden. Ein anderer Papa hat sich gestern beim Fußball das Bein gebrochen, der muss jetzt zwei Monate im Gips rumlaufen. Die anderen wollen am Montag weiterspielen.
Ich finde das Schwimmen am besten. Ich kann das schon richtig gut. Das Wasser ist schön warm. Ich geh auch in den Kindergarten. Da sind andere Kinder und ein Clown. Mein liebstes Spiel ist Snoezeln. Da sitzt du im Bällchenbad und musst Sachen rausfischen. Hoffentlich gibts in Leipzig auch einen Kindergarten.
Ich muss jetzt Schluss machen. Leon kommt gerade. Er sagt, er hat eine Überraschung für mich - und Streichhölzer, das wird cool!
Viele Grüße,
eure Greta