Donnerstag, 28. Februar 2008

Lichtblicke

Steffi war heute mit Greta ambulant zur Blutbildkontrolle in der Klinik. Dort bekam sie die Auskunft, dass die Untersuchung von Gretas Rückenmark nur noch eine sehr geringe Anzahl von Neuroblastom-Zellen gezeigt hätte. Das ist eine Überraschung. Und wenn ein grummeliger Onkologe ausdrücklich von einer "guten Nachricht" spricht, sind wir gerne bereit, dies zu glauben.
Auch der Befund des MRTs von Ende Januar, den wir nun schriftlich haben, klingt optimistischer als die Aussagen unserer Ärzte. Demzufolge ist der Haupttumor deutlich verkleinert, und die Knochenmetastasen sind klar zurückgegangen. Hoffen wir, dass der Trend anhält.

Sonntag, 24. Februar 2008

Wochenende zu fünft

Nein, ich möchte nicht schon wieder übers Wetter reden und meine politisch völlig unkorrekte Sympathie für die Erderwärmung ausbreiten. Aber wenn ich mit der Stadt Leipzig, in der ich aus verschiedenen Gründen auch im zweiten Jahr noch nicht ganz zuhause bin, eines verbinde, dann sind es sehr milde Spätwinter und frühe Vorfrühlinge. Fußball mit allen Töchtern auf der Rosentalwiese, die Giraffen haben zugeschaut.
Clara war gestern zum ersten Mal in ihrem Leben im Kino, mit Stella und Papa in „Die wilden Kerle 5“. Ein wirklich guter Film, mit tollen Kulissen und ganz viel Liebeskitsch. Clara hatte hinterher glühend rote Backen und war so verzaubert, dass sie fast in ein Auto gelaufen wäre. Auf der Heimfahrt hat sie dann eine halbe Tüte Popcorn auf der Rückbank verschüttet. Ganz großes Kino!
Stella hat jetzt eine Emailadresse: stella.schmal@web.de. Sie wartet zwar in erster Linie auf Post von Jimi Blue Ochsenknecht, aber sie freut sich sicher auch, wenn ihr jemand anders schreibt ...

Samstag, 23. Februar 2008

Drei Monate Behandlung

Das erste Vierteljahr ist herum, für die Hauptbetroffenen eine lange Zeit, innerhalb der letztendlichen Therapiedauer wohl eher eine kurze Etappe. Aber immerhin: dass wir von einer langen Therapiedauer überhaupt ausgehen dürfen, verdankt sich dem Umstand, dass der Patient stabil ist, der Krebs zunächst einmal eingedämmt (von „Kontrolle“ zu reden wäre freilich vermessen).
Für die Ärzte steht Greta gerade nicht im Fokus der dringendsten Aufmerksamkeit. Die Medikamente schlagen im Prinzip an, nun muss man auf Signale warten, die Indizien dafür liefern, wie der Krebs sich langfristig verhalten wird. Das ist Behandlungsroutine. In dieser Phase sind die Ärzte nicht auskunftsfreudig. Zum Glück gehören sie alle eher zu der Spezies, die lieber zu wenig sagen, als dass sie falsche Erwartungen wecken. Und augenblicklich haben sie Greta nicht voll auf dem Schirm. Deshalb sind die Gespräche im Moment besonders dürftig.
Routine ist auch für die Betreuer ein Stichwort. Nach dem tiefen Sturz der Erkenntnis folgte bei uns eine Phase sehr rascher Konsolidierung, verbunden mit vielen Aktivitäten und Initiativen, die uns das Gefühl geben konnten, die Situation auch im weiteren Sinne „in den Griff zu kriegen“. Diese Anfangseuphorie hat sich nun etwas verbraucht. Zweifel kommen, auch Geduld ist eine Ressource, die sich erschöpft. Das ist die psychologische Seite.
In der Praxis müssen wir sehr zufrieden sein. Der Alltag ist stabil, die Betreuung der Großen - vor allem durch die nicht nachlassende Hilfe aus dem nächsten Umfeld der Kindesfreunde - im Normalfall gesichert. Der Verwaltungskram mit der Barmer hat sich eingespielt. Anja, die neue Perle, ist ein Volltreffer. Die Eltern sind zwar abends noch etwas müder als sonst, zeigen aber keine akuten Verschleißerscheinungen. Der Vater hat dieses Jahr noch 34 Urlaubstage vor sich und sogar ein paar Überstunden auflaufen lassen.

Kummernummer?

Oh seliger Samstagvormittag, an dem Greta gut gelaunt zuhause ist und die Eltern sich den Luxus leisten können, Verwaltungs- und Aufräumarbeiten von niedrigem Anstrengungsgrad nachzugehen.
Offene Baustellen in unserem ausnahmezuständigen Alltag sind noch die Betreuung von Stella und Clara bei dienstlich bedingter Abwesenheit des Vaters über den regulären Arbeitstag hinaus - und die „Kummernummer“ für akute Krankheitsfälle. Denn unser System funktioniert nur, solange vier gesunde Familienmitglieder auch gesund bleiben. Vorgestern kam der erste Krisenfall, als Clara morgens fieberte und nicht in den Kindergarten gehen konnte, ich das Haus schon verlassen hatte, Steffi zu Greta in die Klinik musste. Weil Anja ohnehin den Vormittag kommen sollte und ich am Nachmittag keine wichtigen Termine hatte, war das Problem rasch behoben, aber das wird nicht immer so funktionieren.
Wir brauchen zwei bis drei Telefonnummern, nach deren Gebrauch innerhalb von höchstens zwei Stunden jemand für mindestens einen halben Tag in die Feuerbachstraße kommen kann. Das darf auch Geld kosten. Dieses Marktsegment ist in Leipzig anscheinend ganz unterentwickelt, was zunächst einmal daran liegt, dass wir im Bevölkerungsspiegel zu einer eher seltenen Gattung zählen, da wir keinerlei familiäre Angehörige vor Ort haben.
Von der Barmer haben wir dazu drei Telefonnummern bekommen. Der erste Ansprechpartner sagte sofort, dass er diese Dienstleistung nicht mehr anbiete, die zweite Nummer weckte nur eine Maschinenstimme („die von Ihnen gewünschte Rufnummer …“). Telefonnummer drei führte immerhin zu dem vagen Angebot, uns geeignete Privatpersonen zu vermitteln. Es bleibt also spannend.

Sonntag, 17. Februar 2008

Blauer Himmel, Minusgrade

Freitag habe ich Clara und Stella aus Braunschweig abgeholt. Clara war froh, wieder nachhause zu kommen, obwohl sie ebenso verwöhnt worden ist wie die Große. Stella war völlig indifferent, als ich auftauchte. Sie ist fünf Tage lang auf einer Welle der Zuneigung durch Stöckheim gesurft. Manchmal wussten wir gar nicht, wo genau sie gerade ist. Ein paar Tage lang ging sie in ihre alte Schulklasse und hat allen Ernstes Hausaufgaben dafür angefertigt. Sie behauptet, in Niedersachsen sei es leichter als zuhause.
Die Eltern sind froh, dass die Wohnung nicht mehr so ruhig ist, aber genau so froh darüber, dass die Kinder so selbstständig und kontaktfreudig sind, und dass dieses Experiment gut vonstatten gegangen ist – mithilfe der unschätzbaren Unterstützung der Braunschweiger.

Greta ist seit Donnerstag wieder in der Klinik, zum vierten Chemoblock. Am Mittwoch musste Steffi unverrichteter Dinge abziehen, weil kein Bett frei war. Das Wochenende war überwiegend Papas Betreuungszeit, und Greta hat sich tatsächlich diesmal morgens nicht beschwert über mein Kommen. Es gibt in der Klinik Kinder, die liegen den ganzen Tag einfach nur herum. Sind die noch kränker als Greta? Manchmal bin ich geneigt, die Eltern zu beneiden. Wenn sie wollten, könnten sie an so einem Betreuungstag ein halbes Buch lesen oder fünf Briefe schreiben. Die meisten wollen das gar nicht. Ich freue mich dann doch lieber an unserem nach wie vor lebhaften Kind.
Entspannung bieten die Filmphasen zwischendurch. Wer allerdings glaubt, es könnte dabei zu einem vollwertigen Kulturereignis kommen, sieht sich getäuscht. Gestern wollte Greta „Findet Nemo“ anschauen, sehr schön, dachte ich, doch nach einer halben Stunde war die Geduld vorbei. Dann kam „Silberflügel“ dran, ein ziemlich bescheuerter Fledermausfilm, der einen nicht wirklich voranbringt. 20 Minuten haben Greta gereicht. Schließlich waren „Die Wilden Kerle 4“ angesagt. Über dessen Kulturgehalt kann man streiten. Schlimm finde ich, dass die Jungs inzwischen gar nicht mehr richtig Fußball spielen. Fußball ist doch weder durch Motorräder noch durch Frauen zu ersetzen. Um so mehr gefällt der Film unseren sämtlichen Mädels, und ich war neugierig genug. Schade, denn als es richtig spannend wurde, hatte Greta überhaupt keine Lust mehr. Heute schien mir das Glück zu lachen, denn wir kamen ins Spielzimmer, als DWK 4 gerade vor anderen Eltern und Kindern ablief – unweit der Stelle, bei der wir gestern ausgestiegen waren. Prima, dachte ich und setzte mich gleich dazu. Nur dumm, dass wir höchstens sieben Minuten später zu unaufschiebbaren Anwendungen ins Zimmer beordert wurden. Wahrscheinlich werde ich mir das Ende von DWK 4 jetzt mal heimlich abends zuhause anschauen müssen.

Am Samstag war das Essen mal wieder der Hit. Morgens: Ein Brötchen und zwei Butterpakete. Mittags: Sieben Fischstücke im Möhrenspan-Gulasch. Die Tellerfächer zwei und drei mangels Gemüse beide mit Sättigungsbeilage befüllt. Immerhin bin ich satt geworden. Zum Nachtisch Joghurt und Kuchen, erstaunlich! Kurz nach der Essensausgabe ging die Schwester herum und sammelte den Kuchen wieder ein. Versehen von der Küche, der Kuchen ist für die „Vesper“ (dieses Wort ist für mich bisher der einzige Hinweis darauf, dass Sachsen in Süddeutschland liegen und katholisch beeinflusst sein könnte). Schließlich das Abendbrot: Zwei Scheiben Brot, ein Butterpaket, eine Mandarine, Schluss. Keine Wurst, kein Käse, kein gar nichts. Zum Glück haben wir immer Nutella dabei.

Montag, 11. Februar 2008

Wenig Neues

Das MRT-Ergebnis, das ich dann doch heute telefonisch bekommen habe, ist ziemlich unspektakulär und bringt wenig Neues. Die Anomalitäten im Gesichtsschädelknochen sind weiterhin verdächtig, allerdings, wenn auf den Krebs zurückzuführen, gewiss nicht neu. Beim ersten Ganzkörper-MRT hat man dort noch nicht so genau hingeschaut. Der Haupttumor ist geringfügig regredient, viel mehr sei im Moment nicht zu erwarten, sagt die Ärztin. Wir müssen uns in Geduld fassen.
Derweil legt sich Greta Decke und Kopfkissen auf den Boden, zieht die dunkle Sonnenbrille auf und spielt „wenn ich gestorben bin“. Auf Nachfrage verbindet sie nichts weiter damit, sagt nur: „In fünf Minuten bin ich nicht mehr gestorben.“
Clara in Braunschweig schwächelt etwas und gibt zu, dass sie sich auf die Eltern freut. Wahrscheinlich hole ich die beiden am Mittwoch oder Donnerstag Abend ab, übrigens ein angenehmer Job, denn zwischen Leipzig und Magdeburg fahren immer noch nicht viel mehr Autos als zu DDR-Zeiten.

Sonntag, 10. Februar 2008

Vorfrühling

Stella und Clara machen gerade das Abenteuer ihres Lebens durch, denn sie sind für fünf Tage im Braunschweiger Süden, ohne Eltern bei guten Freunden aus dem vormaligen Schul- und Kindergartenumfeld. Wahrscheinlich werden wir uns jetzt fünf Tage lang Sorgen machen, ob sie das aushalten, und wenn wir sie abholen, wird das Geschrei groß sein, weil sie schon wieder nachhause müssen. Braunschweig-Stöckheim, mit dem Zoo in der Mitte, sah gestern aus wie ein großer Kinderfreizeitpark. Alle waren draußen und taten so, als sei Frühling. Für Winterdepression ist wirklich keine Zeit. Zum Glück schreitet die Erderwärmung fort, den halben Weg zum Äquinoktium haben wir ebenfalls schon wieder geschafft. Das dunkelste Viertel des Jahres liegt hinter uns. Und Karneval ist auch vorbei.
Wer glaubt, dass in die Feuerbachstraße nun Ruhe eingekehrt wäre, sieht sich getäuscht, denn Greta ist immer noch zuhause und wird es wahrscheinlich bis zum 13.02. bleiben, wenn der vierte Chemo-Block beginnt. Sie ist munter und hat keine Beschwerden. Natürlich wäre sie am liebsten mit nach Braunschweig gefahren.
Nein, es gibt immer noch keine Informationen über die letzten MRTs. Das beunruhigt uns deshalb wenig, weil wir inzwischen wissen, dass die Ärzte auch gute Informationen zurückhalten. Ich glaube, „Kommunikation mit Patienten und Angehörigen“ kann man im Medizinstudium als unbenotetes Wahlfach einstündig belegen, aber nur dann, wenn man nicht in eines der drei Pflichtfächer muss, die zeitgleich angeboten werden. Wenn eine Medizinstudentin im Hörsaal das Wort „Öffentlichkeitsarbeit“ hört, weiß sie immerhin sofort, dass sie im falschen Gebäude und in der falschen Fakultät gelandet ist.
Im Grunde finde ich es ja sehr sympathisch, dass diese Ärzte so introvertiert sind und sich ausschließlich um die Kernanliegen ihres Jobs kümmern, trotzdem macht es mich kribbelig, dass die Standardtools des normalen Berufslebens, wie Telefon, E-Mail und regelmäßige Besprechungen, im Krankenhaus so wenig zur Anwendung kommen.
Steffi ist da völlig entspannt und meint, die Informationen, die wir jetzt kriegen oder nicht kriegen, ändern sowieso nichts an Krankheitsverlauf und Behandlung.

Sonntag, 3. Februar 2008

Karneval in Leipzig

Es hätte ein ruhiger Ausklang des Wochenendes werden sollen, nachdem die drei Schmal-Mädchen zwei Tage lang von den drei Rath-Jungens aus Köln verwöhnt worden sind. Steffi stand heute Vormittag schon im Reiteranzug bereit, da bekam Greta Nasenbluten und wurde in die Klinik beordert. Weil sie morgen ohnehin zum Kopf-MRT muss, bleibt sie gleich dort. Die Pferde muss derweil jemand anders füttern. Sie werden es überleben. Zum Glück ist der Vater nach überstandener Erkältung heute früh wieder in die Laufspur gekommen.
Auch in Leipzig gibt es Karneval. Das hat uns gerade noch gefehlt. Pappnasen in den Gesichtern und Scherben auf den Fahrradwegen. Die Innenstadt war ziemlich verstopft, zumal bei dem schönen Wetter. Wenn ich den Leuten gesagt hätte: Lasst mich mal durch, ich muss zu meinem Kind in die Krebsklinik, hätten die das wahrscheinlich geschmacklos gefunden.
Im Übrigen konnte ich diesmal gleich wieder umdrehen, weil Greta die Wachablösung überhaupt nicht akzeptieren wollte. Und Wutanfälle müssen wir im Moment vermeiden, denn die Kleine ist nah am absoluten Zelltief. Der nächste, vierte Chemoblock soll am 13.02. beginnen. Bis dahin wird sie sicherlich noch einige Tage nachhause kommen.
Schwägerin Susanne ist mit Anna zu Besuch. Drei große Mädchen füllen jeden Raum der Wohnung mit Lebensfreude.