Sonntag, 29. März 2009

Was passiert in der Arena?

Das Länderspiel gegen Liechtenstein fand zwar in Hörweite von uns statt, ist aber trotzdem an uns vorbeigegangen. Direkt neben dem Zentralstadion liegt die Arena, eine moderne Mehrzweckhalle.
Während die Spitze des Leipziger Herrenfußballs bekanntlich ein langfristiges Qualitätsproblem hat, gehören die Leipziger Handballerinnen tatsächlich zum Spitzensport und belegen gegenwärtig den zweiten Platz in der Bundesliga. Offensichtlich ist das Marketing dort ebenfalls professionell.
Stella gehörte zu 100 Schülerinnen und Schülern, die ausgelost worden waren, an einem Probetraining mit den HCL-Damen teilzunehmen, und dies fand am gestrigen Samstag in der Arena statt. Mehrere Sponsoren waren an der Aktion beteiligt, und Stella kam mit einer Sporttasche, mit Turnhose und Trikot, mit einem Handball, einem i-Pod und zwei Freikarten für das heutige Bundesligaspiel gegen Buxtehude zurück. Dort sind wir natürlich hingegangen, und da war wirklich was los vor über zweitausend Zuschauern! Leider gabs nur ein Unentschieden. Die Top-Torjägerin aus Buxtehude war, mit Verlaub gesagt, so ähnlich gebaut wie Stella in zehn Jahren, es gibt also noch Hoffnung auf deren sportliche Entwicklung. Ihre Begeisterung hielt sich allerdings in Grenzen, und sie fand die Veranstaltung vor allem laut.
Obwohl der Sachse an sich eher zum Tiefstapeln neigt, zählt hier nicht nur im Sport das Leistungsprinzip. Trotz einigen Übens hat Stella in der letzten Mathe-Arbeit eine Vier plus geschrieben. Dabei hat sie die meisten Aufgaben ganz ordentlich gelöst. In Niedersachsen wäre das sicher eine glatte Zwei gewesen. Tröstlich ist, dass das akute Mathe-Krisengefühl inzwischen die Hälfte der Klasse erfasst hat.
Ab morgen ist es mit der Retinsäure für drei Monate vorbei. Greta hat die Pillen zuletzt mit großer Souveränität geschluckt. Wieder löst sich die Oberhaut um den Mund und auf der Stirn, aber das scheint sie gar nicht zu merken. Am Frühstückstisch wies Greta heute darauf hin, dass draußen die Glocken läuteten. Mein vierzig Jahre älteres Gehör konnte das immerhin bald bestätigen, nur Clara hörte angeblich gar nichts. Wahrscheinlich muss sie mal die Ohren waschen. Jedenfalls kann es mit Gretas Hörschaden nicht weit her sein.

Sonntag, 22. März 2009

Frühlingsanfang

Der Ultraschall vom Donnerstag hat ergeben, dass sich der Resttumor wieder etwas verkleinert hat oder die letzte Messung fehlerhaft war. Wahrscheinlicher ist letzteres. Also keine Veränderungen, alles im grünen Bereich.
Wenn die Kasse genehmigt, werden wir dieses Jahr alle miteinander zur Kur fahren. Andere aus dem Krankenhausumfeld, auch solche mit leichteren Diagnosen und Umständen, haben solche Maßnahmen ebenfalls bewilligt bekommen. Das Instrument nennt sich Familien­zusammen­führungskur und gründet auf der Beobachtung, dass durch die lange Behandlung und besondere Betreuungsintensität an einem Kind die Ressourcen einer ganzen Familie massiv überbeansprucht werden und die Beziehungen der Mitglieder untereinander nachhaltig gestört worden sein könnten. Dies kann langfristig Folgeschäden zeitigen, denen es vorzubeugen gilt. Wir beantragen für Ende Mai. Danach ginge es erst wieder im Spätsommer, was für mich im Job ungünstig wäre. Für die Sommerferien ist bereits alles ausgebucht. Die großen Kinder würden beschult werden, für Clara mache ich mir wenig Sorgen, aber Stella soll ruhig ein bisschen Mathe-Nachhilfe genießen.
Greta kümmert das alles gar nicht. Sie ist richtig anstrengend geworden, ungefähr wie ein lebhafter vierjähriger Junge. Als gestern bei Tische wieder etwas nicht nach ihrem Wunsch ging, verließ sie türschlagend die Küche und brüllte durch den Flur: „Ihr seid alles Ar ... er! Ihr seid alle so was von Ar ... ern!“ Das hat sie von ihren großen Schwestern.
Papa war vorhin erstmals seit November 07 Fußballspielen und hat es ohne größere Blessuren überstanden. Die Truppe, die sich Sonntags im Rosental über den Acker quält, scheint überwiegend aus Studenten zu bestehen. Einer hat ein Hannover-Trikot, jener hält für Schalke, dieser für den Karlsruher SC, ein Engländer ist auch dabei. Nur kein Sachse. Ich sag ja, die sind selber schuld daran, dass sie über die fünfte Liga nicht hinauskommen.

Samstag, 21. März 2009

Feiern in der Feuerbachstraße

Theater-Besuch Anfang März in guter Stimmung.
Die Kinder sind schon angenehm müde vom Wein.

Sonntag, 15. März 2009

Was wird aus der DDR?

Die Leipziger Buchmesse geht gerade zuende. Wir hatten am Wochenende Verwandten­besuch aus Bamberg und München, der sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollte. Es ging viel um die DDR diesmal, wir haben ja Wendejubiläum und leben im Osten, wo das noch von Interesse ist.
Die Wende hat mein Leben total verändert, vielleicht auch Gretas Schicksal mitentschieden. Ich freue mich darüber, dass ich in Leipzig sitze und politisch trotzdem frei bin. Im Alltag nützt das freilich wenig. Wenn um mich herum DDR wäre, dann müsste ich morgens zur Arbeit gehen, abends einkaufen, das Wochenende auch bei schlechtem Wetter mit den Kindern herumbringen, wir könnten nur begrenzt verreisen. Was wäre eigentlich anders? Die Kohleöfen wären lästig, mein Fahrrad hätte nur drei Gänge, wir besäßen einen Fernseher, und ich würde weniger arbeiten.
Gibt es eigentlich noch „Altberliner Schrippen“? Diese Brötchen, die weniger Treibmittel enthielten, deshalb dichter waren und intensiver schmeckten? Kurz nach der Wende galten sie als Beweis der moralischen Überlegenheit des Ostens gegen die Schaumschläger aus dem Westen. Heute haben wir uns am Frühstückstisch darüber gestritten. Die Ost-Schrippe sei oval, nicht rund gewesen. Ich habe das anders in Erinnerung. Ein Doppelbrötchen könne keine Schrippe sein. Im Osten gab es auch schon „Semmeln“, aber was war das noch mal genau? Die deutsche Brötchenkultur bleibt lebendig.
Mittags gabs Fußball zu sechst bei strömendem Regen im Hof. Am schönsten ist es, wenn der Ball gegen die leere Mülltonne ploppt. Zu DDR-Zeiten war sie aus Stahl und hätte kaum einen Mucks gemacht. Ab morgen wird wieder Retinsäure geschluckt, zwei Wochen lang, danach drei Monate Pause.

Mittwoch, 11. März 2009

Die Eltern schlafen ruhiger

Im August letzten Jahres wurde die neunjährige Michelle in Leipzig-Stötteritz entführt und umgebracht. Das Ereignis hielt die Elternszene der Stadt in Atem und führte zu verschärften Bedingungen beim Abholen von Kindern aus Schule, Hort und Kindergarten. Seit Montag ist der Täter gefasst. Ein 18-Jähriger, der sich mit seiner Mutter der Polizei stellte. Das Schicksal des Täters ist nicht viel besser als das seines Opfers. Und der Boulevard hetzt schon, dass der Junge vielleicht nur zehn Jahre bekommt.
Weil der Rasen im Zentralstadion (ehemals 100.000 Sitzplätze) den Märzregen nicht abkann, muss das Fünftliga-Gipfeltreffen zwischen der Lokomotive und FSV Zwickau neuerlich verschoben werden. Derweil ist der Viertliga-Club Chemie (= Sachsen Leipzig) insolvent. Die Spieler werden aufgefordert, sich arbeitslos zu melden. Trainer Dirk Heyne hat angeboten, ehrenamtlich mit den verbleibenden Spielern weiterzuarbeiten. Spitzenfußball in Leipzig.
Greta war heute planmäßig mit Steffi in Jena, um anlässlich des 200-Tage-Jubiläums der Stammzell-Transplantation begutachtet zu werden. Das Kind wurde vermessen und gewogen, ansonsten schloss sich der Arzt der Meinung seiner Leipziger Kollegen an: Status zufriedenstellend, Blutwerte gut, Kater kann kommen, Katheter darf bald heraus.

Sonntag, 8. März 2009

Resturlaub

Am Freitag war Greta beim Bauch-Ultraschall. Unser Resttumor heißt dort „kleine echoarme Raumforderung“. Der Durchmesser der RF liegt immer noch bei ca. drei Zentimetern. Das ist ungefähr ein Flummi – oder der Kaugummi, den Greta heute original im Mund hatte. Vielleicht ist er etwas größer geworden, vielleicht auch nicht. Er ist noch schwach aktiv, das darf er in gewissen Grenzen auch sein. Die Ausreifung erfolgt nicht von heute auf morgen. Die Blutwerte sind neuerlich verbessert, die Leukozyten bereits bei halbem Normalstand. Am Mittwoch fahren Steffi und Greta nach Jena zum Abschlussgespräch.
Der dritte PC steht endlich im großen Kinderzimmer. Für die lieben Kinder ist uns nichts zu schade. Der Gewinn: Ein Erwachsener, der gerade dringend eine E-Mail schreiben oder kicker-online lesen muss, findet nun garantiert einen freien PC in der Wohnung, wo er dieses in Ruhe tun kann.
Ich saß Samstag Nacht wieder im Harz-Bummelzug, erneut zwischen besoffenen, rauchenden und lärmenden Jugendlichen, Details erspare ich euch diesmal. Diese angefressenen Wochenenden sorgen dafür, dass ich zeitweise zentrale soziale Pflichten vernachlässige, zum Beispiel Geburtstagsglückwünsche an enge Freunde zu senden. Gestern ist mein seliger Vater 99 geworden, nicht einmal daran habe ich gedacht. Vergesslichkeit gehört zu der persönlichen Mängelliste, die man für einen Antrag auf Familienkur ausführlich bekreuzen muss. Alles in allem sieht es nicht gut aus für mich. Keine Appetitlosigkeit, keine Selbstmordgedanken, keine Herzschmerzen – und vergesslich war ich schon immer. Ob das was wird mit der Kur?

Sonntagnachmittag

Papa im Keller, Mama bei den Pferden, draußen Regen

Sonntag, 1. März 2009

Frühling

Es ist eine Wonne. Kaum steigt das Thermometer auf zehn Grad, entwickelt sich der Sonntag ganz von alleine. Die Großen haben ihre Inliner ausgepackt. Stella fährt solide, ohne hinzufallen, Clara ist von atemberaubender Beweglichkeit, allerdings auch risikofreudiger. Greta fährt Fahrrad, ein echter Meilenstein! Der Erwachsene muss freilich noch festhalten, was im Laufschritt kein reines Vergnügen ist. Über den Sommer wird sie es wohl endgültig lernen, wenn sie gesund bleibt.
Greta wiegt jetzt 15,3 Kilo, Stella fast das Dreifache. Ich finde ja, die Kleine könnte ruhig etwas zulegen, aber in der Klinik waren sie mit ihrem Allgemeinzustand sehr zufrieden. Die Behandlung hat die Barmer bisher 180.000 Euro gekostet, zweifellos sehr gut angelegtes Geld. Greta hat das halb verstanden und fragte sinngemäß: Bin ich jetzt wertvoller als vorher? Schwer zu beantworten. In gewisser Weise schon. Man darf sie auf die Art bloß nicht mit den gesunden Kindern vergleichen.

Ostdeutschlands Mitte

Bahnfahren bleibt aufregender als Fliegen. Samstag Abend kehrte ich aus Düsseldorf zurück. Der planmäßige Anschluss in Hannover fuhr am Bahnsteig gegenüber in dem Moment an, als mein Zug zum Stehen kam. Also im Bummelzug über Vienenburg und Wernigerode nach Halle. Das ist landschaftlich sehr reizvoll, was einem aber nachts nicht viel nützt.
Frank setzte sich neben mich, ein 17-jähriger Abiturient aus Erfurt. Rot-Weiß hatte gerade bei Bremen II verloren, Frank sprach schon etwas laut und hatte Schwierigkeiten mit längeren Wörtern, war aber sonst ganz aufgeweckt. Dass mein Verein in derselben Liga spielt und das sehr erfolgreich, führte nur kurz zu Irritation. Ich kenne nun den Unterschied zwischen Ultras und Hooligans, erstere sind die Guten, die bedingungslos ihren Verein „supporten“ und sich nur prügeln, wenn es unbedingt nötig ist. Ich weiß auch, wer das Feuerwerk gezündet hat, das neulich zu einer längeren Spielunterbrechung beim Thüringen-Derby geführt hat. Jena hatte dann durch diesen „verdammten Bimbo“ in der Nachspielzeit doch noch ausgeglichen. Die NPD ist ein Dreck, sagt Frank, die PDS aber auch nicht besser. Lieber die Mitte wählen. Überhaupt: Wählen gehen, vielleicht sollte man die Wahlpflicht einführen wie in Österreich. Sozialkunde Leistungskurs.
Danach gesellte sich Gernot zu mir, der eine frisch geplatzte Augenbraue hatte. Er war sechs Jahre Leiharbeiter im Westen gewesen, bis er es satt hatte, immer als „dummer Ossi“ herumgescheucht zu werden. Ich fragte ihn: „Warum sprechen die Wessis von ‚Ossis’? – Weil sie sich das Wort ‚Spezialist’ nicht merken können.“ Den fand er richtig gut. Gernot hat es heute geschafft als Selbstständiger, muss viele Steuern zahlen. „Aber der Staat ist schon ok, hilft dir weiter, wenn’s dir wirklich schlecht geht.“ Gernot vertickt als Subunternehmer Szene-Shirts übers Internet, von morgens bis nachts am Rechner. Er lebt allein, pennt auf der Couch, weil sein Schlafzimmer Klamotten-Lager ist. Gernot ist froh, Samstags mal unter Menschen zu kommen.
Weiter vorn im Zug saß ein Dortmunder Fan mit türkischem Blut. Die Jungs meinten hinterher, sie hätten gar nichts gemacht, aber ich glaube, sie haben sich vor den Dortmunder gestellt und gerufen, „du bist schwul, du bist schwul“. Franks Nasenbein war jedenfalls durch, sah gar nicht gut aus. In Halle ging die Keilerei weiter, Polizei trat auf. Ich bekam den letzten Triebwagen nach Leipzig. Auf dem Weg in die Feuerbachstraße brach der erste Frühlingsmonat an.