Sonntag, 30. August 2009

Hier kommt Alex

Wir haben den Wahl-Sonntag allesamt geruhsam zuhause verbracht, Freitagmittag kam unerwartet die Beurlaubung übers Wochenende. Ich war fast etwas enttäuscht und wusste gar nicht recht, was ich anstellen sollte mit der vielen freien Zeit jenseits des geregelten Klinik-Dienstes.
Nun fangt ihr sicher an, am Ernst der Lage zu zweifeln, das vierte freie Wochenende im August, wie ist das möglich? Nach anfänglichen Problemen mit der zweiten Chemo haben sie das Medikament gewechselt und den Block am Donnerstag beendet. Das ist nicht weiter von Belang, auch die geringere Dosierung wird ausreichen, die Leukämie bis zur Knochenmarkstransplantation in Schach zu halten. Ein Zelltief kommt wohl trotzdem, aber noch nicht jetzt, und deshalb sind wir zuhause.
Greta ist gut drauf, fröhlich im Kreis ihrer Freunde und Schwestern, isst halbe Pfannkuchen und versteht nicht, warum sie nicht in den Zoo darf. Ihr Sonntags-Hobby: Schreibmaschine-schreiben. Ich habe nämlich eine wunderbare Continental von 1923, bei der man bloß mal das Farbband erneuern muss. Die hat Greta entdeckt. Sie weiß auch, dass das im Prinzip das gleiche Gerät ist wie jenes, das im „Leben der Anderen“ eine zentrale Rolle spielt. Und sie weiß auch, dass man dort nicht Salz hineinstreut, wie es ihr Vetter vor zehn Jahren tat, sondern dass man damit schreiben kann. Ob sie dies wohl noch richtig lernen wird?
Clara hat gerade ein besonderes Problem in der Schule. Wie jeder weiß, ist sie ein bewegungsfreudiges und –fähiges Kind, das seit Jahren schwimmt wie ein Fisch im Wasser. Nun kommt sie Dienstags immer heulend nachhause, denn sie hat Dienstags neuerdings Schwimmen. Nach den ersten Stunden hat der Trainer Clara und viele andere in die Nichtschwimmergruppe eingestuft. Der Grund ist ihre angeblich mangelhafte Beinarbeit (nein, Clara hat keine X-Beine!). Die Schwimmstunde wird nicht von der Schule gestaltet, sondern von einem Sportverein. Der Verein hat andere Ziele als die Schule und als wir. Der Trainer sagt: Wenn du es jetzt nicht lernst, deine Füße richtig zu bewegen, wirst du niemals einen Weltrekord schwimmen. Dafür müssen die „Nichtschwimmer“ Trockenschwimmübungen auf nackten Kacheln machen, bis die Knie bluten, werden angebrüllt, geschlagen und mit kaltem Wasser abgespritzt. Am Ende des Schuljahrs, glaube ich, kriegen die verbliebenen Nichtschwimmer einen Mühlstein um den Hals gehängt. Das muss man erst mal schaffen, Clara die Lust am Schwimmen zu verleiden! Wir werden der Sache nachgehen. Bei Stella gab’s vorletztes Jahr auch schon Ärger mit der Schwimmerei.
Derweil ist Red Bull Leipzig ganz gut in die Spur gekommen und steht schon auf Platz eins. Sollte der erste Aufstieg tatsächlich schon in der ersten Saison stattfinden, wird sich personell einiges tun. Ich habe vorgestern beim Leipziger Manager-Skat im Auerbachskeller neben dem Präsidenten des ehemaligen SSV Markranstädt gesessen, und der hat aus dem Nähkästchen geplaudert. Wenn RasenBall aufsteigt, holen sie für die nächste Saison Alexander Zickler und Thomas Linke, außerdem Fredi Bobic und fürs Tor Georg Koch. Und der Trainer? Ihr werdet es nicht glauben: Aleksandar Ristic soll Leipzig in die Championsleague führen und wird gerade vom KFC Uerdingen abgeworben. Das ist natürlich alles noch top secret, aber in ein paar Wochen werdet ihr davon sowieso in den Zeitungen lesen.

Sonntag, 23. August 2009

Zu früh gefreut

Der zweitägige Besuch in Jena zeitigte zwei Blutbilder, eine Urinprobe und eine Chefbesprechung, zweifellos ein mageres Resultat. Man hätte uns auch Montag früh anrufen und mitteilen können, dass es doch nichts wird mit der Knochenmarkstransplantation. Dem unmittelbar vorausgegangen war wohl die Entscheidung für den besten Spender, den Ami, und dafür, längere Wartezeit in Kauf zu nehmen. Wir erfahren über Details aus dem Verfahren und über den Spender nichts, da sind hohe Persönlichkeitsrechte zu wahren, das ist richtig so.
Nun gibt es doch eine zweite Chemo in Leipzig, stationär verabreicht, aber gegenüber dem Therapieplan in reduzierter Dosierung. Das Risiko, drei bis vier Wochen gar nichts zu tun und auf die KM-Spende zu warten, wäre zu hoch gewesen.
Es ist mühsam. Greta bekommt seit Freitag Zytarabin, und am Samstag gab es schon eine Krise. Der Blutdruck sackte ab, neben dem Fieber reagierte auch die Haut auf das Medikament, welches nun, nach Unterbrechung, zeitlich gestreckt verabreicht wird. Ein Umzug auf die Intensivstation wird einkalkuliert.
Nachdem Greta gestern Vormittag sehr in den Seilen hing, hat sie sich seitdem wieder deutlich stabilisiert und war heute zum Maumau-Spiel fähig. Sie kann nun auch bis fünf zählen, also die Karten ordnungsgemäß verteilen. Bis heute Mittag waren wir im Zweier-Zimmer, was eher anstrengend ist (Fernsehen von früh bis spät). Die kleine Kommilitonin weinte bitterlich, als sie erfuhr, dass sie wieder nachhause muss. Ich habe Greta gleich erzählt, das sei normal.
Unsere Terminplanungen für den Spätsommer sind erst mal wieder hinfällig. Mit Jena wird es vor Ende September nichts werden. Trotzdem brauchen wir eure Unterstützung, weil ich im September einige Dienstreisen unternehmen muss.
Als Krebs-Patient oder Angehöriger braucht man viele Freunde und Helfer. Zum Glück sind wir damit gesegnet. Zwei Sorten von Beratern kann man allerdings weniger gebrauchen. Zum einen die Totalverweigerer der Schulmedizin, die dir ungefähr sagen: „Klinik? Da gehst du gesund rein und kommst tot wieder raus. Besser, ihr lasst die Zivilisation hinter euch, fahrt nach Madagaskar und fresst nur noch Steppengras.“ Diese Haltung ist wenig zielführend und in unserem Bekanntenkreis praktisch nicht vorhanden. Auch nicht viel besser sind die selbsternannten Bauleiter, die Ärzte als Handwerker betrachten, die das Wohnzimmer tapezieren, und sofort Klage einreichen, wenn mal was nicht klappt: „dagegen müsst ihr doch was machen!“. Als ob Gretas Therapie mit den Maßstäben normalen Projektmanagements zu messen wäre. Wir brauchen Ruhe für uns und Vertrauen in die Ärzte. Bisher haben sie dies verdient.

Sonntag, 16. August 2009

Jena, wir kommen!

Morgen fahren Greta und Steffi nach Jena, das Kind muss umfangreiche Untersuchungen über sich ergehen lassen. Ob sie dann schon dort bleiben, ist nicht sicher, aber es wird sehr bald losgehen mit der Knochenmarkstransplantation. Zwei Spender (der Deutsche und ein Ami) sind „aktiviert“ - was immer das genau heißt. Die Remissionsbedingungen sind nach wie vor erfüllt, das hat die Knochenmarkspunktion am Montag ergeben.
Auf die zweite Chemo wird verzichtet, obwohl sich Gretas Blutbild zuletzt kräftig erholt hat. Der gesundende Lebenssaft hat ihr zu einem weiteren Energieschub verholfen. Ich komme Freitag Abend ins Wochenende und werde mit lautem Geschrei begrüßt und drei herzhaften Tritten vors Knie. Das soll heißen: Papa, du musst jetzt das ganze Wochenende mit mir spielen! Aber das geht dann doch nicht, auch wenn es der krebskranke kleine Liebling ist. Die Vorstellung, dass Greta aufgrund ihrer Erkrankung momentan erst auf 80 Prozent Performance sein könnte, ist beinahe erschreckend. Auch der Selbstschutz gehört zum Alltag der Erwachsenen.
Greta hat bei unserem Zahnarzt einen Separattermin vorgestern, Freitag um 19:00 Uhr bekommen, da die Zahnsanierung zu den unausweichlichen Vorbereitungen für Jena gehört und Greta nicht eben viel Zähne geputzt hat in den letzten Monaten. Habe ich eigentlich schon erzählt, dass das Ehepaar Zipf einen ausgezeichneten Zahnarztjob macht? Kronen sitzen für die Ewigkeit, und die kommen dort selbst mit Greta klar. Bedauerliche Irrwege hatten uns ja vorher in eine „ästhetische Zahnarztpraxis“ geführt, wo die Plomben gleich wieder rausgefallen sind.
Schöne offene Szenerie im wochenendlichen Sommerwetter. Stella hat mehrfach aushäusig übernachtet. Freies Spiel mit Freundinnen im Hof. Besuch aus Hildesheim, Steffi bei den Pferden.
Wir sind leidlich ausgeruht, die Betreuungsfrage für dienstlich anspruchsvolle Phasen ist weitgehend geregelt, der Jena-Stress kann losgehen. Die Entwicklung ist sehr positiv, wir dürfen kräftig hoffen, dass Greta weiter durchhält.

Sonntag, 9. August 2009

Schule geht los

Der zweite Chemo-Block hat auch Freitag nicht angefangen. Diese Verzögerung ist aber weniger beunruhigend, als wir zuerst vermuteten. Die Notwendigkeit des zweiten Blocks steht zur Debatte. Der erste Chemo-Block war erfolgreich, die für eine Knochenmarkstransplantation erforderliche Remission ist geglückt und muss nun vor allem gehalten werden. Es kann sein, dass Greta dafür erst mal eine leichte Chemo in Tablettenform bekommt. Morgen wird eine Knochenmarkspunktion genaue Auskunft über den Stand der Tumorzellen geben.
Diese Überlegungen werden maßgeblich von der erfreulichen Tatsache beeinflusst, dass bereits vier Knochenmarkspender gefunden wurden, einer davon aus Deutschland und drei aus den USA. Der Deutsche passt nicht ganz optimal, sein Material könnte aber rasch zur Verfügung stehen. Bei den Amerikanern würde es länger dauern, obwohl ich mir nicht recht vorstellen kann, dass irgendwelche Präparate mit dem Schiff transportiert werden müssen. Das amerikanische Knochenmark hätte den Vorteil, sagen die Ärzte, dass Greta später sehr viel schneller Englisch lernen würde. Das finden wir natürlich prima.
Von konkreten Terminen redet zwar nach wie vor niemand, aber wir haben doch das Gefühl, dass die Dinge in positiver Bewegung sind. Greta ist es übrigens auch, von morgens bis abends und bei dem schönen Wetter sowieso. Am Donnerstag freilich wurde die Laune arg getrübt, weil der Racker barfuß im Gras auf eine Wespe getreten ist. Unsere Ansprechpartner auf der KiK 4 waren davon zum Glück wenig beeindruckt.
Alles in allem war diese letzte Schulferienwoche eine wirklich schöne Leipzig-Woche. Nun weiß ich auch, wer Gontard und Frege waren, was es mit dem Gut Mockau auf sich hat und warum es neben der Mockauer Straße eine wunderschöne kleine Backsteinsiedlung gibt. Open Air Kino und Grill-Romantik gab es auch wieder. Heute Mittag habe ich mit vier Mädchen Muffins gebacken, was eine sehr fröhliche Veranstaltung war, vor allem als Paula versucht hat, das hartgekochte Ei in den Teig zu schlagen.
Wir gehen also gestärkt und guter Dinge in die neue Schulsaison. Hoffen wir, dass uns Scherereien mit der Schweinegrippe erspart bleiben. Unser Anrufbeantworter geht wieder. Der Speicher der FritzBox war voll. Da muss man erst mal drauf kommen.

Mittwoch, 5. August 2009

Sommerferien in Leipzig

Steffi und Greta sind heute ebenso nachhause geschickt worden wie am Montag. Der Leukozytenwert ist immer noch (knapp) zu gering. Wahrscheinlich bekommt Greta am Freitag Thrombozyten verabreicht, und Anfang nächster Woche geht es mit der zweiten Chemo los. Die Warterei zerrt an den Nerven.
Immerhin hat die erste Datenbank-Anfrage gleich zwei potenzielle Spender gebracht, die von der Grobtypisierung her schon mal passen. Durch dieses Raster waren ja alle Familienmitglieder durchgefallen. Vielleicht haben wir in dieser Hinsicht Glück.
Montag waren wir zu dritt in Harry Potter sechs. Das Regina ist unser Lieblingskino, schon weil man direkt mit der Straßenbahn vorfahren kann. Dort gehen halt die Leipziger hin, die sich Kino noch leisten können, und das reicht offensichtlich nicht dafür, die Fassade zu renovieren. Aber unrenoviert sieht es sowieso besser aus. Stella und Clara waren sehr begeistert. Ich eigentlich auch. Dadurch dass wir kein TV haben, sind wir noch ganz naive und unverbrauchte Kinogenießer.
Gestern und heute waren wir im Freibad. Du meine Güte, bin ich lange nicht mehr im Freibad gewesen! Clara meint, ich sei dünn. Das finde ich nett von ihr. Sie weiß ja nicht, wie ich vor zwanzig Jahren aussah, als ich noch öfters Schwimmen ging. Hier gibt es viele dicke Menschen im Freibad und rauchende Mütter. Gleich am Eingang lag eine tote Maus mit großen grünen Fliegen darauf. Überhaupt gibt es in Leipzig viele tote und lebendige Nagetiere, auch Beutel- und Kanalratten, die bis zu einem halben Meter lang werden. Kinderschänder waren gerade nicht im Freibad, die gibt es ja sonst auch viel in der Gegend. Eigentlich war wenig los dort. Ich weiß nicht, ob das daran lag, dass eine Großbaustelle drum herum ist, so dass man kaum den Eingang findet, vielleicht lag es auch an der Wassertemperatur von 15 Grad, die immerhin für ein einigermaßen leeres Schwimmerbecken sorgt. Natürlich sind das andere Verhältnisse als in den Hallenbädern der Kurklinik Bad Oexen. Es gibt aber doch einen Kiosk, der sogar mehrere Eissorten vorrätig hält. Und die Bratwurst erfreut sich eines so guten Rufs, dass auch die umliegenden Bauarbeiter dort Mittag machen. Die Flasche Bier kostet zwei Mark zehn. Das Schreberbad ist also wirklich sehr romantisch, und wir werden bei nächster Gelegenheit wieder hingehen.

Sonntag, 2. August 2009

Sommerloch bald vorbei

Greta ist zuhause. Die Leukozyten sind wieder gesunken, so dass die zweite Chemo am Freitag nicht beginnen konnte. Diese Verzögerung im Therapie-Protokoll ist riskant, aber mit solchen Hängepartien werden wir jetzt dauernd leben müssen. Immerhin waren die Blutwerte zwischenzeitlich ausreichend für die Feintypisierung, die nun in Ulm vorgenommen wird.
Nebenprodukt war ein geselliges Familienwochenende, denn gestern kamen die Schwiegereltern mit Stella und Clara im Gepäck aus Kiel. Die großen Mädchen strotzen vor Gesundheit und Selbstvertrauen. Man mag sie gar nicht wieder in unseren beladenen Alltag zurückzwingen. Eine Woche Schulferien haben sie noch, und ich hab eine Woche Urlaub. Der Freibadbesuch wird die Ausnahme sein, vielleicht ist wenigstens Harry Potter Sechs drin.
Heute Mittag standen überraschend auch noch alte Nachbarn aus Hannover vor der Tür, war das ein Hallo! Wir hatten uns fünf Jahre nicht gesehen, aber zum Glück liegt Leipzig auch zwischen der Schweiz und Berlin genau auf dem Weg.
Morgen geht Greta wieder in die Klinik. Blutbild, Lumbalpunktion und Knochenmarkspunktion. Eventuell eine Tüte Thrombozyten, dann fängt hoffentlich die Chemo an. Wenn alles gut geht, sind wir im September wieder in Jena. Wir müssen uns auf Jena freuen. Ich freue mich auch wirklich auf Jena. Eigentlich war es da ganz gemütlich, die Wochenenden mit Greta in der Isolierkammer kleine Kurzurlaube. Cola gratis bei Ronald McDonald’s. Wichtig ist, das richtige Buch dabeizuhaben. Den Ulysses habe ich hoffentlich lange vorher durch, die Lektüre verkommt zur Pflichtübung. Wer ist bloß so gescheit, dass er ernsthaft profitiert von diesem Buch?
Die neue Perle hat ihren Dienst aufgenommen, und sie ist wirklich eine Perle. Sie heißt Sandra, wischt am liebsten barfuß und zögert nicht, abgelaufene Lebensmittel aus dem Kühlschrank wegzuwerfen. Es macht wieder richtig Spaß, nach der Arbeit in die Wohnung zu kommen.
Bayern hat den Sechstligisten dann doch noch bezwungen. Morgen wird Fortuna an alte Pokal-Traditionen anknüpfen. Endlich wieder Fußball. Wie mir dieses ganze Freundschaftsspiel-Tour-de-France-und-Formel-eins-Gedöns zum Hals heraushängt!