Sonntag, 18. Mai 2008

Neues aus der Einzelhaft

Die Intensivstation ist eine Art Isolationshaft für Kind und Betreuung. Einzelzimmer, kein Kontakt mit anderen Eltern, geschweige denn mit anderen Kindern, möglichst nicht telefonieren, kein Essen, Fernsehen/Film auf Wunsch, wenn das fahrbare Gerät frei ist. Mit Ruhe hat das freilich wenig zu tun. Die pflegerischen Anwendungen sind ausführlicher und häufiger, außerdem steht die Tür immer offen, und man nimmt von Weitem teil am Gewusel der ganzen Kinder-ITS. Gestern wurde viel geschrien. Ein benachbartes Kleinkind brachte es am Abend auf drei Stunden am Stück.
So ein Tag zieht sich, wird nicht einmal von den üblichen Krankenhausmahlzeiten unterbrochen. Greta hat seit der Operation noch nichts gegessen und getrunken, weil das den Bauchraum zu sehr reizen würde. Dort liegt auch noch der Drainage-Schlauch, der uns davon abhält, auf die KiK4 verlegt zu werden. Das kann noch ein paar Tage dauern. Aber immerhin ist die Thorax-Drainage heute entfernt worden, zuvor schon die Magensonde und die Beatmung.
Greta ist wach und ansprechbar, bewegt sich, setzt sich hin, malt zuweilen. Trotzdem ist sie noch lange nicht die Alte. Mit großen traurigen Augen schaut sie einen an und scheint dauernd zu fragen: Warum tut ihr mir das alles an? In den letzten zwei Wochen muss ihr jemand den Ernst des Lebens erklärt haben. Sie spricht wenig, die Frage nach ihrem Alter kann sie nicht beantworten, wohl aber die nach den Namen ihrer Schwestern. Die Anwesenheit des Vaters hat sie an diesem Wochenende widerspruchslos akzeptiert. Sie ist zärtlich und anhänglich, sich ihrer Hilfsbedürftigkeit voll bewusst. Noch steht sie unter Drogen: starken Schmerzmitteln und Sedativa.
Die wache Passivität lässt sich nur mit einem füllen: mit Vorlesen, das sie ständig einfordert. So viel habe ich noch nie am Stück vorgelesen. Viermal „Armer Pettersson“, dreimal „Lotta kann Fahrrad fahren“, jeden existierenden Pettersson mindestens zwei mal. Bin völlig heiser.
Steffi ist die ITS auch leid. Sie muss diesen Job nun jeden Tag machen. Klinikurlaub ist nicht vorgesehen. Wenn Greta auf die KiK4 zurückverlegt wird, geht es gleich mit Chemo Nr. 7 los. Der Onkologe wies heute schon darauf hin, dass die letzte Chemo fünf Wochen zurück liegt. Also keine Zeit zu verlieren.
Derweil ist die Anja-Nachfolge noch nicht geklärt, mein Briefkasten quillt über. Private Telefonate finden immer seltener statt. Die Großen werden immer mehr sich selbst überlassen, was sie nicht weiter schlimm finden. Das überwiegend gute Wetter lud zu Abenteuern ein, die nachmittägliche Betreuung war unproblematisch und löste sich tageweise in „draußen spielen“ auf. Dabei haben sie nicht nur das Baugerüst am mehrere Stockwerke hohen Gartenhaus als Betätigungsfeld entdeckt, sondern angefangen, einen einträglichen Straßenhandel mit bunten Steinen und anderen Kleinodien zu betreiben. Die Laufkundschaft ist entzückt.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Dein heutiger Bericht hat mich in die Realität zurückgeholt und mir klar gemacht, wie unsinnig es doch ist über den Clubabstieg zutrauern. Nichtsdestotrotz schmerzt das auch in wenig.

Ich denke, mit den Bruhigungs- und Schmerzmitteln erklärt sich Greta´s momentanes Verhalten und blicken. Ich hoffe zumindest, daß die Mittel es schaffen, die Wahrnehmung zu dämpfen in bezug auf was momentan mit ihr und um sie herum geschieht. Daß jetzt auch noch dieser Chemoblock ansteht ist schon ganz shcön happig. Ihr Körper ist doch sowieso schon so beansprucht mit dem wieder Heilwerden nach der OP. Krebs ist wirklich auch im übertragenen Sinn ein böses Geschwür. Ich wünsch euch, daß die Tage auf der Intensivstation bald gezählt sind, Greta die nächste Chemo so gut wie die vorangegangenen wegsteckt und ihr dann wieder ein paar Familientage zur Erholung habt (auch für deine Stimme).

Liebe Grüße
Doris

hibou hat gesagt…

Auch wenn eure Situation gerade extra viel Geduld erfordert, freue ich mich darüber von Greta etwas zu hören. Ihr Zustand ist bestimmt von den ganzen Beruhigungsmitteln stark beeinflußt, es ist bestimmt merkwürdig sich alles von außen anschaun zu müssen, aber ihr kennt doch Greta, die würde schon wieder das nächste Dreiradrennen auf dem Flur organisieren, wenn sie könnte!
Darf sie eigentlich schöne Musik hören, damit sie nicht dieses ganze Gebimmel auf der Station mitbekommt.
Ich werde mich mal in den letzten Tagen hier in Bordeaux umschauen, ob ich nicht eine kleine Zeitmaschine für euch finde, dann könnte ich auf "Überspringen der letzten 2 Wochen hier in Frankreich" drücken und das Zauberding dann zu euch rüberschicken, damit ihr auf "Nach dem 7. Chemoblock" drücken könnt, plus wir finden uns bei einem schönen Sommerpicknick wieder ! Ich wünsch euch einfach die stärksten Nerven und weiterhin viel Geduld.
Alles Liebe von Traute