Sonntag, 20. Juli 2008

Wer betreut die Eltern?

Mit dem friedlichen Wochenende zuhause ist es nichts geworden. Gretas Blutwerte waren so schlecht, dass sie sie am Freitag gleich in der Klinik behalten haben. Vielleicht kommt sie morgen heraus, vielleicht auch nicht. Ansonsten haben wir Behandlungsferien bis zum 30.07. Dann findet die Szintigraphie statt, am Tag drauf die zweite Messung, am 01.08. schließlich ein Ganzkörper-MRT, dreimal hintereinander Narkose. Danach werden wir mehr wissen, sowohl über Gretas Prognose als auch über die konkret anstehenden Behandlungsschritte. Uns ist etwas unheimlich zumute. Wir hatten uns so schön eingerichtet in der gut laufenden Chemotherapie. Man tut seine Pflicht als Betreuer und denkt, durch Fleiß kommt man schon irgendwie ans Ziel.
Die intensive Elternbetreuung kranker Kinder in der Klinik ist ein ziemlich neues Phänomen. Vor fünfzig Jahren wurden die Eltern regelrecht verbannt, weil die Kinder sich an die Umgebung gewöhnen und dort parieren sollten. In meiner Kindheit gab es Besuchszeiten von wenigen Stunden pro Tag. Heute werden die Angehörigen aktiv mit einbezogen in die Therapie. Die Frage ist, ob die Kosten für den vergrößerten Raum, der jedem Kind zur Verfügung steht, durch Sparmaßnahmen am Personalbetreuungsschlüssel wieder hereingeholt werden.
Das Konzept „Krankenpflege durch Eltern“ ist so neu, dass die Krankenkassen eigentlich nur für jene Phasen die Haushaltshilfe und Geschwisterkinderbetreuung bezuschussen, in denen der Patient nicht in der Klinik ist. Denn wenn er in der Klinik ist, so die Logik des herkömmlichen Modells, ist er ja voll betreut, und die Eltern können sich zuhause um alles andere kümmern.
Es gibt übrigens auch im Krankenhaus immer noch viele Kinder, die halbe Tage alleine sind und nur gelegentlich von den Schwestern bespaßt werden. Auch solche Kinder werden mitunter gesund. Ob es zum Thema „Abhängigkeit des kinderonkologischen Therapieerfolgs von sozialen Faktoren“ schon Langzeitstudien gibt? Für sachdienliche Hinweise wäre ich dankbar. Inzwischen glauben wir einfach an diese Abhängigkeit und sind weiter fleißig.
Greta ist ziemlich ruhig und isst wenig. Wir haben gestern ein paar neue Spiele ausprobiert. Ich habe Domino gelernt, was gar nicht so banal zu sein scheint. Die ersten 43 Jahre meines Lebens habe ich dieses Spiel immer nur mit reihenweise umfallenden Klötzchen in Zusammenhang gebracht. Stella und Clara geht es hervorragend in Kiel. Es ist sehr ruhig in der Wohnung. Wenn ich Kinder im Hof höre, werde ich etwas wehmütig.
Gestern auf heute war lieber Besuch aus Österreich da, dem wir freilich viel zu wenig gerecht werden konnten. Ich habe heute Vormittag Stadtführer gemacht, meinen Stadtplan vergessen und mich prompt verlaufen. Das Cicerone-Naturtalent war ich noch nie, aber in dieser Stadt bin ich doch auch nach anderthalb Jahren bemerkenswert fremd. Die Gründe dafür sind bekannt. Ich arbeite daran, endlich Nikolai- und Thomas-Kirche auseinander zu halten und das Gewandhaus vom Opernhaus zu unterscheiden. Ansonsten Feuerbachstraße statt Auerbachs Keller.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Lieber Stefan, ich kann dir zwar nichts zu dem Faktor Elternbetreuung inder modernen Krebsforschung sagen, aber andersrum gibt es ja auch der Kinderprsychologie schon Studien seit mehr als 100 Jahren über Hospitalismus, d.h. darüber, daß Kinder krank werden, nur weil sie in Heimen zu wenig individuelle Betreuung haben und daß das bis zum Tod führen kann. Und aus diesen Ergebnissen zieh ich den Schluß, daß Kinder bessere Heilungschancen haben, wenn sie die enge Betreuung durch ihre Eltern genießen können, daß umgekehrt der Heilungsprozeß zumindest verlangsamt wird, wenn man die Eltern von den Kindern fernhielte. Und du hast doch auch mal recht anschaulich beschrieben, wie wichtig es für Greta war, daß ihr nach der OP bei ihr wart.
Ganz abgesehen davon bin ich überzeugt, daß bei allen Krankheiten der Heilungsprozeß durch positive Emotionen gefördert wird und dazu gehört einfach eure ANwesenheit, aber auch so schöne Erlebnisse wie Greta sie in letzter Zeit in irer Familie und bei den Pferden hatte - weit weg von dieser Krankenhausatmosphäre.Und aus diesem Grund geh ich schon davon aus, daß bei Greta die Heilungschancen durch all die Zeit und Energie, die ihr dabei investiert erhöht wurde. Und ich hoffe sehr, daß sich das bald bei euch auch dokumentieren läßt durch gute Ergebnisse bei Szintigrafie und MRT.
Ich hoffe sehr, daß ihr drei die nächsten Tage die Klinik nicht sehen müßt.

Liebe Grüße
Doris