Montag, 28. April 2008

OP verschoben

Der Ärzte-Rat hat heute den Operationstermin um eine Woche verschoben. Die Blutwerte von Greta sind noch zu schlecht, vor allem die geringe Anzahl von Thrombozyten ist ein Risiko. Morgen Nachmittag müssen beide Eltern zum Aufklärungsgespräch mit dem Chirurgen. Greta ist momentan zuhause und darf sich bis nächsten Dienstag erholen.

Sonntag, 27. April 2008

Operation naht

Menschen und Hunde in mittleren Jahren können die unterschiedlichsten Probleme haben, auch wenn man meint, dass diese Altersgruppe am sichersten im Leben steht. Wenn man genau hinschaut, tut sich ein wahres Panoptikum an Leiden auf. Steffi und Clara sind gestern im Rosental einer weinenden Frau begegnet, die vor ihrem reglosen Golden Retriever kniete. Ein eilig hinzugezogener Tierarzt konnte nur noch den Tod des edlen, aber auch überzüchteten Viechs feststellen. Herzinfarkt im Alter von fünf Jahren am ersten richtig heißen Tag des Jahres.
Das Stammzellen-Fischen bei Greta war erfolgreich und ist heute wahrscheinlich zum Abschluss gekommen. Greta war guter Dinge und hat viele Stunden im Bett mit ihrer neuen Dino-Welt gespielt. Danach wurde sie ganz abgestöpselt und ist fröhlich auf dem Gang herumgetollt. Wenn Fortuna nicht spektakulär ihre Aufstiegschancen verspielt hätte, könnte man diese Woche glatt als erfolgreich bezeichnen.
Morgen setzen sich die hauptbeteiligten Ärzte zusammen und beraten, ob und wie die Operation am Dienstag stattfinden kann. Sie soll viele Stunden dauern, Greta wird von oben bis unten aufgeschnitten, anschließend ein paar Tage auf der Intensivstation liegen und insgesamt mindestens drei Wochen Rekonvaleszenz benötigen. Die Zielvorgabe ist, so viel wie möglich von dem immer noch großen Bauchtumor zu entfernen, etwa beteiligte Organe aber zu schonen. Milz und Nieren bleiben also erst mal drin. Jetzt heißt es, Daumen halten. Die nächsten News gibt’s am Tag der Arbeit.

Samstag, 26. April 2008

Aus dem Familienalbum

Was wird die nahe Zukunft bringen?


Nein, das ist nicht die Stammzellen-Abfisch-Maschine.






Die weiteren wichtigsten Familienmitglieder sind gottlob wohlauf.



Zellen, Zähne, Zahlungsmittel

Greta ist gestern wieder in die große Röhre geschoben worden. Eine präzise Diagnose ist notwendig für die Feinplanung der anstehenden Operation, die nach jüngsten Meldungen bereits für nächsten Dienstag anberaumt ist. Die Ergebnisse des MRT werden dennoch einige Zeit auf sich warten lassen. Derweil läuft endlich das Abfischen der Stammzellen. Es handelt sich dabei um eine spezielle Sorte hämatopoetischer, also Blut bildender Stammzellen (CD 34), die Greta zurückgegeben werden nach dem letzten Chemo-Hammer, in dessen Folge die Blutbildung völlig zum Erliegen kommen wird.
Das Absammeln dieser Stammzellen hatte sich etwas verzögert, weil die Blutbildung schon jetzt stark verlangsamt ist nach den normalen Chemo-Blöcken. Man muss sich dieses Sammelverfahren tatsächlich ziemlich mechanisch vorstellen. Gretas Blut wird komplett durch einen Filterkreislauf geführt, die Blutmenge durch Konserven stabil gehalten. Das Blut geht dabei in eine Zentrifuge, in der man die wertvollen Stammzellen herausfischt. Diese Prozedur dauert viele Stunden, mitunter Tage. Greta muss dabei im Bett bleiben.
Im Moment ist Steffi in der Klinik, ich werde sie am Nachmittag ablösen. Zum Glück sind die Schwiegereltern aus Kiel für längere Zeit da, was die gesamte Familiensituation immer schlagartig entspannt. Die Großen machen mit Oma und Opa bei strahlendem Wetter einen Zoo-Tag.
Die Woche war ohnehin schon voller Abenteuer. Stella und Clara sind guter Dinge, letztere ist so gut drauf, dass sie sich langsam nachhaltig unbeliebt macht bei unseren so wohlwollenden Nachmittagsbetreuern. Wenn vor vier Jahren Stella die renitente und kaum zu führende Schwester war, der Clara brav hinterhergedackelt ist, dann hat sich diese Rollenverteilung inzwischen fast in ihr Gegenteil verkehrt.
Mit der dreizähnigen Zahn-Brücke, die Clara im Rosental gefunden hat, war sie allerdings dann doch nicht so couragiert. Erst hat sie damit zwar Stella geärgert und lustvoll an die Ekel-Schwelle getrieben, nach ein paar Tagen hat sie den Fund aber doch verschämt weggeworfen.
Wusstet Ihr, dass es Euro-Münzen von 1999 gibt? Stella ist das aufgefallen, weil es ihr Geburtsjahr ist. Ich habe sie erst mitleidig belächelt, weil ich als guter Historiker natürlich weiß, dass die Währung erst 2002 eingeführt worden ist. Dann hat sie mir die Münzen gezeigt. Es stimmt wirklich, einige Länder (u.a. Frankreich und Spanien) haben die Scheiben anscheinend schon lange vorher geschlagen. So muss man als Vater immer wieder damit rechnen, dass vermeintliche Gewissheiten auf den Kopf gestellt werden. Wenn ich den Kindern allerdings sage, dass sie die Münzen aufheben sollen, bis sie mal Sammlerwert haben, dann wird dasselbe passieren wie mir damals in Berlin mit einem fast echten polnischen Zwei-Mark-Stück, das immer wieder durch den Automaten gefallen war. Irgendwann hat man es vergessen und dem Zahlungskreislauf wieder zugeführt.

Servus Anja

Die Perle verlässt uns schon wieder. Damit muss man leider rechnen, wenn man weit überqualifiziertes Personal einstellt. Sie hat einen richtig guten Job angeboten bekommen.
Nun können wir Anjas letztes Geheimnis lüften. Sie hieß bei uns nicht immer nur „die Perle“. Es gab Situationen, in denen ihr Ordnungssinn mit gewissen Kinder-Idiosynkrasien kollidierte. Es muss einer dieser Konflikte um gewaschene Lieblingsschnuffeltücher oder entmüllte Jackentaschen gewesen sein, der Stella zu der entrüsteten Stellungnahme veranlasste: „Anja ist keine Perle, Anja ist eine große schwarze Bowling-Kugel!“
Jetzt müssen wir eine Nachfolge finden, die in große Fußstapfen tritt. Anja hat die Messlatte für eine Haushalts-Allrounderin mit Händchen für Kinder sehr, sehr hoch gelegt.
Danke, Anja, und viel Glück!

Sonntag, 20. April 2008

Sport in der Provinz

Gretas Leukozyten haben sich dann doch überraschend schnell erholt, Dienstag werden Stammzellen abgesammelt. Die Kleine ist wieder gewohnt munter, allerdings auch biestig und voller Gewaltphantasien („werf dir brennende Kugeln an den Kopf“). So sehr sich alle über das Wiedersehen mit Annalena gefreut haben (die vier Eltern haben einen fröhlichen Abend in der Feuerbachstraße verbracht), Greta ließ sich nicht vereinnahmen und verhielt sich heute ziemlich unkollegial. Dafür sind ihre Wutanfälle klar zurückgegangen. Sie entwickelt sich tatsächlich altersgemäß, auch sprachlich.
Mich hat sie an diesem Wochenende erstaunlich gut angenommen. Der gestern geäußerte Wunsch: „will mit dir einschlafen“ hat Seltenheitswert. Konkret wurde es aufgrund ausgedehnten Nachmittagsschlafes der bisher längste Abend in der Klinik. Na gut, die letzte halbe Stunde am Bett gehörte der Verlängerung des Pokalfinales, und Greta schlief schon. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.
Während Steffi die Pferdchen bewegt hat, waren die Großen heute mit Ute im Zoo und wären fast schon um vier ins Bett gegangen. Darüber hinaus haben wir jetzt nicht nur eine Perle, sondern auch eine Super-Nana. Ellen ist von den Großen prima aufgenommen worden. Nun sollte das Greta-Team erst einmal stark genug sein.
Stella hat ein passables Diktat geschrieben und schon wieder diese „Kopfnoten“ erhalten. Betragen Zwo minus. Ich bin ehrlich froh, dass es nicht besser ist. Die Große hat derweil ihre eigene Gehschule entdeckt. Marlenes Papa nahm sie zum Joggen mit, und angeblich hat sie eine halbe Stunde durchgehalten. Sie ist begeistert und möchte das weitertreiben. Ich staune und werde das natürlich gerne aufnehmen. Vielleicht will sie dereinst am Leipziger Stadtmarathon teilnehmen, der heute stattfand. Im letzten Jahr sind 524 LäuferInnen ins Ziel gekommen, die schnellste Frau war sechs Minuten langsamer als ich vor fünfzehn Jahren in Berlin. Dagegen kann der Braunschweig-Marathon glatt mit New York konkurrieren. Dass man dafür überhaupt das Verkehrschaos in Kauf nimmt.
Wer freilich glaubt, dass Leipzig Sport-Provinz sei, der irrt. In der DDR wurden konsequent Schwerpunkte gesetzt. Wer hier etwas auf sich hält, schickt sein Kind heute noch zum Turmspringen, zum Schwimmen oder zum Frauen-Handball.

Leidensgenossen

Ein unbekannter Kollege aus Stuttgart hat ein Neuroblastom-Kind, Stadium IV. Sie haben auch einen Internet-Auftritt, den die Mutter füttert. Dieser heißt sogar ganz ähnlich.
Der kleine Nick hatte in der Klinik neulich Besuch von Mario Gomez. Vermutlich wird er später sagen: Allein dafür hat sich der ganze Aufwand gelohnt. In dieser Hinsicht haben wir dann doch einen Standort-Nachteil. Die Leipziger Fußball-Prominenz würde (auch) die Kinder der KiK 4 nicht wirklich voranbringen.
Der tapfere Nick hat während der Superchemo entschlossen die Schere genommen und seinen Katheterschlauch durchgeschnitten. Trotzdem soll er in der nächsten Woche, ein Jahr nach der Diagnose, wieder in den Kindergarten gehen. Wir nehmen uns ein Beispiel daran und wünschen ihm alles Gute!

Dienstag, 15. April 2008

Reserven stark beansprucht

Greta ist in der Klinik, ihr Blutbild dauerhaft zu schlecht für Heimurlaub. Anscheinend ist das ein langfristiger Trend, weil die Reserven jetzt langsam erschöpft sind. Da ist es fast tröstlich, dass die Chemotherapie jetzt ohnehin durch die Operation und die danach notwendige Rekonvaleszenz (ca. 4 Wochen) für längere Zeit unterbrochen wird.
Stella geht derweil zur „Gehschule“, das heißt, sie sucht Physiotherapeuten auf, um ihren Bewegungsablauf zu optimieren. Wer hat uns bloß diese Termine noch aufgedrückt? Wenn ich zuhause sage, es sei ganz normal, dass Mädchen X-Beine haben und folglich völlig egal, dann kriege ich Ärger. Wenigstens macht es dem Kind Spaß.
Clara hat Husten und war heute den zweiten Tag nicht im Kindergarten. Das stört das System gleich empfindlich. Trotz heldenhaften Einsatzes zweier Freunde muss nun auch meine Arbeitszeit wiederholt dran glauben. Heute Abend stellt sich bei uns eine Dame vor, die hoffentlich dauerhaft unser stark angespanntes Netzwerk verstärken kann.
Steffi ist leicht erkältet, Greta natürlich ebenfalls, ich inzwischen auch. Und dann dieser Dauerregen.

Sonntag, 13. April 2008

Sauberes Fahrrad

Gretas Blutwerte sind unterirdisch, was nicht weiter verwunderlich ist. Deshalb muss sie in der Klinik bleiben. Mit den Großen war ich im Zoo, wir haben eine neue Familien-Jahreskarte erstanden, was in jedem Fall eine gute Investition ist.
Was soll ich sagen? Just gestern haben Stella und Clara doch mein Fahrrad geputzt – für einen Euro pro Nase, was ein fairer Preis ist. Das Geld haben sie dann wieder im Zoo angelegt.
Friedlicher Wochenausklang in der Badewanne. Auch Claras Laune ist wieder hergestellt, nachdem wir eines ihrer liebsten Schnuffeltücher bei den Schuhputzlappen gefunden haben.

Freitag, 11. April 2008

Freigang

Greta ist nach neun Tagen Klinik wieder zuhause, eine Erleichterung für alle Beteiligten. Die vergangene Woche war hart, weil Stella unpässlich und zweimal nicht in der Schule war. Die beiden Feuerwehrbetreuerinnen hatten keine Zeit, bei Nachbars war Scharlachverdacht, so dass am Ende doch meine Verlagspräsenz touchiert wurde.
Umso fröhlicher ist Clara. Das Wetter ist zwar immer noch nicht als gut zu bezeichnen, aber die Naturgruppe vom Kindergarten marschiert täglich in den Park. Die Kinder suhlen sich im Schlamm, das kann man getrost wörtlich nehmen. Und da sie dabei ein anderes Temperaturempfinden haben als normale Menschen (nämlich so gut wie gar keines), sind sie auch noch glücklich dabei. Da der Schlamm genau auf meinem Weg zur Arbeit liegt, müsste ich derzeit mein Fahrrad zweimal in der Woche putzen. Leider ist es mir noch nicht gelungen, diese Tätigkeit meinen Töchtern nahezubringen.
Greta ist jetzt offiziell zu hundert Prozent schwerbehindert, was allerlei Annehmlichkeiten für die Familie mit sich bringt. Wer das Kind mit einer Mütze auf dem Kopf sieht, hält die Ausweishalter glatt für Betrüger. Die Temperamente eines müden Angestellten und eines ausgeruhten Klinikfreigängers sind am Freitagabend schwer in Übereinstimmung zu bringen.

Sonntag, 6. April 2008

Barocke Zeiten

Seit Donnerstag läuft der sechste Chemoblock, ein langer diesmal, acht Tage plus zwei Tage Spültropf. Greta ist nur manchmal leicht sediert und gibt ihr Essen von sich, sonst ist alles ok mit ihr. In der Nahrungsaufnahme ist sie ohnehin wählerisch, nicht nur weil sie ein weibliches Mitglied der Lenger-Schmal-Familie ist. Was hat sie am Wochenende gegessen? Die halbe Hälfte eines Nutellabrötchens, zwei Löffel Apfelmus, vier Löffel Joghurt, anderthalb Lollis, die Zunge und Zähne blau machen, eine halbe Scheibe Brot, heute früh einen Haps Ei, der prompt wieder herauskam. Besser gingen ein halber Butterkeks und zwei Äpfel, dazu über den Tag verteilt 74 kleine weiße PEZ-Bonbons, jenes phänomenale Produkt, das aus Österreich kommt und das man schon in meiner Kindheit in gleicher Form aus dem Spender ziehen konnte. Der Spültropf, der beständig läuft, enthält immer eine Zuckerlösung, so dass der Appetit von Greta nicht gar so wichtig ist.
Gestern hatte die strenge Oberschwester Dienst, das hieß: das Bett nicht verlassen, solange die Chemo läuft. Kein elterliches Essen im Krankenzimmer und: den Nachttisch aufräumen. Die Stimmung war gut auf KiK 4. Eltern und Kinder trafen sich im Spielzimmer und tauschten sich aus. An uns ging diese Stimmung diesmal weitgehend vorbei. Es gibt übrigens viele Eltern, die froh sind, wenn sie in ihrem Zimmer bleiben können. Nicht dass sie dann mit ihrem kranken Kind reden würden. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass Greta und ich im Vergleich zu vielen anderen Eltern-Kind-Pärchen die reinsten Plaudertaschen sind, das muss an Greta liegen. Ein bisschen liegt es auch an Sachsen. Was die Mitteilungsfreude anbetrifft, sind die Menschen hier definitiv keine Süddeutschen und schon gar keine Rheinländer. Selbst in Niedersachsen reden sie mehr.
Meine Sozialkontakte spielen sich zunehmend übers Handy ab. Per SMS habe ich heute erst eine Geburt beglückwünscht, dann gleich einem Hinterbliebenen kondoliert. Trotz fortgeschrittener Kommunikationstechnologie nimmt das Lebensgefühl zunehmend barocke Züge an. Leben und Tod liegen dicht beieinander, nichts ist mehr sicher. Bleibt die Ernte aus, müssen die Menschen weiterziehen. Ein alter Freund ist gerade gefeuert worden. Was haben Steffi und ich in unseren ersten 19 Jahren erlebt? Immer die gleiche Straße, fast die gleichen Nachbarn, eine Mutter, die zuhause war und einen Vater, der irgendwo in der Stadt zum Arbeiten ging. Na gut, meiner wurde eines Tages pensioniert, aber da er als Lehrer ohnehin immer schon mittags zuhause war, machte das für mich keinen Unterschied. Ansonsten über Jahre hinweg keine besonderen Vorkommnisse. Stella und Clara werden sich dereinst keine so friedliche Jugend zuschreiben können.
Die beiden Großen haben derweil gelernt, wie man mit Nutella Schokoladen-Muffins herstellt und wie man Papierflieger verschiedenster Art produziert. Ich hatte immer geahnt, dass es jenseits des Windpfeils und des Standard-Gleiters noch andere Möglichkeiten geben müsse, nun wissen wir, dass es tatsächlich noch Milan, Schmetterling, Turboprop, Libelle und viel anderes Getier gibt, welches man aus einem Blatt Papier falten kann und das dann sogar flugfähig ist. Wir haben dem Barockzeitalter doch viele Dinge voraus.