Donnerstag, 24. Dezember 2009

Fröhliche Weihnachten

Auch die zweite Rückenmarkspunktion (Tag 60 nach KMT) hat ergeben, dass das neue Knochenmark hundertprozentig angewachsen ist. Angeblich hat Greta heute mit dem Oberarzt Fußball gespielt. Aber die Myokarditis will noch beobachtet werden. Steffis Weihnachten in Jena war trostlos. Übermorgen fahren wir zu fünft hin. Danach bleibe ich bis Neujahr bei Greta.
In Leipzig waren bürgerliche Weihnachtsstandards diesmal kaum zu halten. Ich habe das Fest trotzdem genossen, denn ich bekam am Morgen einen Kasten feinsten Münchner Biers geschenkt.
Der 35 Jahre alte Plastikbaum zeigte an allen Ecken Materialermüdung, das sah ich auch nach zwei Flaschen Augustiner sehr klar. Der Fuß wackelte, echte Kerzen mussten her, weil die elektrischen Birnchen nicht aufzufinden waren. Beim fünften Bier stellte sich heraus, dass keine Weihnachtsbaumspitze da war, es fehlten auch sämtliche Halterungen für den Schmuck. Immerhin bekamen wir ein paar Kugeln mit Büroklammern befestigt.
Wo ist eigentlich das Lametta geblieben? Zum Glück fiel mir ein alter Trick aus dem Sauerland ein: Bügele Sauerkraut und tauche es in Silberfarbe. So haben wir es ja im Krieg auch gemacht. Nun riecht es etwas streng im Weihnachtszimmer. Dafür haben wir schließlich noch die Krippe in Gang gebracht. Die doofen Schafe merken nicht einmal, dass sie rückwärts im Kreis laufen.
Nach dem achten Hellen war Bescherungssingen, ich registrierte bloß am Rande, dass wir zwar in einer Stadt höchster Chor-Kultur leben, in meiner Familie aber wirklich niemand auch nur einen Ton halten kann. Trotzdem kam hinterher ein rotweiß gekleideter Engel durchs Fenster und bedankte sich artig.
Das zwölfte Augustiner schmeckte besonders gut, und ich war nur mäßig beunruhigt darüber, dass ich den Rauch nicht gleich verorten konnte. Es war aber weder der Baum, noch der Krippenpropeller, auch keine heimlich rauchende Tochter, sondern bloß die vergessene Pizza im Ofen.
Nach dem 19. Bier sprangen die Shrimps vom Teller. Aus dem Kaviar wurde augenblicklich Popcorn, als mein Handy klingelte. Nun ist Ruhe. Der Engel ist weg. Der Baum ist umgefallen. Verdammt, warum steht eigentlich das Rentier da draußen und pinkelt gegen unser Auto?

Sonntag, 20. Dezember 2009

Hungerstreik

Am Wochenende habe ich mit Greta zum ersten Mal in meinem Leben eine Folge der Lindenstraße gesehen. Ich kommentiere das besser nicht weiter. Außerdem gabs die Unendliche Geschichte, die ja ganz nett ist. Ich verstehe bloß nicht, warum es in diesen Märchen immer so schlaue Tiere gibt, die in irgendwelchen Sümpfen leben und seit Jahrhunderten weder Kontakte, noch Bücher, noch Internet-Anschluss haben. Und die echten Wissenschaftler sind bloß Schießbudenfiguren, das kann doch nicht richtig sein!
Gretas Herzentzündung bedarf immer noch genauer Kontrolle. Eine Schwellung verursacht unsauberen Durchfluss in der rechten Aorta-Klappe, außerdem gibt es einen Liquor-Kanal neben der linken Herzkammer, der dort nicht hingehört. Unter der Sonographie kann man sich das alles genau anschauen. Ob diese Entzündung das Resultat einer Virusinfektion darstellt oder eine GvHD ist, darüber sind die Ärzte uneins. Genauere Auskunft würde die Biopsie ergeben (Entnahme von Herzgewebe) oder ein Herz-MRT unter Narkose, beides Verfahren, die wir Greta lieber ersparen würden. Die Werte waren aber heute und gestern schon wieder besser als am Donnerstag, wo die Ärzte ziemlich nervös waren. Das Kind ist munter, plaudert viel und macht Spiele mit (Mäuse Würfeln – guter Tipp!).
Nahrung verweigert Greta aber nach wie vor. Ich bin jetzt, da die Sterilpflege aufgehoben ist, von der Station freundlich dazu eingeladen, mein Frühstück bei Greta zu verzehren, was meinen Alltagsgewohnheiten durchaus entgegen kommt. Erinnert ihr euch noch an jenen schönen Fall, der als Paradebeispiel für den österreichischen Charme 1998 durch die Presse ging? Veronika B., seit sechs Monaten in der Vollzugsanstalt Wien Josefstadt arrestiert, hatte beschlossen, aus Protest gegen ihren Prozess und gegen die gesellschaftliche Gesamtsituation in den unbefristeten Hungerstreik zu treten. Die Gefängnisleitung tat nach vier Wochen folgendes: Sie zog Ärzte, Forensiker und Psychologen ab und ließ statt dessen eine große Tafel in Veronikas Zelle aufbauen mit Kaiserschmarren, Hendln, Krainern, Knedln, Obatzten und was man dort sonst noch Gutes isst. Dann bat man die als sehr gefräßig bekannte Mitinsassin Gerda F. in die Zelle, die man gegen extra Taschengeld drei Tage zuvor auf Diät gesetzt hatte. Gerda ließ es richtig krachen und holte fleißig Kalorien nach. Veronika B. sah vom Krankenlager aus zu – und stürzte sich nach einer halben Stunde entnervt auf das vorletzte Hühnerbein. So ähnlich sollte ich es wohl auch mit Greta machen, aber bisher war das nicht sonderlich erfolgreich.
Der Kindergeburtstag am Samstag ist anscheinend gelungen, auch der Sonntag brachte kulturelle Anregungen für die Großen, bestehend aus dem Badeparadies in Halle (Stella) und Plätzchenbacken für Clara. Es ist wunderbar, wie die Freundeseltern uns mit solchen Aktionen immer wieder unterstützen. Greta ist aber trotzdem das Nummer-1-Thema bei den Schwestern, die die Kleine zu Weihnachten unbedingt sehen wollen. Wir werden deshalb am ersten oder zweiten Feiertag alle nach Jena fahren, die Eltern dann auch in Gretas Betreuung tauschen.

Still alive


Familienzusammenführung in der Jenaer Dorfstraße am 05.12.2009


Mama und Greta 16.12.2009


Greta und die von ihr sehr geliebte Krankenhaus-Clownin "Knuddel"

Freitag, 18. Dezember 2009

Weihnachten in Jena

Wir werden heute doch wieder bis Sonntag tauschen in Jena. Steffi ist nur knapp über die letzten Tage gekommen, weil sie halb krank war. Aber den Kindergeburtstag möchte sie doch selber machen. Soll sie tun.
Gretas Herz macht Unregelmäßigkeiten und muss genau beobachtet werden. Vielleicht hat sie einen Herzmuskelinfekt, den man behandeln kann und muss, denn eine Herztransplantation wird sie schwerlich überstehen. Eine Entlassung vor Weihnachten steht nicht mehr zur Debatte.
Die längste Zeit habe ich mich darauf gefreut, zwischen den Jahren wieder ins soziale Leben einzusteigen, reichlich zu schreiben und zu telefonieren. Es könnte sein, dass diesmal gar nichts daraus wird. Wundert euch bitte nicht.

Dienstag, 15. Dezember 2009

Neun Wochen Jena

Bitte schaut euch sehr genau den Tabellenstand der Zweiten Liga an! Da gibt es einen drittplatzierten Aufsteiger, den auch die Sperre seines Top-Torjägers nicht aus der Erfolgsspur bringt. Dabei hat Fortuna einen der niedrigsten Etats der Liga. Es ist eben doch nicht immer nur das Geld. Freilich meistens doch: RasenBolz Leipzig startet durch. Die haben zwar immer noch keine eigene Homepage, aber die vierte Liga ist in Sicht. Lok und Chemie können darüber im Grunde nur froh sein, können sie doch demnächst die Leipzig-Meisterschaft in der fünften Liga wieder unter sich ausspielen.
Stella hat heute Geburtstag („Ich bin jetzt eine runde Zahl.“). Zehn Jahre Kinderaufzucht in diesem Haushalt! Das wäre unter normalen Umständen eine große Party wert. Stattdessen sind wir froh, wenn wir nächsten Samstag einen halbwegs normalen Kindergeburtstag hinkriegen. Stella war so nobel, Clara hinzuzubitten mit drei Freundinnen ihrer Wahl, so dass wir auch diese organisatorische Altlast abarbeiten können, die seit dem 05.03. besteht, weil wir Clärchens siebten Geburtstag nie gefeiert haben. Das wird mein Auftrag werden und damit ein Debüt, denn Steffi will das nächste Wochenende nicht schon wieder tauschen, und sie hat Greta klar auf ihrer Seite („Mama ist mir lieber.“). Immer mehr entbrennt ein edler Wettstreit darum, wer den Dienst bei Greta versehen darf. Wahrscheinlich hat Greta insgesamt Glück mit ihren Eltern. Nichtsdestoweniger war sie gestern sehr übellaunig und hat am Nachmittag zwei Stunden gebrüllt vor Frust. Ich hätte mich danebenlegen und einfach nur beipflichten können.
In den Feiertagen könnte es tatsächlich die bequemere Option sein, gemütlich in Jena zu sitzen. Darüber wird es noch einen Streit geben mit den Ärzten. Steffi hat die Nase voll und ist sicher, dass Greta im Kreis ihrer Schwestern schnell wieder erblüht. Aus medizinischer Sicht stellt sich das so dar, dass das Kind einige Infekte abarbeitet (Rota, Adeno, Herpes, Windpocken/ Gürtelrose), die sie entweder im Krankenhaus eingefangen hat (was das Krankenhaus nicht gerne zugibt) oder bei denen es sich um so genannte reaktive Infekte handelt, also um solche, die von vereinzelten Erregern ausgehen, die vorher schon im Körper waren und die das Interregnum zwischen den Immunsystemen ausgenützt haben. Sie kommen nur ansatzweise zum Ausbruch, werden genau beobachtet, medikamentös behandelt und sind nicht weiter schlimm, aber es können noch weitere hinzukommen, die alle aus dem KMT-Lehrbuch stammen, Kapitel: Unmittelbare Folge-Risiken.
Die hard facts stimmen nach wie vor, insbesondere die Leber-VOD ist vollständig beseitigt. Aber Greta isst halt im Moment rein gar nichts, und das muss sich ändern vor der Entlassung. Ich ahne, dass Steffi sich diesmal anlegen wird mit den Ärzten, und ein Verhandlungsziel könnte es sein, dass Greta nach der Rückenmarkspunktion am 21.12. in die KiK 4 nach Leipzig verlegt wird, was für uns schon ein großer Gewinn wäre.
Clara kam Sonntag wieder mit nach Jena, und wir wurden von einer benachbarten Dame im Zug sofort zur Ruhe ermahnt. Weil sie gerade Stieg Larsson in Arbeit hatte, habe ich ihr dies verziehen, denn dieser Schreiber wartet auch auf meiner Fensterbank darauf, dass ich meine Agatha-Christie-Phase beende, wonach es im Moment allerdings nicht aussieht.

Donnerstag, 10. Dezember 2009

In eigener Sache

Ich glaube, zuletzt habe ich mit diesem Blog einigen Anstoß erregt. Leute, das tut mir Leid! Ich provoziere zwar gerne ein bisschen, will aber wirklich niemanden verletzen und schon gar nicht hinter die Errungenschaften des Grundgesetzes zurückfallen. Anscheinend mag sich nicht jeder auf mein kratziges Ironieverständnis einlassen, und ich habe noch gar kein Gefühl dafür entwickelt, wie weit der Leserkreis tatsächlich schon über den Radius der engen Freunde hinausreicht, die mich gut kennen.
Um Himmels Willen, glaubt denn allen Ernstes jemand, ich hätte etwas gegen Migrantenkinder an der Schule meiner Töchter?? Es gibt in Leipzig – osttypisch – noch viel zu wenige Ausländer!
Damit das klar ist: Ich will eine offene, bunte, liberale Gesellschaft, in der jedes Individuum das Höchstmaß an Freiheit und Selbstverwirklichung erreichen kann, das ohne den Schaden des Anderen zu machen ist. Dazu gehört die Freiheit von Wort und Buchstaben. Schwache brauchen extra Unterstützung, und ich weiß den Wohlfahrtsstaat nach diesen letzten zwei Jahren wahrlich zu schätzen. Im übrigen lebe ich im real existierenden Matriarchat der Großfamilie und fühle mich so sauwohl darin, dass von mir aus der ganze Staat so werden kann. Wer wollte ernsthaft bezweifeln, dass der unaufhaltsame Vormarsch der Frauen gerade im Berufsleben in Summe eine große Bereicherung für alle ist? So viel dazu.

Die Schwiegereltern sind da. Große Erleichterung. Mein Dasein als voll berufstätiger quasi allein erziehender Vater ist damit für dieses Jahr vorbei. Morgen fahre ich nach Köln, obwohl doch Fortuna Düsseldorf gerade viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Sonntag bis Dienstag ist dann endlich wieder Vaterzeit für Greta in Jena.

Montag, 7. Dezember 2009

Fünf Schmals in Jena

Am Samstag gab es tatsächlich Familienzusammenführung für einige Stunden, in jenem etwas gespenstischen Kellerraum des McDonald-Hauses, in dem auf 25 qm ein Pool-Billard, ein Tischfußball, eine komplette Wii, zwei Kaufmannsläden, zwei Hometrainer, drei Dreiräder, vier Bausteinkisten, eine Modelleisenbahn, eine Autorennbahn und übermannshohe Schränke mit weiterem Spielzeug von ehrgeizigen Sponsoren angesammelt sind, wo aber nie jemand spielt, weil die wenigen Geschwisterkinder lieber im Aufenthaltsraum fernsehen.
Dort also haben wir zwei sehr schöne Stunden verbracht, in denen Greta manchmal in Anflügen wieder fast wie ein richtiges Kind sich verhalten hat und anzusehen war.
Die großen Schwestern waren einfach mitgekommen nach Jena, um danach mit Mama wieder zurückzufahren. Die Deutsche Bahn ist in der Kinderfrage ja wirklich äußerst kulant.
Auf dem Weg durch die Jenaer Innenstadt unterhielten sich Stella und Clara lautstark über ihre Zukunftspläne, die vorläufig vorsehen, ein schulisches Lehramt zu bekleiden. Das wär doch fein, meinte Clara, mein Mann ist dann auch Lehrer und arbeitet an derselben Schule wie ich. Eine nette ältere Dame in Hörweite fing an zu grinsen, verlangsamte ihren Schritt und gab zu erkennen, dass sie selbst Lehrerin gewesen und immer sehr zufrieden mit ihrem Beruf gewesen sei. Und dass sie sich sehr freuen würde über Stella und Clara. Nun ja, wir, die Eltern, können alles in allem aufgrund eigener Erfahrungen und Prägungen die Planungen der Töchter nur gutheißen.
Greta war nach dem aufregenden Samstagnachmittag völlig geschafft und hing am Sonntag nur in den Seilen. Der Durchfall macht ihr Schmerzen, dafür bekommt sie wieder Morphium. Die braune Oberhaut löst sich vollständig und macht Juckreiz. Essen und trinken tut sie gar nichts. Der Versuch, ihr nach mehreren Tagen Pause wieder Medizin oral einzuhelfen, endete mit sofortigem Übergeben. Die Ärzte sind mit Gretas Eckdaten (Leber, Niere, Blutwerte, Wassereinlagerungen) nach wie vor sehr zufrieden, aber ich sehe das schwache Kind Weihnachten noch nicht zuhause.

Samstag, 5. Dezember 2009

Premieren

Greta hat Rota-Viren und damit eine gängige Magen-Darm-Infektion. Normale Kinder kommen deswegen manchmal ins Krankenhaus, weil sie so viel Wasser verlieren. Aber wenn man sowieso schon im Krankenhaus ist, dann ist es nicht so schlimm. Gretas Laune scheint davon nicht (noch) weiter beeinträchtigt. Sie hat jetzt gelegentlich stundenweise Ausgang. Die Eltern tauschen wieder Samstag auf Montag. Steffi hat zwar gestern behauptet, Greta sei schon sehr traurig wegen des anstehenden Betreuertauschs, aber das war gewiss nur ein Versuch, sich auch noch das komplette Wochenende im Jena-Idyll zu ergattern. Daraus wird nichts. Ich bin sicher, dass Greta sich in Wirklichkeit schon sehr auf den lieben Vati freut. Und die Mutti darf derweil zuhause Ordnung machen und Stellas Geburtstag organisieren.
Gestern gab es eine beachtliche Premiere. Ich musste um 06:40 Uhr auf den Zug nach Hannover, und deshalb sind Stella und Clara alleine aufgestanden und in die Schule gegangen, nur durch gelegentliche Telefonate angespornt. Das Experiment ist vollständig geglückt. Augenzeugen berichten, die Mädchen seien sogar besonders früh in der Schule gewesen. Es ist schon toll, so große Kinder zu haben!
Mittwoch stand unsere Blog-Adresse in der Leipziger Volkszeitung. Wie peinlich! Da haben ausgerechnet die Verrisse über Grundschule, McDonald-Haus und Nebel von Avalon unerwartet Multiplikation erfahren. Danke, liebe LVZ, dass du uns vorher nicht gefragt hast! Zum Glück liest ja kaum noch jemand diese Papier-Zeitungen.