Sonntag, 28. September 2008

Tamagotchi oder Handy?

Dienstag und Mittwoch werden nun doch neue Szintigramme gemacht, als Basis für die Bestrahlungen. Die Informationen daraus könnten weit reichend sein. Wir sind voll banger Spannung. Seit gestern nimmt Greta Retinsäure, die uns (im günstigen Fall) mit Unterbrechungen ein Jahr begleiten wird. Morgens und abends je zwei große und eine kleine Pille. Die Perlchen sehen ganz freundlich aus, sind glatt, glänzend, weich und offenbar geschmacksneutral. Die erste Vergabe hat trotzdem eine halbe Stunde gedauert und alle Beteiligten Nerven gekostet. Seitdem geht es aber besser. Greta sagt, sie hätte den Trick heraus, wie man die Kugeln „mit der Zungenspitze nach hinten schubst“.
Gestern war ich auf einhelligen Wunsch der Kinder wieder auf dem Wellenspielplatz, dessen Charme sich nur Eingeweihten erschließt. Jemand hat die drei überdimensionalen Holzgestelle der Schaukeln mit Golgatha in Verbindung gebracht. Wenigstens schien die Sonne.
Als wir ankamen, kurz nach zwei, dröhnten die üblichen Jubel- und Anfeuerungsrufe der Chemie-Fans aus dem Zentralstadion, auch 3000 Menschen können durchaus Stimmung machen. Nach einer halben Stunde hörte das aber so restlos auf, dass wir schon dachten, das Spiel sei doch noch abgesagt worden. Gegen vier schlichen einige Leute in Parkas zu ihren Autos. Drei grüne Minnas drehten gelangweilte Runden über den Parkplatz. Null zu vier gegen Hansa Rostock II, völlig trostlos. Nicht mal gegnerische Fans waren da, überhaupt niemand, der sich hätte freuen können. Spitzenfußball in Sachsen.
Stella war allein zuhause geblieben, musste mal was für sich machen. Nach vier Stunden ödete es sie an, und sie ging zu Nachbarn. Das Abmeldebriefchen fand ich wieder einmal nicht, und Stellas Handy war aus. Sie kam erst gegen acht. Das Gute ist, dass wir uns in solchen Situationen gar nicht mehr grämen, weil wir solche peanuts innerlich gleich durchwinken.
Ja, Stella hat seit sechs Wochen ein Handy. Ich war dagegen, aber die Frauen haben sich wie üblich durchgesetzt. Selbst der Telefon-Verkäufer riet für diese Altersklasse ausdrücklich ab. Stella hat das Gerät mit einem supercoolen Schmuckbändchen versehen und trägt es in einem Filz-Täschchen, mit buntem Strass besetzt. Ein Lieblingskuscheltier könnte es bei ihr nicht besser haben. Sie kann das Handy aber auch bedienen, nutzt es bisher maßvoll und hängt es immer rechtzeitig an den Strom.

Zu Fuß ins neue Heim

Der Umzug der Pferde von Pehritzsch nach Liebertwolkwitz ist vollbracht. Der Zeitplan für den Marsch konnte allerdings nicht ganz eingehalten werden. Wir sehen Rooney, Julchen (vorne) und Steffi im Baalsdorfer Forst, kurz vor Kleinpösna, wo nach glücklicher Überquerung der A14 kurzfristig die Orientierung verloren ging. Ganz rechts der Rathausturm von Holzhausen.

Mittwoch, 24. September 2008

Erhaltungstherapie

Die Strahlentherapie beginnt so bald noch nicht. Der einschlägige Professor meinte am Montag, es seien zu viele potenzielle Herde, die Dringlichkeit dabei möglicherweise gar nicht hoch, die Belastung dem Kind nicht einfach auf Verdacht zuzumuten. Erst müsse ein neues Szintigramm her. Wahrscheinlich beginnen wir am Samstag mit der Retinsäure (Erhaltungstherapie), ebenfalls fester Bestandteil des Therapieplans und in der Folge alternierend mit den Bestrahlungen zu verabreichen. Retinsäure soll dafür sorgen, dass mögliche verbliebene maligne Reste sich in gutartige Zellen umwandeln, die sich nicht mehr endlos oft teilen können. Retinsäure wird auch bei einigen Hautkrankheiten angewendet, kann in hoher Dosierung aber zu Schäden an Haut und Schleimhäuten führen.
Der Vater hat die allgemeine Erschlaffung seit Sonntag dazu genutzt, die erste Grippe seit langer Zeit auszubrüten. Klar, wird die Schwiegerfamilie sagen, du trinkst ja auch kein Cellagon mehr.
Stella hat vorhin zum ersten Mal „keene“ für „keine“ gesagt. Ich habe von einer Bestrafung abgesehen. Die Akkulturation schreitet voran.

Greta und ihre Freunde

Wieder daheim

Drei Engel aus der Feuerbachstraße 3


Rooney, Julchen, Isella und Clara beraten über den Stand der Dinge.



Sonntag, 21. September 2008

Abschied vom Sommer

Morgen, Montag, wird Steffi mit dem Strahlen-Professor reden. Dann erfahren wir, wie es weitergehen wird. Im Moment wissen wir über Dauer und Ablauf wenig (ambulant/stationär). Es sind jedenfalls viele Stellen, die bestrahlt werden müssen. Auch der Tumorrest neben der Leber wird noch einmal Thema werden. Greta muss erst am Dienstag zur ambulanten Durchsicht in die KiK 4. Sie ist guter Dinge, fast normal bei Kräften und benimmt sich im Kreise ihrer Schwestern und NachbarsfreundInnen völlig altersgemäß. Heute Nachmittag haben fünf Kinder mein Fahrrad geputzt. So kann der Herbst kommen.
Das Wochenende gehört uns fünf. Wir sind gut zueinander und sammeln Kräfte. Stella und Clara haben gestern Franziskas Geburtstag mit einem spektakulären Kletterwald-Ausflug begangen. Steffi war bei der Eröffnung der neuen Leipziger Studiobühne Skala und anschließend bei den Pferden. Diese werden demnächst von Pehritzsch nach Liebertwolkwitz umziehen. Das wäre die halbierte Entfernung für weniger Geld. Wie ist das möglich? Angeblich hat sich unser Pony Julchen so sehr mit Isella angefreundet, dass deren Besitzer, die eine neue Koppel gründen, nicht ohne uns umziehen wollen. Geschichten, die das Leben schrieb. Pehritzsch befindet sich in Auflösung. Nur unser Kater Benni ist dann noch dort und bleibt es auch. Mit knapper Not konnte ich abwenden, dass das unreine Tier schon jetzt wieder in die Wohngemeinschaft mit Greta zurückgeführt wird.

Mittwoch, 17. September 2008

Full House

Greta und Steffi sind wieder zuhause. Es war total schön, wieder einmal zu fünft in einem Raum zu sein. Danach haben wir uns allerdings gewohnheitsmäßig schnell wieder verlaufen. Demnächst müssen sich die Erwachsenen mal abends zu einer ausführlichen Terminbesprechung verabreden.
Die Diele steht voll mit einem riesigen Haufen Jena-Gepäck. Die Kinder waren die meiste Zeit glücklich und haben einträchtig gespielt. Stella und Clara haben Gretas Kopf nach neuen Haaren abgesucht. Es ist ein ganz neues Gefühl, drei sprechende Kinder in der Wohnung zu haben. Greta hat sich in vieler Hinsicht wirklich gut entwickelt.
Steffi wollte zuerst die Großen in die Wanne stecken. Nicht jeder mag das. Clara hat sich im Kleiderschrank versteckt. Greta hat sie dort gefunden.

Sonntag, 14. September 2008

Danie, Mark und Rico

Für Carl Zeiss Jena war es kein guter Tag nach der Klatsche gegen Stuttgart und der ersten Trainerentlassung dieser Saison. Mein Mitleid hält sich in Grenzen, ich werde wohl nicht mehr so bald nach Jena kommen. Vom vielen Händewaschen sind mir Schwimmflossen gewachsen, und mein Kreuz ist völlig schief von dieser stets leicht verdrehten Sitzhaltung am Bett.
Wahrscheinlich wird Greta am Mittwoch entlassen. Heute hat sie schon drei Butterkekse und ein Gummibärchen gefrühstückt und war ziemlich munter. Sie sagt: „Ich vermisse Stella und Clara.“ Ob sie allerdings nachhause kommt oder gleich in die KiK 4, ist noch unklar. Sie wird sehr bald Bestrahlungen bekommen auf Basis der Herde, die man während der MIBG-Therapie genau lokalisiert hat. Da die letzten Therapieschritte eher langfristig wirken, macht es jetzt noch keinen Sinn, neuerlich aufwendige Diagnose zu betreiben. Im November wird es ein Szintigramm geben, und dann werden wir eine erste Antwort auf die Gretchenfrage bekommen, ob die Therapie bisher überhaupt etwas genützt hat und ob wir eine Verbesserung unserer Ausgangsprognose von 50 Prozent erreicht haben.
Als die Nachricht vom Ansteigen der Leukozyten kam und damit ein Abschluss des schweren Jena-Ganges in Aussicht, setzte ich mich hin und schrieb ein paar Namen auf von Leuten, die wir zu einem Frühlingsfest einladen könnten. Irgendwann kam mir das frivol und voreilig vor, doch dann wurde mir bewusst, dass wir nächstes Jahr so oder so Anlass haben werden, ein größeres Begängnis für Greta zu organisieren, also wird die Liste fortgesetzt.
Dieses Wochenende stand unter keinem besonderen Motto. Es gab ein paar Partien Maumau, viel Vorlesen und Spiele mit den Tigern. Gretas Schleich-Fuhrpark hat inzwischen ungefähr mit dem Leipziger Zoo gleichgezogen. Es gibt Familienmitglieder, die behaupten, dass ein Erwerb dieser Figuren eine Geldanlage sei. Manche glauben sogar, es handele sich dabei um Kunst, weil die Tiere so schön originalgetreu nachgebildet seien. Na ja, immerhin sind die Teile unkaputtbar, und man kann sie wahrscheinlich ganz gut bei Ebay verticken.
Das Wochenende war für den Betreuer gar nicht einmal allzu hart. Die abendliche Einschlafzeit lag bei halb neun. Seit ein paar Tagen gibt’s Hafterleichterung. Der Besucher braucht keinen Mundschutz mehr, und Greta darf am Nachmittag für zwei Stunden heraus. Wir sind ins McDonald-Haus in den Party-Keller und haben eine Runde Billard gespielt, wie die Jungs von Clemens Meyer, die meistens prügeln und saufen und dabei doch so verletzlich sind. Mit Jena ist auch dieses schöne Buch zuende gegangen.

Freitag, 12. September 2008

Viertes Jena-Wochenende

Obwohl die Leukozyten in den letzten Tagen weiter gut angestiegen sind, wird Greta übers Wochenende noch in Jena bleiben, weil die Blutbildung sich erst stabilisieren soll und man abwarten will, wie sich die Rücknahme der vielen prophylaktischen Medikamente und Schmerzmittel auswirkt. Außerdem muss sie wieder anfangen zu essen.
Also werde ich wie gewöhnlich gleich um 11:11 Uhr von Gleis 11 leider nicht bis München, sondern eben nach Jena fahren und Steffi ablösen. Die muss am späten Nachmittag zum Lessing-Schulfest, was eine Riesen-Veranstaltung wird und von allen großen Kindern sehr herbeigesehnt wird.
Morgen fährt Heidi wieder nachhause, die zwei Wochen lang eine riesengroße Hilfe war und uns über diese harte Zeit gerettet hat. Die Großen waren zufrieden, gut versorgt und bekamen obendrein noch professionelle physiotherapeutische Betreuung. Und die Erwachsenen haben abends wie in alten Zeiten wilde Würfelrunden veranstaltet.

Sonntag, 7. September 2008

Fortschritte

Heute morgen, am Tag 10 nach der Stammzellentransplantation, ist Gretas Leukozytenwert bereits auf 0,2 gppl gestiegen. Das heißt, die Stammzellen haben ihren Weg gefunden, die Blutbildung ist wieder im Gang. Das ist eine sehr gute Nachricht. Greta scheint auch die Jena-Hürde zu nehmen, und erneut sind wir sogar ziemlich schnell unterwegs. Tatsächlich hat das Kind, das unter der Woche noch arg in den Seilen hing, am Wochenende sichtlich Vitalität zurückgewonnen und war heute fast schon wieder so quirlig wie in Normalform. Und das, obwohl sie seit zwei Wochen praktisch intravenös ernährt wird. Bis sie entlassen werden kann, wird es sicher noch einige Tage dauern. Die Leipziger Onkologen erwarten sie freilich dringend.
Die letzten zwei Tage lag Gretas Lebensinteresse im Studium von Wimmelbildern mit Schlümpfen. Mit einer unglaublichen Ausdauer konnte sie der Frage nachgehen, wo sich denn der Baby-Schlumpf befindet, oder wo die sechs Bälle sind. Das Wort „Schlumpf“ hat sich allerdings lange ihrem Wortschatz entzogen. Sie fragte dann: Wie heißen diese Tiere? Oder: Wie heißen diese Dinger? Für die erwachsene Betreuungsperson ist derlei Beschäftigung auf die Dauer eher anstrengend. Nach zwanzig Stunden Schlümpfesuchen sehe ich hinter jeder Ecke knollennasige Gnomen, suche nach Zipfelmützen, träume in blauweißen Parallelwelten.