Sonntag, 1. März 2009

Ostdeutschlands Mitte

Bahnfahren bleibt aufregender als Fliegen. Samstag Abend kehrte ich aus Düsseldorf zurück. Der planmäßige Anschluss in Hannover fuhr am Bahnsteig gegenüber in dem Moment an, als mein Zug zum Stehen kam. Also im Bummelzug über Vienenburg und Wernigerode nach Halle. Das ist landschaftlich sehr reizvoll, was einem aber nachts nicht viel nützt.
Frank setzte sich neben mich, ein 17-jähriger Abiturient aus Erfurt. Rot-Weiß hatte gerade bei Bremen II verloren, Frank sprach schon etwas laut und hatte Schwierigkeiten mit längeren Wörtern, war aber sonst ganz aufgeweckt. Dass mein Verein in derselben Liga spielt und das sehr erfolgreich, führte nur kurz zu Irritation. Ich kenne nun den Unterschied zwischen Ultras und Hooligans, erstere sind die Guten, die bedingungslos ihren Verein „supporten“ und sich nur prügeln, wenn es unbedingt nötig ist. Ich weiß auch, wer das Feuerwerk gezündet hat, das neulich zu einer längeren Spielunterbrechung beim Thüringen-Derby geführt hat. Jena hatte dann durch diesen „verdammten Bimbo“ in der Nachspielzeit doch noch ausgeglichen. Die NPD ist ein Dreck, sagt Frank, die PDS aber auch nicht besser. Lieber die Mitte wählen. Überhaupt: Wählen gehen, vielleicht sollte man die Wahlpflicht einführen wie in Österreich. Sozialkunde Leistungskurs.
Danach gesellte sich Gernot zu mir, der eine frisch geplatzte Augenbraue hatte. Er war sechs Jahre Leiharbeiter im Westen gewesen, bis er es satt hatte, immer als „dummer Ossi“ herumgescheucht zu werden. Ich fragte ihn: „Warum sprechen die Wessis von ‚Ossis’? – Weil sie sich das Wort ‚Spezialist’ nicht merken können.“ Den fand er richtig gut. Gernot hat es heute geschafft als Selbstständiger, muss viele Steuern zahlen. „Aber der Staat ist schon ok, hilft dir weiter, wenn’s dir wirklich schlecht geht.“ Gernot vertickt als Subunternehmer Szene-Shirts übers Internet, von morgens bis nachts am Rechner. Er lebt allein, pennt auf der Couch, weil sein Schlafzimmer Klamotten-Lager ist. Gernot ist froh, Samstags mal unter Menschen zu kommen.
Weiter vorn im Zug saß ein Dortmunder Fan mit türkischem Blut. Die Jungs meinten hinterher, sie hätten gar nichts gemacht, aber ich glaube, sie haben sich vor den Dortmunder gestellt und gerufen, „du bist schwul, du bist schwul“. Franks Nasenbein war jedenfalls durch, sah gar nicht gut aus. In Halle ging die Keilerei weiter, Polizei trat auf. Ich bekam den letzten Triebwagen nach Leipzig. Auf dem Weg in die Feuerbachstraße brach der erste Frühlingsmonat an.

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