Sonntag, 16. August 2009

Jena, wir kommen!

Morgen fahren Greta und Steffi nach Jena, das Kind muss umfangreiche Untersuchungen über sich ergehen lassen. Ob sie dann schon dort bleiben, ist nicht sicher, aber es wird sehr bald losgehen mit der Knochenmarkstransplantation. Zwei Spender (der Deutsche und ein Ami) sind „aktiviert“ - was immer das genau heißt. Die Remissionsbedingungen sind nach wie vor erfüllt, das hat die Knochenmarkspunktion am Montag ergeben.
Auf die zweite Chemo wird verzichtet, obwohl sich Gretas Blutbild zuletzt kräftig erholt hat. Der gesundende Lebenssaft hat ihr zu einem weiteren Energieschub verholfen. Ich komme Freitag Abend ins Wochenende und werde mit lautem Geschrei begrüßt und drei herzhaften Tritten vors Knie. Das soll heißen: Papa, du musst jetzt das ganze Wochenende mit mir spielen! Aber das geht dann doch nicht, auch wenn es der krebskranke kleine Liebling ist. Die Vorstellung, dass Greta aufgrund ihrer Erkrankung momentan erst auf 80 Prozent Performance sein könnte, ist beinahe erschreckend. Auch der Selbstschutz gehört zum Alltag der Erwachsenen.
Greta hat bei unserem Zahnarzt einen Separattermin vorgestern, Freitag um 19:00 Uhr bekommen, da die Zahnsanierung zu den unausweichlichen Vorbereitungen für Jena gehört und Greta nicht eben viel Zähne geputzt hat in den letzten Monaten. Habe ich eigentlich schon erzählt, dass das Ehepaar Zipf einen ausgezeichneten Zahnarztjob macht? Kronen sitzen für die Ewigkeit, und die kommen dort selbst mit Greta klar. Bedauerliche Irrwege hatten uns ja vorher in eine „ästhetische Zahnarztpraxis“ geführt, wo die Plomben gleich wieder rausgefallen sind.
Schöne offene Szenerie im wochenendlichen Sommerwetter. Stella hat mehrfach aushäusig übernachtet. Freies Spiel mit Freundinnen im Hof. Besuch aus Hildesheim, Steffi bei den Pferden.
Wir sind leidlich ausgeruht, die Betreuungsfrage für dienstlich anspruchsvolle Phasen ist weitgehend geregelt, der Jena-Stress kann losgehen. Die Entwicklung ist sehr positiv, wir dürfen kräftig hoffen, dass Greta weiter durchhält.

Sonntag, 9. August 2009

Schule geht los

Der zweite Chemo-Block hat auch Freitag nicht angefangen. Diese Verzögerung ist aber weniger beunruhigend, als wir zuerst vermuteten. Die Notwendigkeit des zweiten Blocks steht zur Debatte. Der erste Chemo-Block war erfolgreich, die für eine Knochenmarkstransplantation erforderliche Remission ist geglückt und muss nun vor allem gehalten werden. Es kann sein, dass Greta dafür erst mal eine leichte Chemo in Tablettenform bekommt. Morgen wird eine Knochenmarkspunktion genaue Auskunft über den Stand der Tumorzellen geben.
Diese Überlegungen werden maßgeblich von der erfreulichen Tatsache beeinflusst, dass bereits vier Knochenmarkspender gefunden wurden, einer davon aus Deutschland und drei aus den USA. Der Deutsche passt nicht ganz optimal, sein Material könnte aber rasch zur Verfügung stehen. Bei den Amerikanern würde es länger dauern, obwohl ich mir nicht recht vorstellen kann, dass irgendwelche Präparate mit dem Schiff transportiert werden müssen. Das amerikanische Knochenmark hätte den Vorteil, sagen die Ärzte, dass Greta später sehr viel schneller Englisch lernen würde. Das finden wir natürlich prima.
Von konkreten Terminen redet zwar nach wie vor niemand, aber wir haben doch das Gefühl, dass die Dinge in positiver Bewegung sind. Greta ist es übrigens auch, von morgens bis abends und bei dem schönen Wetter sowieso. Am Donnerstag freilich wurde die Laune arg getrübt, weil der Racker barfuß im Gras auf eine Wespe getreten ist. Unsere Ansprechpartner auf der KiK 4 waren davon zum Glück wenig beeindruckt.
Alles in allem war diese letzte Schulferienwoche eine wirklich schöne Leipzig-Woche. Nun weiß ich auch, wer Gontard und Frege waren, was es mit dem Gut Mockau auf sich hat und warum es neben der Mockauer Straße eine wunderschöne kleine Backsteinsiedlung gibt. Open Air Kino und Grill-Romantik gab es auch wieder. Heute Mittag habe ich mit vier Mädchen Muffins gebacken, was eine sehr fröhliche Veranstaltung war, vor allem als Paula versucht hat, das hartgekochte Ei in den Teig zu schlagen.
Wir gehen also gestärkt und guter Dinge in die neue Schulsaison. Hoffen wir, dass uns Scherereien mit der Schweinegrippe erspart bleiben. Unser Anrufbeantworter geht wieder. Der Speicher der FritzBox war voll. Da muss man erst mal drauf kommen.

Mittwoch, 5. August 2009

Sommerferien in Leipzig

Steffi und Greta sind heute ebenso nachhause geschickt worden wie am Montag. Der Leukozytenwert ist immer noch (knapp) zu gering. Wahrscheinlich bekommt Greta am Freitag Thrombozyten verabreicht, und Anfang nächster Woche geht es mit der zweiten Chemo los. Die Warterei zerrt an den Nerven.
Immerhin hat die erste Datenbank-Anfrage gleich zwei potenzielle Spender gebracht, die von der Grobtypisierung her schon mal passen. Durch dieses Raster waren ja alle Familienmitglieder durchgefallen. Vielleicht haben wir in dieser Hinsicht Glück.
Montag waren wir zu dritt in Harry Potter sechs. Das Regina ist unser Lieblingskino, schon weil man direkt mit der Straßenbahn vorfahren kann. Dort gehen halt die Leipziger hin, die sich Kino noch leisten können, und das reicht offensichtlich nicht dafür, die Fassade zu renovieren. Aber unrenoviert sieht es sowieso besser aus. Stella und Clara waren sehr begeistert. Ich eigentlich auch. Dadurch dass wir kein TV haben, sind wir noch ganz naive und unverbrauchte Kinogenießer.
Gestern und heute waren wir im Freibad. Du meine Güte, bin ich lange nicht mehr im Freibad gewesen! Clara meint, ich sei dünn. Das finde ich nett von ihr. Sie weiß ja nicht, wie ich vor zwanzig Jahren aussah, als ich noch öfters Schwimmen ging. Hier gibt es viele dicke Menschen im Freibad und rauchende Mütter. Gleich am Eingang lag eine tote Maus mit großen grünen Fliegen darauf. Überhaupt gibt es in Leipzig viele tote und lebendige Nagetiere, auch Beutel- und Kanalratten, die bis zu einem halben Meter lang werden. Kinderschänder waren gerade nicht im Freibad, die gibt es ja sonst auch viel in der Gegend. Eigentlich war wenig los dort. Ich weiß nicht, ob das daran lag, dass eine Großbaustelle drum herum ist, so dass man kaum den Eingang findet, vielleicht lag es auch an der Wassertemperatur von 15 Grad, die immerhin für ein einigermaßen leeres Schwimmerbecken sorgt. Natürlich sind das andere Verhältnisse als in den Hallenbädern der Kurklinik Bad Oexen. Es gibt aber doch einen Kiosk, der sogar mehrere Eissorten vorrätig hält. Und die Bratwurst erfreut sich eines so guten Rufs, dass auch die umliegenden Bauarbeiter dort Mittag machen. Die Flasche Bier kostet zwei Mark zehn. Das Schreberbad ist also wirklich sehr romantisch, und wir werden bei nächster Gelegenheit wieder hingehen.

Sonntag, 2. August 2009

Sommerloch bald vorbei

Greta ist zuhause. Die Leukozyten sind wieder gesunken, so dass die zweite Chemo am Freitag nicht beginnen konnte. Diese Verzögerung im Therapie-Protokoll ist riskant, aber mit solchen Hängepartien werden wir jetzt dauernd leben müssen. Immerhin waren die Blutwerte zwischenzeitlich ausreichend für die Feintypisierung, die nun in Ulm vorgenommen wird.
Nebenprodukt war ein geselliges Familienwochenende, denn gestern kamen die Schwiegereltern mit Stella und Clara im Gepäck aus Kiel. Die großen Mädchen strotzen vor Gesundheit und Selbstvertrauen. Man mag sie gar nicht wieder in unseren beladenen Alltag zurückzwingen. Eine Woche Schulferien haben sie noch, und ich hab eine Woche Urlaub. Der Freibadbesuch wird die Ausnahme sein, vielleicht ist wenigstens Harry Potter Sechs drin.
Heute Mittag standen überraschend auch noch alte Nachbarn aus Hannover vor der Tür, war das ein Hallo! Wir hatten uns fünf Jahre nicht gesehen, aber zum Glück liegt Leipzig auch zwischen der Schweiz und Berlin genau auf dem Weg.
Morgen geht Greta wieder in die Klinik. Blutbild, Lumbalpunktion und Knochenmarkspunktion. Eventuell eine Tüte Thrombozyten, dann fängt hoffentlich die Chemo an. Wenn alles gut geht, sind wir im September wieder in Jena. Wir müssen uns auf Jena freuen. Ich freue mich auch wirklich auf Jena. Eigentlich war es da ganz gemütlich, die Wochenenden mit Greta in der Isolierkammer kleine Kurzurlaube. Cola gratis bei Ronald McDonald’s. Wichtig ist, das richtige Buch dabeizuhaben. Den Ulysses habe ich hoffentlich lange vorher durch, die Lektüre verkommt zur Pflichtübung. Wer ist bloß so gescheit, dass er ernsthaft profitiert von diesem Buch?
Die neue Perle hat ihren Dienst aufgenommen, und sie ist wirklich eine Perle. Sie heißt Sandra, wischt am liebsten barfuß und zögert nicht, abgelaufene Lebensmittel aus dem Kühlschrank wegzuwerfen. Es macht wieder richtig Spaß, nach der Arbeit in die Wohnung zu kommen.
Bayern hat den Sechstligisten dann doch noch bezwungen. Morgen wird Fortuna an alte Pokal-Traditionen anknüpfen. Endlich wieder Fußball. Wie mir dieses ganze Freundschaftsspiel-Tour-de-France-und-Formel-eins-Gedöns zum Hals heraushängt!

Sonntag, 26. Juli 2009

Entspannungswochenende

Greta ist seit Donnerstag zuhause. Blutwerte und Allgemeinzustand haben dies zugelassen. Obwohl die großen Schwestern nicht da sind und auch keine Nachbarskinder, ist ihre Laune hervorragend. Sie redet wie ein Wasserfall, isst viel, flitzt durch die Gegend, genießt den Wellenspielplatz und den Softeismann. Gestern hatte sie allerdings einen ordentlichen Muskelkater und lief nur auf Zehenspitzen herum – kein Wunder, wenn man zuvor vier Wochen kaum aus dem Bett gekommen ist. Beim Fahrradfahren halten wir Greta vorsichtshalber fest, damit sie sich nicht verletzt (Thrombozyten!). Das sieht dann ziemlich kurios aus und ist kein reines Vergnügen für den Erwachsenen, zumal Greta natürlich trotzdem besonders schnell sein will.
Die Wohnung ist noch gar nicht wieder fit für ein immunsupprimiertes Kind. Es gibt eine neue Haushaltshilfe, die ihren Dienst aber erst nächste Woche antritt. Immerhin haben wir nach wie vor keine Tiere und Pflanzen.
Gestern waren Steffi und Greta schon wieder den halben Tag in der Klinik zur Blutkontrolle und für eine Infusion von Thrombozyten, für die Greta immer liegen muss. Diese Dinger scheint ihr Knochenmark überhaupt nicht mehr zu produzieren. Dafür liegt der Leukozytenwert bei 1,7. Es wird also in der nächsten Woche wohl klappen mit der Feintypisierung. Dann wird allerdings auch bald die nächste Chemo anfangen.
In den vergangenen Wochen kamen zahlreiche Anfragen, wie man denn Knochenmarkspender werden könne, um damit Gretas Chancen zu vergrößern. Das finden wir toll! Man kann das nur unterstützen, damit die Datenbanken langfristig immer größer werden und dadurch immer mehr Leukämiekranke gerettet werden. Das Verfahren ist ganz einfach: Ihr schickt eure Adresse an die DKMS, die schickt euch mit der Post ein Wattestäbchen und das Formular mit der Einverständniserklärung. Es braucht also dazu (am Anfang) noch nicht einmal einen Pieks. Mehr dazu unter www.DKMS.de. Die Chance freilich, dass genau deine Spende Greta rettet, ist gering. Die deutschen Datenbanken verfügen über knapp zwei Millionen Spender-Adressen. Es gibt eine ganze Reihe von Datenbanken, die alle gut verdienen wollen. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Anfragen sich über viele Wochen hinziehen werden.
Das Internet ist wieder repariert, Roland sei Dank. Leider waren wir auch wochenlang ohne Anrufbeantworter – und haben es nicht einmal bemerkt. Nun geht die Quatsche wieder, aber ein paar Anrufe sind wohl doch im Orkus verschwunden.
Mick Jagger wird heute 66. Herzlichen Glückwunsch, bleib noch lange so fit!

Sonntag, 19. Juli 2009

Fischstäbchen und DEFA-Kitsch

Greta hat wieder eine Glatze und wiegt weniger als 17 Kilo. Dabei hat sie Wasser eingelagert und wirkt leicht rundlich im Gesicht. Die schwere Chemo hat außerdem ein paar Kapillargefäße aufgelöst, was zu Einblutungen führte und kleine Pünktchen unter der Haut machte. Die Ringelröteln waren keine Ringelröteln, sondern eine allergische Reaktion. Die ist aber jetzt im Griff, das Fieber vorbei.
Die Blutwerte entwickeln sich anders als damals beim Neuroblastom. Nach den erstaunlichen 1,0 ppm Leukozyten ging es erst mal wieder auf 0,2 hinunter und steigt seit gestern langsam. Die Feintypisierung sei erst ab 2,0 ppm möglich, verzögert sich also. Das Warten gehört jetzt dazu. Immerhin lebt Greta jetzt schon wieder fast einen Monat mit der neuen Diagnose und ist stabil. Im Moment schläft sie viel und ist ziemlich ruhig. Der Wochenend-Dienst war leicht diesmal, die ZEIT schon am Samstag ausgelesen. Richtig gute Laune macht das auch nicht.
Im Sonntagsmärchen gabs Rumpelstilzchen. Frischer Reichtum und drohender Kindstod. Da liegen uralte moralische Muster drunter. In der platten Konkretisierung des Märchenfilms streitet sich das Faust-Motiv mit dem Appell an die Solidarität: Freunde sind wichtiger als Geld, ach so. Da ist Brecht subtiler. Das einjährige Kleinkind war übrigens eine Puppe, die höchstens ein Pfund wog, so schnell zog die Königin das Kleine aus der Wiege.

Sonntag, 12. Juli 2009

Ringelröteln und Feenwünsche

Stella und Clara sind gestern sehr aufgekratzt und fröhlich aus der Geschwisterfreizeit in Schwerin zurückgekommen. Nun sind auch noch die Großeltern da und werden die beiden für zwei bis drei Wochen mit nach Kiel nehmen. Die Sommerferien sind gerettet.

Unsere FritzBox ist einem Gewitter zum Opfer gefallen. Wir haben also gerade kein Internet zuhause. Zum Glück ist der Osten so unterentwickelt, dass es noch echte Internetcafés gibt. Die Rechner sind fünfzehn Jahre alt, aber kostenloser türkischer Kaffee verkürzt die Wartezeit. Romantisch, fast wie damals in Berlin.

Die Knochenmarkspunktion am Freitag ergab, dass es derzeit keine Krebszellen in Gretas Knochenmark gibt. Das ist noch nicht die Remission, aber immerhin ein Teilziel. Die erste Chemo hat gut gewirkt. Und Gretas Blutbild erholt sich schon wieder: 1,0 ppm Leukozyten nur fünf Tage später, das ist besser als man erwarten durfte. Ende nächster Woche wird das Blutbild dafür ausreichen, eine Feintypisierung vorzunehmen, die noch nötig ist, um die Datenbankanfrage für die Knochenmarkspende zu starten. Danach wird es mindestens einen weiteren Monat dauern, bis ein Spender gefunden ist. Leider ist es nicht mit ein paar Knopfdrucken am Rechner und der Suchfunktion getan. Die Datenstruktur ist so kompliziert, dass da richtige Menschen suchen müssen, und die brauchen bekanntlich ziemlich viel Zeit für so etwas.

Seit gestern hat Greta Ringelröteln. Das hat mit den richtigen Röteln zum Glück nichts zu tun, sieht nur so ähnlich aus und juckt ein bisschen. Grund sind die Bluttransfusionen. Leichtes Fieber hat Greta heute etwas sediert. Vorhin hat sie zum ersten Mal eine Schnute gezogen, als Mama in der Tür stand und sich anschickte, mich abzulösen. Dass ich das noch erleben darf! Sonst ist es ja immer umgekehrt. Das Papa-Wochenende war diesmal vom Räuber Hotzenplotz geprägt, der Gretas Naturell sehr entspricht. Sie war jedenfalls begeistert und ließ sich halbe Tage lang vorlesen.

Ich war schon als Kind fasziniert davon, wie scheinbar leichtfertig Kasperl und Seppel am Ende des ersten Buchs die ersten beiden Wünsche vertun, die der Wunschring der befreiten Fee ihnen bietet. Eine Zipfelmütze und eine Kaffeemühle? Ich hätte mir die Wünsche vollständig aufgehoben. Heute denke ich sogar folgendes: Wer mit beiden Beinen auf dem Boden steht und wem die Dinge im Leben nach Plan laufen, der wird von seinen Feenwünschen niemals Gebrauch machen. Bei uns ist das nun definitiv anders. Ich würde den Feenwunsch für Greta einsetzen, und wenn es der einzige wäre.